Im Kino: "Anonyma":Männer, von Natur aus feige

Radikaler Pragmatismus: Nina Hoss spielt die "Anonyma" - jene unbekannte Frau, die aufschrieb, was sie als Opfer der Massenvergewaltigungen in der sowjetischen Besatzungszone erduldete.

A. Kreye

In Max Färberböcks Verfilmung des Buches "Anonyma - Eine Frau in Berlin" spielt Nina Hoss die namenlose Hauptfigur mit genau jener anmutigen Spröde, die vor dreißig Jahren Angela Winkler und Hanna Schygulla zu den wichtigsten Schauspielerinnen des Autorenkinos gemacht hat.

Im Kino: "Anonyma": Eigenartige Chemie: Nina Hoss als "Anonyma" mit ihrem selbsterwählten Beschützer (Jefgeni Sidikhin).

Eigenartige Chemie: Nina Hoss als "Anonyma" mit ihrem selbsterwählten Beschützer (Jefgeni Sidikhin).

(Foto: Foto: Constantin)

Die titelgebende Anonyma ist eine glamouröse, nationalsozialistische Kosmopolitin, die in den Ruinen des zerstörten Berlin Opfer jener barbarischen Taktik der sowjetischen Truppen wird, mit der massenhaften Vergewaltigung von Frauen im besetzten Land den Sieg auf Generationen in der Psyche des unterlegenen Volkes zu zementieren.

Hoss spielt diesen Absturz mit genau jener Mischung aus unnahbarer Kühle und verletzlicher Tiefe, den man nur im deutschen Kino in dieser Perfektion findet.

Authentische Menschlichkeit wittert man hierzulande in solchen Frauen. Da ist zwar wenig Raum für Charme, Humor und Eros, aber genau diese Eigenschaften wären für die Figur der Anonyma so abwegig wie fern.

Immerhin muss sie in einem System der Grausamkeiten einen Weg finden, ein Quentchen Macht über ihr Schicksal zu erkämpfen. So gesehen ist Nina Hoss die perfekte Besetzung für eine der anspruchsvollsten Rollen im laufenden deutschen Kinojahr.

Unvorstellbare Grausamkeiten

Überhaupt hat der Regisseur Max Färberböck alles richtig gemacht mit diesem schwierigen Film. Er hat in Evgeny Sidikhin einen russischen Star gefunden, der den schönen und edelmütigen russischen Offizier Andrej so virtuos spielt, dass die eigenartige Chemie zwischen Nina Hoss und ihrem selbsterwählten Beschützer überzeugend wirkt - als lasse der Überlebensreflex, sich "einen Wolf zu suchen, der die Wölfe fernhält", wie es die echte Anonyma beschrieb, die Möglichkeit einer Liebesgeschichte.

Wie schwach, wie feige wirkt da ihr heimkehrender Mann Gerd (August Diehl), der ihr keineswegs dankbar ist für ihre Bereitschaft, ihre Würde aufzugeben, um letztlich ja auch für ihn am Leben zu bleiben, sondern sie dafür verachtet.

Doch selbst der Heimkehrer darf in seiner Schwäche weitere Schichten der Menschlichkeit freilegen, die aus einer Tragödie der unvorstellbaren Grausamkeiten ein Drama machen, in dem das Überleben zum heldenhaften Kraftakt wird.

Vor allem aber ist Färberböck und seinem Produzenten Günter Rohrbach der Geniestreich gelungen, ein Tabuthema der deutschen Geschichte so zu inszenieren, dass es die aktuellen Ängste vor dem Absturz aus einem kosmopolitischen Wohlstandsleben in die archaische Form des Faustrechts nachvollziehbar macht.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum es problematisch ist, dass Färberböcks Film nur Beklemmung, aber keine Bestürzung hinterlässt.

Männer, von Natur aus feige

Doch gerade in seinem Versuch, alles richtig zu machen, stößt der Film an seine Grenzen. Die Grausamkeiten bleiben unvorstellbar. Das ist sicherlich gut so. Was angedeutet wird, ist schlimm genug. Doch weil es sich Färberböck ganz offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, allen Seiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, geht der Film zu oft Kompromisse ein.

Eines der gruseligsten Tabuthemen der deutschen Nachkriegsgeschichte und eine der grausamsten Formen des Krieges werden hier als Kammerspiel in der klaustrophobischen Enge der Trümmerstraße inszeniert, das Beklemmung, aber keine Bestürzung hinterlässt.

Und so kann auch der heldenhafte Kraftakt des Überlebens letztlich keinen kathartischen Moment erzeugen, sondern setzt nur einen allzu authentischen Schlussstrich. Da triumphiert nicht die Menschlichkeit über den Krieg, sondern ein radikaler Pragmatismus über die Grausamkeit.

Ist dieses Buch überhaupt verfilmbar? Die Pauschalantwort auf diese immer wiederkehrende Frage wäre die ironische Einschränkung, nur schlechte Bücher seien gute Vorlagen für Filme, an guten Büchern seien schon die größten Regisseure gescheitert. Das aber kann in diesem Fall nicht gelten. Das Buch ist ein furios geschriebenes Dokument. Doch alleine die Tatsache, dass sich Färberböck und Rohrbach für diese Vorlage entschieden, erforderte Mut.

Männer, von Natur aus feige

Immerhin wagt sich der Film an ein Thema, das an viele Tabus und Empfindlichkeiten der historischen Aufarbeitung stößt. Liegt hier doch ein Trauma der deutschen Nachkriegsgeschichte begraben, das nur selten so deutlich thematisiert wurde.

Was dem Film ständig in die Quere kommt, ist offensichtlich der stille Teilhaber an der Produktion, das ZDF. Sicherlich hat das deutsche Fernsehen in den letzten Jahrzehnten so einige cineastische Meisterwerke möglich gemacht, Talenten zum ersten Durchbruch verholfen, sich an unangenehme Themen gewagt.

Und doch prägt die massenkompatible Primetime-Dramaturgie mit ihren flachen Spannungskurven, ihrer Scheu vor allzu roher Emotionalität und ihren öffentlich-rechtlichen Harmoniezwängen hier eine Geschichte, die letztlich nur aus Tiefen besteht. Denn an ein dramaturgisch so schwieriges Thema wagt sich der Film nur in Andeutungen: Dass es im Krieg nur Verlierer geben kann, die aus der zerstörerischen Spirale der Grausamkeiten zwar ihr nacktes Leben, aber nie ihre Menschlichkeit retten können.

So richtig schlecht kommt ja keiner weg in diesem Film, auch wenn das Menschenbild nicht weniger nihilistisch ist. Die Frauen tun ja nur, wozu sie das Leben zwingt. Die Männer sind von Natur aus grausam oder feige. Doch jedem wird vergeben. Die russischen Soldaten rächen nur, was die Deutschen ihren eigenen Familien angetan haben, die deutschen Heimkehrer zerbrechen doch nur an der Quittung für die Grausamkeiten ihrer Kameraden, und den Frauen bleibt letztlich kein Ausweg.

Die Vermenschlichung der Schwächen und Grausamkeiten aber in einer Liebesgeschichte zwischen Opfer und Beschützer kulminieren zu lassen, die hinter dem radikalen Pragmatismus einen Funken Romantik aufflackern lässt, ist lediglich ein dramaturgischer Schleichweg.

Anonyma - Eine Frau in Berlin, D 2008 - Regie und Buch: Max Färberböck. Bildgestaltung: Benedict Neuenfels. Musik: Zbigniew Preisner. Mit: Nina Hoss, Jefgeni Sidikhin, August Diehl, Irm Hermann, Rüdiger Vogler. Constantin, 131 Minuten.

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