Im Kino: Au Voleur:Ein gestohlenes Leben

Einsamkeit, Natur, Liebe und der ganze Rest: Der verstorbene Guillaume Depardieu spielt in "Au Voleur" einen Gangster, der das Leben einer gelangweilten Lehrerin verändert.

Doris Kuhn

Wenn eine blasse junge Lehrerin beim Zitieren des Rilke-Gedichts "Der Panther" knapp davor ist, die Fassung zu verlieren, dann ist Vorsicht geboten. Sie sieht vermutlich schon die tausend Gitterstäbe um sich herum, auf alle Fälle sieht sie keine besonders begehrenswerte Welt. Deshalb wird in Sarah Leonors sanftem Gangsterdrama "Au Voleur" diese Lehrerin einen Mann sofort mit heimnehmen, von dem sie glaubt, er sei anders als die Männer, die sie sonst in Cafés manchmal trifft. Es ist eine durchaus lebensverändernde Begegnung: Er hat ein verwegenes Gesicht, das Abenteuer verspricht, sie fühlt sich gelangweilt genug, um jede Chance zu ergreifen, damit sie nicht so endet wie der Panther.

Kinostarts - 'A real life - Au voleur'

Es ist eine durchaus lebensverändernde Begegnung: Er hat ein verwegenes Gesicht, das Abenteuer verspricht, sie fühlt sich gelangweilt genug, um jede Chance zu ergreifen, damit sie nicht so endet wie ein Panther hinter Gittern - Guillaume Depardieu mit Florence Loiret Caille.

(Foto: dpa)

Bevor es aber so weit kommt, hält sich "Au Voleur" eine Weile lang an diesen Mann und zeigt ihn, ohne viel Aufregung, bei der Ausführung eines gefährlichen Berufs. Der Regisseurin geht es dabei nicht nur um eine gute Geschichte, sie hat auch einen aufgeweckten Blick für Farben, Räume, Arbeitsabläufe, sie stattet das Geschehen mit eindringlichen, eigentümlichen Bildern aus. Dabei verlässt sie sich nicht etwa auf bloße Poesie, sondern sie hat ein Thema, das durchaus Unterhaltung verspricht - sie beobachtet die Kunst des Stehlens.

Der Mann ist also ein Dieb. Kein Räuber, der in Gesellschaft teure Coups durchführt, sondern ein Taschendieb, ein Einbrecher, einer, der so unsichtbar wie möglich agiert. Offenkundig an ihm ist nur seine Verachtung für den Besitz, den er stiehlt, und das befördert seine Skrupellosigkeit genauso wie das Vergnügen des Zuschauers. Dieses Vergnügen könnte andererseits auch daran liegen, dass der Dieb von Guillaume Depardieu gespielt wird. "Au Voleur" ist der letzte Film des Schauspielers, der 2008 im Alter von 37 Jahren unerwartet starb. Hier gibt er sich wortkarg und misstrauisch, aber gerade dieser zwielichtige Auftritt reicht völlig aus, um nicht nur traurige Lehrerinnen zu fesseln.

Es hilft natürlich, dass Guillaume Depardieu, den Sohn des Kino-Schwergewichts Gérard Depardieu, schon seit längerem die Aura eines Desperados umgibt. Auch im wirklichen Leben ist er immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, wegen Alkohol am Steuer und Drogen. Mehrfach hat er sich bittere öffentliche Konflikte mit dem Über-Vater geliefert, der ihn einmal als "schwierig und unverbesserlich" bezeichnete. Dann kam im Jahr 1995 noch ein schwerer Motorradunfall dazu, der eine unheilbare Bakterieninfektion zur Folge hatte, und schließlich nach Jahren voller Qual und unzähligen Operationen zur Amputation eine Beines führte. Eine bedingungslose und verzweifelte Energie spürt man in vielen Rollen, die Guillaume Depardieu gespielt hat.

Hier jedoch, in der zweiten Hälfte des Films, wird seine Figur etwas zugänglicher, da sind die Lover schon auf der Flucht. Ein bisschen wie in "Nordsee ist Mordsee" geht es dabei zu, die beiden Fliehenden sind planlos mit einem Holzkahn unterwegs, haben sich Bier und Äpfel geklaut, einen Hund aufgelesen. Sie wirken wie Kinder, die gerade etwas anstellen, was ihnen ungeheuren Spaß macht, obwohl beiden klar ist, dass ein böses Ende bald irgendwo auf sie wartet. Vorerst aber rudern sie durch ein Sumpfgebiet, das so tut, als sei es Louisiana, hauptsächlich begleitet von Musik, die entsprechenden Sumpfblues spielt.

Was in den Sümpfen passiert

In Sümpfen passieren bekanntlich seltsame Dinge, mit den Menschen und mit der Zeit. Wieder ist der Film dabei aufmerksam genug, um sich auf Grüntöne zu konzentrieren, auf Wasseroberflächen, auf die Abwesenheit des vertrauten mitteleuropäischen Terrains. Aber während die Tage dahindriften wie ein einziger Sommernachmittag, wechseln die Menschen ihre Persönlichkeit: die Lehrerin wird munter, der Dieb lässt die Wachsamkeit sausen. Für eine Weile wird jeder zu dem, was er unter besten Bedingungen sein könnte, als stählen die zwei Flüchtigen sich in ein Leben hinein, das für sie nicht gedacht ist.

Hier wirkt "Au Voleur", als hätte man aus einem beliebigen Terrence-Malick-Film den kurzen Moment herausgefiltert, in dem die Zukunft vielversprechend aussieht, die Hauptfiguren Hoffnung haben, als hätte man diesen Moment gedehnt und einmal ausführlich durchgespielt - Einsamkeit, Natur, Liebe und der ganze Rest. Damit reicht die Regisseurin zwar nicht an Malick heran, aber interessant ist diese Haltung bei einem ersten langen Spielfilm trotzdem.

AU VOLEUR, F 2009 - Regie und Buch: Sarah Leonor. Kamera: Laurent Desmet. Schnitt: François Quiqueré. Mit Guillaume Depardieu, Florence Loiret Caille, Jacques Nolot, Rabah Nait Oufella, Benjamin Wangermee, Fejria Deliba, Bruone Clairefond. Verleih: Projektor Filmverleih, 100 Minuten.

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