Süddeutsche Zeitung

Im Interview: Yoko Ono:Alles muss raus

An diesem Samstag wäre John Lennon 70 Jahre alt geworden. Ein lautmalerisches Gespräch mit seiner Witwe Yoko Ono über experimentelle Geräusche, Geburtsschreie, und mächtige Frauen.

Jutta Person

Berlin, Hotel Kempinski am Kurfürstendamm. Yoko Ono lädt zum Interview: Am 9. Oktober 2010 wäre John Lennon siebzig Jahre alt geworden, und am 8. Dezember 2010 ist es dreißig Jahre her, dass ihr Mann in New York erschossen wurde. Der Musikkonzern EMI bringt im Gedenkjahr 2010 das komplette Werk von John Lennon heraus, um den es im Interview dann auch geht. Aber eigentlich kreist das Gespräch mehr um den Soundtrack der Menschheit. Und der hat viel mit weiblichen Schreien zu tun. Lesen Sie Auszüge aus dem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 9. Oktober 2010.

SZ: Nach der Trennung der Beatles zu Beginn der siebziger Jahre hat man immer wieder Ihnen die Schuld gegeben, oft sehr aggressiv.

Yoko Ono: Ich hatte glücklicherweise meine Arbeit. Meine Musik, meine Kunst, meine Pläne, das alles hat mich gerettet. Ich hatte eine andere Welt, sodass mich diese Angriffe nicht so berührt haben.

SZ: Den Fans waren Sie offensichtlich auch ein Dorn im Auge, weil Sie nie die gefügige asiatische Klischeefrau verkörperten, die im Hintergrund bleibt. Das genaue Gegenteil einer Madame Butterfly, die am Ende der Oper freiwillig stirbt. Sie dagegen singen in "Yes, I'm a Witch", Ihrem Song von 1974: "Ich werde nicht für euch sterben".

Ono: Madame Butterfly war ein Konzept westlicher, männlicher Kolonisatoren, die sich ein schüchternes und gehorsames Weibchen ausgedacht haben. Aber das war ein Gedankenspiel, das hat so nie existiert. Und vom Asienklischee ganz abgesehen: Frauen, die in einer männlich geprägten Gesellschaft jemand sein wollen, haben eine schwere Zeit. Es ist oft so, dass starke Frauen versuchen, nicht so stark zu wirken. Viele Frauen versuchen, wie ein niedliches kleines Mädchen rüberzukommen (imitiert schüchterne Girlie-Pose mit Flötgeräuschen und Blick von unten). Es ist sehr schwierig, wirklich man selbst zu sein.

SZ: Anfang Oktober erschien das komplette Solo-Werk von John Lennon. Vieles davon ist in den Nullerjahren schon geremastert worden, wie unterscheiden sich denn die aktuellen Remasters von den vorherigen?

Ono: Es gibt zum Beispiel eine reduzierte Version des Albums "Double Fantasy". Man hört John sehr klar und deutlich singen. Damals hat man noch ganz anders abgemischt und gemastert, man machte vor allem die Instrumentalspuren sehr stark. Jetzt nehmen sie die Instrumente raus, und man hört ihn plötzlich singen. Und das klingt wirklich gut.

(...)

SZ: Da wir von Klang sprechen: Sie und John haben mit ungewohnten, seltsamen und unkonventionellen Geräuschen experimentiert. In den sechziger und siebziger Jahren haben Sie mit Tönen gearbeitet, die im allgemeinen Verständnis nicht mehr als Klang gelten: Schreie und Tiergeräusche zum Beispiel. Im Film "Fly" von 1971 imitieren Sie den anstrengenden Ton einer Fliege, die aggressiv herumsummt und immer wieder auf einem weiblichen Körper landet. Das wurde als feministische Kunst verstanden.

Ono: Ich wollte die Welt bereichern, als Künstlerin und Musikerin, nicht nur als Frau. Ich wollte Dinge ausprobieren, die vorher noch niemand riskiert hatte. Und das mache ich heute eigentlich auch noch so.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was das Geheimnis ihrer Beziehung war.

SZ: In Johns Werk kann man diesen experimentellen Einfluss auch hören.

Ono: Ja, sehen Sie, wir hatten einfach Glück. Wir waren so viel zusammen und haben uns beeinflusst. Er hatte eine sehr schöne Stimme. Aber extrem wandelbar, er konnte so oder so singen, er konnte stark singen, er konnte zärtlich und süß singen. Ich glaube, ich habe das immer verstanden, und das wiederum mochte er. Und ich liebte die Art, wie er gesungen hat. Da war immer eine Art wechselseitige Bewunderung zwischen uns.

(...)

SZ: Um noch mal über das Schreien und über seltsame Geräusche zu sprechen: John und Sie haben Anfang der Siebziger zusammen eine Urschreitherapie bei Arthur Janov gemacht. Der Psychologe Janov war der Guru einer Zeit, die dem möglichst "echten" Ausdruck auf der Spur war - seine Theorie sollte helfen, die Gefühle zu befreien.

Ono: Wir haben zusammen eine Urschreitherapie gemacht. Aber ich hatte schon lange vorher mit Schreien experimentiert, lange bevor wir das Buch über die Urschreitherapie gelesen haben. Das Buch kam irgendwie zu uns. Leute haben uns Bücher geschickt. Und John sagte, schau mal, da geht's um dich. Wir gingen dann für die Urschreitherapie zu Arthur Janov nach Los Angeles.

SZ: Wie hat die Urschreitherapie genau funktioniert? In den Siebzigern war das, nun ja, der letzte Schrei, und heute ist sie beinahe vergessen.

Ono: Es war so... lass alles raus, lass alles raus (macht Rauslass-Gesten mit den Händen). Lass dein Selbst rauskommen. Aber es war gut. Frauen hatten immer schon Möglichkeiten und Gelegenheiten, bei denen sie nicht schreien, aber zumindest weinen konnten. Weinen war nichts Neues für sie. Aber für Männer war es sehr schwierig zu weinen. Bei der Urschreitherapie wurden die Männer ermutigt, sich so weit zu öffnen, dass sie weinen können. Sie können zwar schon schreien, aber das Weinen müssen sie erst lernen. Und das ist sehr gut. Es ist sehr schwierig, dahin zu kommen. Und deshalb war die Urschreitherapie vielleicht sogar für Männer interessanter und hilfreicher. Weil Männer viel verschlossener sind als Frauen.

SZ: Wenn man sich Ihre persönliche Geschichte vor Augen hält: Sind Sie in einer stark reglementierten Gesellschaft aufgewachsen?

Ono: Nein. Meine Eltern waren sehr intelligent und gebildet. Das waren freiheitliche Denker.

SZ: Wie und warum haben Sie dann mit dem Schreien angefangen? War das ein künstlerisches Mittel, um die Regeln zu brechen?

Ono: Ich habe gegen die Gesellschaft rebelliert, nicht so sehr gegen mein Elternhaus. Und Schreien war auch noch etwas anderes. Als Kind hat mir meine Mutter immer gesagt: Geh nicht ans andere Ende des Hauses. Dort waren die Dienstbotenzimmer. Wissen Sie, sie wollte nicht, dass ich die Dinge höre, über die sich die Dienstboten unterhalten haben. Sie wollte nicht, dass ich solche Sachen weiß (imitiert ein kleines Mädchen, das brav okay sagt). Aber klar: Wenn etwas verboten ist, reizt es besonders. Ich bin also nach unten zu den Dienstbotenräumen geschlichen und habe belauscht, was dort geredet wurde. Es gab da ein junges Mädchen, vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt, die einem anderen Mädchen etwas erzählte. Sie sagte: Meine Tante hat ein Baby bekommen, und das war ein unglaublicher Lärm. Die andere fragte: Was für eine Art von Lärm? Sie hat das dann nachgemacht: ha, haa, haaa (Yoko Ono imitiert Gebärschreie), so in etwa.

Und ich dachte, warum sollen Frauen immer nur diese süßen, zärtlichen Lieder singen? Sie haben immerhin die Menschheit zur Welt gebracht, all dieses Gebären, das Kinderbekommen. Nur Frauen machen das, sie bringen die Kinder zur Welt. Sie sind die Schöpferinnen und haben die Macht. Und die Stärke, wenn sie Kinder gebären (imitiert noch mal Geburtsschreie): HAAA! Das klingt ja nicht nach ha-ha-ha (imitiert dünnes, zurückhaltendes Piepsen). Deshalb wollte ich der Welt zeigen, oder vielmehr: die Welt daran erinnern, die Welt verstehen lassen, dass Frauen mächtige Geschöpfe sind. Sie müssen stark sein, für die Welt, für die Gesellschaft. Ansonsten gäbe es gar keine Gesellschaft (lacht). Es ist besser für die Gesellschaft, wenn sie diese Macht der Frauen anerkennt, es ist auch besser für die Männer.

SZ: Als 1975 Ihr Sohn Sean geboren wurde, nahm sich John Lennon eine Auszeit von vier Jahren. War das in den Siebzigern nicht sehr progressiv?

Ono: Klar war das Avantgarde. John war der erste männliche Feminist. Was Feminismus und Rollenfragen angeht, haben wir uns immer gut verstanden. John sagte aber immer, Verstehen ist eins, aber wirklich machen ist etwas anderes.

SZ: Damals hat die Gesellschaft erst angefangen, das so zu sehen. Und heute?

Ono: Ich würde sagen, dass wir heute einen starken Rückschlag erleben. Starke Frauen stehen nicht sehr hoch im Kurs in der Gesellschaft. Und viele Männer sind nicht glücklich über starke, erfolgreiche Frauen.

SZ: Glauben Sie, dass man Beziehungen und Freundschaften der Vergangenheit idealisiert?

Ono: Nein, zumindest nicht, was John und mich betrifft. Sogar auf unserem Album "Double Fantasy" waren wir sehr ehrlich. Wir haben sowohl gezeigt, was uns am anderen aufgeregt hat, als auch, wie wir uns geliebt haben. Wir wollten zeigen, wie das funktionieren kann, die Sache mit den Männern und den Frauen.

Das komplette Interview lesen Sie in der Süddeutschen Zeitung vom 9. Oktober 10

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Quelle:
SZ vom 09.10.2010/ls
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