Im Kino: Almanya:Leitkultur, sachte verbogen

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Die schmerzfreie Familienkomödie "Almanya - Willkommen in Deutschland" erinnert vor allem an eines: dass es Einwanderer gibt, denen die Integrationsproblematik wesentlich fremder ist als das Sauerkraut.

S. Vahabzadeh

Cenk hat ein Problem, von dessen Existenz er gar nichts wusste. In der Schule wird Fußball gespielt - und weder die türkischen noch die deutschen Kinder wollen ihn bei der Spielerwahl in ihrer Mannschaft haben, weil er weder ein Deutscher noch ein Türke sei. Seine Mutter ist Deutsche, und sein Vater Türke, aber was ist er? Weil er erst sechs ist, hat er darüber noch nie nachgedacht, also fragt er seine erwachsene Cousine Canan.

Almanya - Willkommen in Deutschland ist die erste Kinoarbeit der Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli und hatte bei der Berlinale im Wettbewerb außer Konkurrenz Premiere. Hier im Bild Aykut Kayacik und Ercan Karacayli. (Foto: dpa)

Nun gut - eine Komödie an einem sehr niedlichen Kind festzumachen ist ein ganz alter Trick, aber er funktioniert eigentlich immer noch ganz gut; und Almanya - Willkommen in Deutschland ist genau diese Sorte Film: voll süß, gegen Ende mit einer bitteren Note. Die erste Kinoarbeit der Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli, eine schmerzfreie Familienunterhaltung, hatte bei der Berlinale im Wettbewerb außer Konkurrenz Premiere. Man kann diesen Film natürlich als banal abtun, weil die Familie, um die es hier geht, keines der Probleme hat, die derzeit in Deutschland diskutiert werden.

Kein Sprachproblem - alle sprechen halt zwei Sprachen (außer Cenk, aber davon später mehr); keiner ist übertrieben religiös; die Frauen machen, was sie wollen; an deutsche Familienmitglieder hat man sich längst gewöhnt; und überhaupt hat diese Familie an Ghettobildung kein Interesse. Vielleicht wäre es an der Zeit, eine schwärzere Komödie zu machen, über Leute, denen das Leben in Deutschland schwerer fällt als den Samdereli-Charakteren. Es wäre aber unfair, das diesem Film vorzuwerfen - es ist schon ganz in Ordnung, wenn inmitten all der notwendigen Debatten über den Stand der Migration und Integration in diesem Land gelegentlich jemand daran erinnert, dass es auch Einwanderer gibt, denen die Integrationsproblematik wesentlich fremder ist als Sauerkraut.

Die Leute haben immer gelacht, wenn sie Anekdoten aus ihrer Familie erzählt haben, sagen die Samdereli-Schwestern, ein paar davon haben sie verwendet in der Geschichte der Familie Yilmaz, die sie hier aufrollen - komisch wird es immer dann, wenn die Leitkultur ganz sachte hingebogen werden muss, damit sie sich mit der fremden Kultur zusammenfügen lässt. Eine fröhliche Großfamilie, mit allgemeinen und spezifischen Problemen.

Canan (Aylin Tezel) ist schwanger von ihrem Freund und weiß nicht so recht, wie die Großeltern das aufnehmen werden; und eigentlich finden alle die Vorstellung ziemlich grauenhaft, in den nächsten Ferien gemeinsam im Kleinbus in die Türkei zu brettern. Genau das wird aber vom Familienoberhaupt von ihnen verlangt, denn - Überraschung! - Opa habe dort, sagt er, ein Haus gekauft. Damit verbreitet er ziemliches Entsetzen, vor allem bei seiner Frau, die gerade mit großer Begeisterung ihren deutschen Pass entgegengenommen hat und die keine zehn Pferde zurück in die Türkei brächten. Opa Yilmaz hadert noch mit der neuen Staatsbürgerschaft. Anfangs, das entnehmen wir den Rückblenden, wenn Canan ihrem kleinen Cousin die Yilmaz-Saga erzählt, war es genau andersrum.

Als der Gatte, der einmillionenunderste Gastarbeiter, der nach Deutschland kam (der vor ihm bekam ein Moped), sie mit den kleinen Kindern aus der Türkei wegzerrte, war sie zunächst einmal sauer. Und hilflos. Als Canan mit ihrer Erzählung beginnt, sprechen die Türken türkisch, aber weil Cenk kein Wort versteht, dreht sie den Spieß um - die Türken sprechen also Deutsch, und die Deutschen sprechen eine harte Phantasiesprache.

Das ist einer der schwächeren Gags in Almanya (wobei Hollywood für filmische Sprachverrenkungen schon plumpere Erklärungen abgliefert hat); mancher Scherz ist für Schweinsbraten-Liebhaber eher pädagogischer Natur; und manche Szenen sind irre komisch. Jene beispielsweise, in der die entgeisterten Yilmaz-Kinder das erste Mal einen ans Kreuz genagelten Jesus sehen und sich entsetzlich gruseln. Oder wie die erste in Deutschland angekommene Yilmaz-Generation versucht, den Kindern den Wunsch nach Weihnachten zu erfüllen. Stolz wie Oskar präsentieren sie das klägliche Ergebnis ihrer Recherchen.

Yasemin Samdereli hat das alles ganz wunderbar inszeniert, eine solide Arbeit, wie sie das Genrekino in Deutschland gar nicht sehr häufig hervorbringt, mit ein paar Anleihen bei alten Meistern (Axel Milberg beispielsweise gibt eine Einlage als stempelwütiger Beamter, choreografiert von Billy Wilder in Avanti, Avanti) und einer ziemlich guten Besetzung - Demet Gül beispielsweise, die die junge Frau Yilmaz mit ganz subtiler, fein dosierter Komik spielt.

Ob Cenk nun Deutscher ist oder Türke, das wird in Almanya dann doch nicht geklärt. Aber er fragt auch nicht noch mal nach - wenn er Glück hat, ist es ihm egal.

ALMANYA - WILLKOMMEN IN DEUTSCHLAND, D 2010 - Regie: Yasemin Samdereli. Drehbuch: Nesrin und Yasemin Samdereli. Kamera: Ngo the Chau. Mit: Vedat Erincin, Fahri Yardim, Lilay Huser, Demet Gül, Rafael Koussouris, Aylin Tezel. Concorde, 97 Minuten.

© SZ vom 11.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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