Im Kino: "About Schmidt":Ein abgesessenes Leben

Jack Nicholson ist auf wunderbare Weise nicht er selbst in dem Film "About Schmidt"

TOBIAS KNIEBE

Mein Gott, dieser Schmidt. Man sieht die Gesichtszüge von Jack Nicholson, aber im Grunde erkennt man sie nicht. Die Haare sind über die Glatze gekämmt. Die rechte Augenbraue, weltbekannt für ihre sardonische Beweglichkeit, scheint auf halbem Wege eingefroren. Die Lider hängen schwer über den Augen, die Pupillen blicken leer. Dieser Mann, so fremd und doch vertraut, beobachtet den Zeiger der Wanduhr, die letzten Sekunden vor Feierabend. Am Fenster steht sein Berufsleben, säuberlich in Kisten verpackt: Warren Schmidt, 66, Versicherungsstatistiker in Omaha, Nebraska, geht in Rente. Die Uhr tickt. Er nimmt seinem Aktenkoffer, holt seinen Mantel. Wer Nicholsons Genie begreifen will, muss jetzt darauf achten, wie er den Raum verlässt: Macht die Tür nur soweit auf, dass er gerade hindurch passt, dreht sich an der Klinke vorbei, indem er die Füße dreimal umstellt. Seltsam pedantisch wirkt diese Bewegung, hilflos. Eigentlich ist sie sehr unauffällig - und ist doch der würdige Auftakt zur brillantesten Figurenbeschreibung, die man seit langem im Kino gesehen hat.

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(Foto: SZ v. 26.02.2003)

Es wird also um diesen Mann gehen: "About Schmidt". Das könnte komisch werden, was der Regisseur Alexander Payne zum Beispiel dadurch suggeriert, wie Schmidt die letzten Sekunden absitzt. Es könnte tragisch werden, alles grau in grau, endlos erstreckt sich der Mittlere Westen, und mittendrin ein kleiner Mann - klein im umfassendsten menschlichen Sinn. Ein Regisseur und ein Superstar, die sich noch einmal über die amerikanische Provinz lustig machen? Braucht kein Mensch. Ein Nachwuchs-Arthur-Miller, der noch einmal eine Maus im Laufrad des Kapitalismus zeigt, zu Tode gehetzt von den Lügen des amerikanischen Traums? Auch nicht so spannend. So bangt man in den nächsten Szenen, schon restlos von Nicholson fasziniert, in welche Richtung der Film sich entwickeln wird. Und wunderbarer Weise hält Alexander Payne seine Absichten magisch in der Schwebe, er wird ultrakomisch sein und unendlich traurig - aber auch das ganz unauffällig.

Schmidt fühlt sich leer und nutzlos auf seinem Abschiedsdinner. Er fühlt sich fremd in seinem Heim. Seine Frau Helen ist eine stämmige Oma mit wohltoupiertem Haarhelm (June Squibb) - und es ist ein echter Schock, sie neben Nicholson zu sehen, den man neben Frauen wie Lara Flynn Boyle wähnt. Er wird nicht mehr gebraucht - selbst im Büro läuft alles, als hätte er nie existiert. Schmidt nimmt das stoisch auf, scheint in sich selbst zu versinken. Bis er, in einem Ausbruch von Sinnsuche, die Patenschaft für ein afrikanisches Kind übernimmt. Mit 22 Dollar im Monat, so erfährt er, kann er den sechsjährigen Ndugu in Tansania unterstützen - Briefe an das Patenkind sind willkommen. "Dear Ndugu", beginnt er also, das erste von vielen Schreiben, die den Film strukturieren werden - und was dann kommt, in Nicholsons warmer, müder Stimme, sind so treffende Einblicke in die Wut und Frustration eines Durchschnittsamerikaners, in Schmidts Seele, dass man jeden davon am liebsten gerahmt an die Wand hängen würde. Nur Ndugu wird sie bestimmt nicht verstehen.

"Helen und ich sind seit 42 Jahren verheiratet", schreibt er zum Beispiel. "In letzter Zeit stelle ich mir jede Nacht dieselbe Frage: Wer ist diese alte Frau, die in meinem Haus lebt? Warum irritieren mich all die kleinen Dinge, die sie tut? Die Art zum Beispiel, wie sie Schlüssel aus der Handtasche holt, lang bevor wir zum Auto kommen, und die Art, wie sie mir das Wort abschneidet... Seit Jahren besteht sie darauf, dass ich im Sitzen uriniere. Mein Versprechen, die Brille zu heben, den Rand abzuwischen und die Brille wieder zu senken - es war ihr nicht gut genug..." Ein einziger Seufzer bricht da aus ihm heraus, und gleichzeitig sieht man Jack - jawohl, den Easy-Rider-Kuckucksnest-Joker-Jack - wahrhaftig als braven Sitzpinkler. Dann aber ist auch diese Routine dahin: Als Schmidt von der Post zurückkommt, liegt Helen tot am Boden - ein Hirnschlag. So verwahrlost er schnell, verliert jede Orientierung, zweifelt an seiner ganzen Existenz - bis er schließlich mit seinem gigantischen Wohnmobil in Richtung Denver aus der Stadt verschwindet. Der Gedanke, die Hochzeit seiner Tochter noch zu verhindern, mit einem Verlobten, den er als lächerlichen Wicht empfindet, ist nun seine einzige Antriebskraft. Aber auch damit, das ahnt man von vorneherein, wird er wohl scheitern.

Das Wort, das dabei immer wieder in den Sinn kommt, ist Präzision. Alexander Payne stammt aus Omaha, er hat bisher all seine Filme dort gedreht. Auch diesen Stoff, der ursprünglich einmal, als Roman von Louis Begley, im Milieu der Ostküsten-Oberklasse angesiedelt war, musste Payne hierher verlegen, bevor er ihn in den Griff bekam. So hat sich der Kern der Geschichte wieder aus der realen Topographie entwickelt, die eben, trotz aller Hässlichkeit, für Payne so etwas wie Heimat darstellt - und nur aus diesem Ethos heraus kann die Präzision seiner Beschreibungen entstehen, diese Nähe zu den Menschen, Dingen und Plätzen, diese Kontemplation der amerikanischen Heimatlosigkeit. Nach seinem überdrehten Abtreibungsdrama "Citizen Ruth" und der Highschool-Satire "Election" steigt Payne mit "About Schmidt" in eine ganz neue Kategorie auf: Er ist, nach nur drei Filmen, ein Großmeister in Wartestellung. Warren Schmidt ist komisch, aber nie eine Witzfigur. Seine Existenz ist tragisch, aber er muss sich nie dem Diktat eines geschlossenen Weltbilds beugen. Man erwartet immer, dass er plötzlich Jack Nicholson wird, wenigstens für einen kurzen, defätistischen, triumphalen Moment. Aber dieser Moment kommt nie. Kann es, ausgerechnet in Amerika, einen Heroismus des Verzichts geben? Wenn man diesen kleinen großen Mann anschaut, und die Art, wie sein Regisseur an ihm festhält, trotz allem - dann möchte man fast daran glauben.

ABOUT SCHMIDT, USA 2002 - Regie: Alexander Payne. Buch: A. Payne und Jim Taylor, nach Louis Begleys Roman. Kamera: James Glennon. Mit: Jack Nicholson, Hope Davis, Dermot Mulroney, Kathy Bates. Warner, 125 Minuten.

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