Süddeutsche Zeitung

Im Interview: Wigald Boning:Wollen Sie mein Tretboot sehen?

Lesezeit: 8 min

Ja, der Mann hat eine Hollywoodkarriere buchstäblich im Rollstuhl an die Wand gefahren. Vielleicht ist er auch darum im Interview so erfrischend ernst und zitiert Rilkes Satz vom Siegen. Oder liegt das an den Matjes nach Hausfrauenart und seinen Besuchen der Volkshochschule?

Wigald Boning wurde am 20. Januar 1967 in Wildeshausen geboren. Nach dem Abitur sang er in Punkbands. Erfolgreicher war er als Spaßmacher in Fernsehsendungen wie "Bonings Bonbons" (Premiere), "Extra3" (NDR) oder "Canale Grande" (Vox). Mit "RTL Samstag Nacht" wurde er deutschlandweit bekannt. Gemeinsam mit seinem Kollegen und Freund Olli Dittrich erhielt er für "Zwei Stühle - eine Meinung", ein Bestandteil der RTL-Sendung, den Grimme-Preis Spezial. Das Duo sang sich sodann auf dem Höhepunkt deutscher Spaßhysterie als "Die Doofen" in die Hitparaden. Bonings Prominenten-Talk "WiB-Schaukel" wird vom ZDF, das nicht weiß, was es an ihm hat, zur Geisterstunde gesendet. Wigald Boning lebt mit Frau und zwei kleinen Kindern in einem oberbayerischen Dorf.

SZaW: Herr Boning, bringen Sie uns bitte zum Lachen.

Boning: Ich habe eine Verwandte, die ist 98. Die war mit einem Marineoffizier verheiratet, der am Matrosenaufstand 1918 in Wilhelmshafen teilnahm. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Die Matrosen aber hatten sich vor der Meuterei schnell gegenseitig befördert. Bis heute bekommt die Frau deshalb die Rente eines Konteradmirals. Vom deutschen Staat finde ich das überaus ausdauernd.

SZaW: Ist Komik ein Ausdauersport?

Boning: Mehr ein Kunstbereich. Und natürlich eine Dienstleistung.

SZaW: Das war schon bei Chaplin und Tati so.

Boning: Nein, da ging es um mehr. Bei Tati wie bei Chaplin geht es um die Entfremdung des Proletariats. Denken Sie an den Pförtner in Tatis "Playtime". Wie der in seinem Kabuff verzweifelt versucht, irgendwelche Lichtsignale aus- oder anzuschalten. Er hat zehn Jahre lang in jeweils gerade fertigen Bauabschnitten des Flughafens Charles de Gaulle gedreht. Großartig. Dick und Doof waren natürlich erfolgreicher. Nun ja.

SZaW: Auch Ihre Band "Die Doofen" war sehr erfolgreich. Selbst für die Aufnahme eines Moorhuhnsongs waren Sie sich nicht zu schade.

Boning: Nee. Ich habe mich schon immer für die Bumsdisco interessiert. Außerdem habe ich in dieser Zeit viel über die Mechanismen des Neuen Marktes gelernt. Viele Leute hatten ja leuchtende Augen, weil sie glaubten, in zwei Monaten Milliardär zu sein. Sie führen heute noch immer Prozesse.

SZaW: Haben Sie am Neuen Markt spekuliert?

Boning: Nur ein bisschen. Man sollte immer vorsichtig sein mit dem Mehrheitsgeschmack.

SZaW: Sie reden von Geschmack? Sie tragen Kleider in Farben von frisch Erbrochenem.

Boning: Warum nicht? Auf der Cäcilienschule in Oldenburg gab es eine Clique, die mit Farbe bestrichene Klamotten und Schuhe trug. Zu dieser Clique gehörte ich.

SZaW: Hängt Ihre auffällige Kleidung auch mit ihrer Körpergröße von 1,68 Meter zusammen?

Boning: Indirekt vielleicht. Ich fand mich nie sexy.

SZaW: Wann hatten Sie Ihre erste Freundin?

Boning: Mit 17. Sie ist schon nach wenigen Monaten nach Paris gezogen. Sie war nicht ausdauernd.

SZaW: Sie haben in Punkbands gespielt.

Boning: Meine Helden waren Arto Lindsey, David Moss, DNA. Sehr spezielle Welt.

SZaW: Allerdings.

Boning: Meine erste Platte von Arto Lindsey war ein Import für 50Mark. Drei Minuten Spieldauer und Lindsey schrie immer "Lola, Lola". Bumsdisco mit verstimmter Gitarre. Sich damit zu beschäftigen war besser, als in der Theater AG Stücke zu spielen, die niemand verstand. Außerdem hasste ich es schon immer, laut zu sprechen.

SZaW: In Olli Dittrich jedenfalls fanden Sie ihr Gegenstück.

Boning: Er wurde Co-Produzent meiner Band "Wigald Boning und die Doofen". Unsere erste Schallplatte verkaufte sich 400 mal. Der BMG haben wir immer versucht klarzumachen, dass unsere Kampagne "Sei schlau, sei doof" was ganz Tolles sei. Und die haben uns angeschaut, als seien wir Bhagwan-Jünger. Zehn Jahre später verkauften Dittrich und ich als "Die Doofen" über eine Million Platten. Eine gewisse Genugtuung.

SZaW: Comedy-Welle und der Neue Markt ...

Boning: Ja.

SZaW:... das lässt sich doch vergleichen.

Boning: Ja.

SZaW: Ja?

Boning: Das Emporschießen von Dingen, von denen die Leute ebenso schnell wieder gelangweilt sind: Das tauchte Anfang der 90er erstmals auf. Heute ist es normal.

SZaW: Ist heute nicht wieder Ausdauer gefragt? Und Ernsthaftigkeit?

Boning: Jetzt kommen Sie mir bloß nicht mit der "Neuen Ernsthaftigkeit". Die kann ich schon seit dem 11. September nicht mehr hören. Komik und Tragik gehörten schon immer zusammen.

SZaW: Jedenfalls scheint seit dem Ende von "RTL Samstag Nacht" Ihre große Zeit als Komiker vorüber zu sein.

Boning: Nicht jeder Solokünstler kann nach seiner Ensemble-Tätigkeit so erfolgreich sein wie Robbie Williams. Ein Ensemble hat Volkspartei-Charakter. Gefällt einem etwas nicht, wartet man halt zwei Minuten und schon ist etwas anderes dran. Aber ich habe ja meine Sendung "WiB-Schaukel" - eine Mischung aus Margret Dünser und D.A. Pennebaker, dem Amerikaner, der 1965 Franz-Josef Strauß interviewte. Ohne ein Wort Deutsch zu können.

SZaW: Ist es Schikane, dass das ZDF die "WiB-Schaukel" freitags um ein Uhr nachts sendet?

Boning: Ein gutes Schachspiel findet auch nur unter zwei Menschen statt.

SZaW: Noch ein Witz: Sie sind Oldenburger und wohnen in Bayern. Warum?

Boning: Mit 16 war ich das erste Mal in den Bergen und dachte mir: Ich hätte auch gerne eine Hütte. Jetzt wohne ich immerhin in der Nähe einer Hütte.

SZaW: Aber Ihre Söhne wachsen jetzt als Bayern auf!

Boning: Ich versteh die manchmal gar nicht.

SZaW: Und Sie? Wie haben Sie sich integriert?

Boning: Ich bin in den Skiverein eingetreten, und mit ein paar Leuten mache ich am Wochenende Bergtouren. Wissen Sie, was eine "Hirabian" ist?

SZaW: Nein.

Boning: Hat bei mir auch ein Jahr gedauert. Es ist eine Hirnbirne, die man beim Laufen trägt. Eine Stirnlampe.

SZaW: Heißt es nicht, die Scheidungsquote auf dem Land sei höher?

Boning: Ich bin nicht verheiratet. Außerdem fahren wir ja hin und wieder zur intellektuellen Erbauung nach München. Gerade war ich an der Volkshochschule bei einem Vortrag über Mies van der Rohe.

SZaW: Hat man Sie erkannt?

Boning: Nein. Ich habe auch keine Zwischenfragen gestellt. Im Gegensatz zu einer emanzipierten Studentin, die wissen wollte, ob van der Rohes "Barcelona-Chair" nicht doch von dessen Frau entworfen worden sei. Eigentlich hätte sie behaupten können: "Frau van der Rohe wurde schwer unterdrückt von ihrem Macker."

SZaW: Finden Sie solche Vorträge komisch?

Boning: Man sollte sich davon lösen, alles unter Kriterien des Showgeschäfts zu studieren. Ah! Schlechte Dias! Wunderbar! Schon meine Eltern hatten diesen ausdauernden Bildungshunger.

SZaW: Gehören Sie eigentlich irgendeiner Kirche oder Glaubensgemeinschaft an?

Boning: Ich bin Katholik, aber schon seit vielen Jahren ausgetreten. In Wildeshausen, wo ich geboren bin, gehörte ich zur Diaspora, aber wenige Kilometer weiter war Süd-Oldenburg. Die katholischste Gegend direkt nach dem Vatikan.

SZaW: Warum sind Sie ausgetreten?

Boning: Mein Vater wollte Pfarrer werden. Dann kam meine Mutter dazwischen, und er wurde Banker. Und weil er sehr katholisch erzogen worden ist, legte er plötzlich Wert darauf, dass seine Kinder betont liberal erzogen werden. Zur Kirche gibt es bei mir keinerlei emotionale Bindung. Aber beim 25-jährigen Papst-Jubiläum habe ich mich schon ein bisschen geschämt, dass ich mit den Fachbegriffen nichts anfangen konnte.

SZaW: Glauben Sie an Gott?

Boning: Ich strotze vor Neutralität und bewundere Leute, die sagen, dass sie glauben.

SZaW: Herr Boning, während unseres Gesprächs waren Sie bisher ausdauernd ernsthaft. Erschreckend ernsthaft.

Boning: Bin ich immer gewesen. Jetzt esse ich Matjes nach Hausfrauenart. Und Sie?

SZaW: Zwiebelrostbraten.

Boning: Sehr schön. Rilke sagt: "Wer spricht von Siegen? Überleben ist alles."

SZaW: Den Satz kann man auf alles anwenden.

Boning: Man sollte sich bescheiden und auf das beschränken, wo man sich wirklich firm fühlt. Ausdauer ist genau dort gefragt.

SZaW: Das Scheitern gehört dazu?

Boning: Genau. Mein Buch "Fliegenklatschen in Aspik" war ein Flop. Und einmal habe ich ein Lied über die Concorde geschrieben. Supersonicsuperdooperlove. Dann stürzte in Paris die Concorde ab.

SZaW: Als Sie einmal Jürgen Möllemann in einem Fragebogen als Ihren größten Helden angaben - war das Ihr Ernst?

Boning: Möllemann wollte mich danach kennen lernen. Ich habe in Bonn mit ihm Bier getrunken, dann waren wir dreimal Fallschirmspringen. Jetzt ist er tot. Ich habe seine Originalität bewundert. Ausdauernde Exzentriker fehlen in der Politik. Am Ende war er zu begeisterungsfähig.

SZaW: Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?

Boning: Ich fuhr gerade mit meinem Fahrrad den Verlauf der Berliner Mauer ab. Kann ich sehr empfehlen. Meine Managerin rief an und sagte: "Fahr mal rechts ran. Möllemann ist abgesprungen." Schlimm. Einmal wollte er mich als Komiker für einen Vortrag bei einer FDP-Veranstaltung buchen. Da habe ich ihm geschrieben, dass das nicht gut sei für die Partei.

SZaW: Sind Sie immer noch FDP-Mitglied?

Boning: Ja. Aber ich war einmal bei einer Kreisverbandssitzung in Weilheim-Schongau. Die war um ein Uhr nachts zu Ende, um zwei lag ich im Bett, um sechs waren die Kinder wach. Da habe ich mir gedacht: Das ist der falsche Lebensabschnitt für so etwas.

SZaW: Schlimmerweise haben Sie FDP-Veranstaltungen moderiert und sind in einem Wahlkampfspot aufgetreten.

Boning: Worum ging es da?

SZaW: Sie waren ein Bademeister.

Boning: Ach ja. Ich rettete Deutschland vor dem Ertrinken. Der Spot wurde nie gesendet, denn just in der Woche, in dem er vorgestellt werden sollte, gab es die Flutkatastrophe an der Elbe. Zum Glück hat die Partei den Spot zurückgezogen. Für Solidarität, für das Bewahren des Guten und Alten und die persönliche Freiheit könnte ich mich auch als Politiker begeistern. Aber als romantischer Liberaler habe ich in der Politik wohl nichts verloren.

SZaW: Die Zeiten sind so romantisch nicht.

Boning: Nein. Eigentlich geht es ja um eine Reform des Föderalismus, um eine Machtbeschränkung des Bundesrates. Aber das kann nur ein romantischer Liberaler fordern. Mal sehen, wenn die Kinder groß sind, gehe ich vielleicht wirklich in die Politik.

SZaW: Als Komiker hätten Sie es dort schwer.

Boning: Wahrscheinlich. Als ich lange vor meiner Komiker-Zeit in einem Dokumentarfilm Prostituierte in der DDR interviewte, hielt ich das für ernsthaften Journalismus. Tatsache aber ist, dass man mir danach eine Comedy-Show anbot.

SZaW: Wussten Sie nicht schon von der Schule her, dass Sie auf Menschen eher unernst wirken?

Boning: Ich war weder Klassenkasper noch bewusst verkniffen. Auch ein Streber war ich nicht. Aber ich war Free-Jazz-Fan. Dort gab es immer eine Tradition des Absurden. Zum Beispiel Albert Ayler und seine Zirkusmärsche. Und William Borroughs habe ich immer unter einem humoristischen Aspekt gelesen. Das kann man doch nicht Ernst nehmen, wenn einem fünf Meter lange Elfenbeindildos in den Hintern gebohrt werden.

SZaW: Was allerdings immer noch nicht erklärt: Wie wurden Sie denn nun eigentlich Komiker?

Boning: Ich hätte gerne Philosophie studiert. Aber am letzten Tag meines Zivildienstes unterschrieb ich einen Plattenvertrag. Da bekam ich 1000Mark im Monat. Davon konnte man leben. Dann landete ich bei Premiere. Weil ich mir nie sicher war, ob jemand zuschaut, habe ich einmal meine private Telefonnummer durchgegeben. Da meldeten sich tatsächlich fünf, sechs Leute. Eine schöne Zeit. Ohne Quotendruck.

SZaW: Zweifeln Sie eigentlich an Ihrer Mehrheitsfähigkeit?

Boning: Ich habe es nie auf die Zustimmung der Massen angelegt und finde das total schick. Für mich gibt es zwei künstlerische Ansätze: Zum einen Miles Davis, der immer Trompete spielte, aber das Umfeld wechselte. Und Picasso, der alle paar Jahre völlig neue Phasen begann, aber als Picasso erkennbar blieb. Ich neige eher zum Ansatz von Miles Davis. Es hat mich übrigens gewundert, dass "RTL Samstag Nacht" mehrheitsfähig war. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, in den Studios von Hürth, denke ich zunächst an die Garderobe. Dort fuhr oft der Orient-Express vorbei. Wir versammelten uns dann am Fenster und blickten ihm sehnsüchtig nach.

SZaW: Wenn Sie irgendwann einmal einen Beruf außerhalb des Fernsehens ergreifen müssten - was würden Sie tun?

Boning: Ich würde gerne ein Studium beginnen. Oder die Wanderjahre, die ich nie gehabt habe, nachholen. Die ägyptischen Pyramiden würde ich gerne mal im Original sehen, denn ich kenne nur das "Luxor" in Las Vegas. Dort habe ich vor Jahren einmal vorbeigeschaut, als ich einen Film in Los Angeles drehte.

SZaW: Sie haben in einem amerikanischen Film mitgespielt?

Boning: Das habe ich bisher erfolgreich verschwiegen. Ich hatte eine Hauptrolle - und den falschen Text gelernt. In meiner ersten Szene sollte ich mit einem elektrischen Rollstuhl fahren, den ich allerdings nicht beherrschte. Ich drückte einen Schauspieler gegen ein Regal mit Porzellantellern, das zusammenbrach. Das war mein Einstand in Hollywood. Es folgten keine weiteren Angebote.

SZaW: Und nun rennen Sie als Ausdauersportler in Ihrer Freizeit auf die Zugspitze oder nehmen an Marathonläufen teil.

Boning: Ja. Zwischenzeitlich wollte ich als Jugendlicher nämlich Weltmeister im Diskuswerfen werden. Aber ich war zu klein und hatte zu wenig Hebelkräfte.

SZaW: Bei Ebay haben Sie vor zwei Wochen ein Tretboot ersteigert.

Boning: Mein Lebenstraum ist eine Tretboot-Tour vom Bodensee bis zur Nordsee. Ich muss jetzt erst einmal die Ausdauer des Materials testen.

SZaW: Na dann: Viel Glück.

Boning: War's das schon? Wollen Sie mein Tretboot sehen?

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Quelle:
SZaW v. 10./11.01.2004
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