Im Interview: Star-Auktionator von Sotheby's:Wir werden nichts sein

"Ein bisschen ungemütlich": Sotheby's-Star-Auktionator Tobias Meyer über Rekordpreise, seine Spießigkeit und Tränen vor einem Bacon-Gemälde.

Jörg Häntzschel

Tobias Meyer, 45, ist bei Sotheby's Chef der Abteilung für zeitgenössische Kunst. Seine Karriere begann der Deutsche, der in Wien Kunstgeschichte studierte, bei Christie's in London. Heute ist er der bekannteste Auktionator der Welt. Er lebt in New York.

SZ: Sie haben sich schon als Kind für Kunst begeistert, aber Auktionator - wie wird man das?

Tobias Meyer: Ich wollte es nie werden. Ich bin ein sehr privater, introvertierter Mensch. Aber als ich das erste Mal dort oben stand, dachte ich: Wow, nicht schlecht! Die Leute sehen meine angeborene Kühle, aber sie sehen auch, dass ich ihre Leidenschaft teile. Diese Mischung scheint zu funktionieren

SZ: Sie haben das Bild von Ihrem Beruf im Alleingang umgekrempelt. Der Auktionator, das war früher eine Art Amtsperson. Sie hingegen werden gerne als "Sotheby's 007" bezeichnet.

Meyer: Vielleicht bin ich das Gesicht dieser ganzen Aufregung geworden. Sehen ist heute wichtiger als verstehen. Da war ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, meine Stimme war dunkel, mein Blick intensiv genug. Aber man darf das nicht so ernst nehmen, am wenigsten sich selbst.

SZ: Die Rezession in den USA hat dem Kunstmarkt bisher kaum geschadet. Ist er wirklich so sicher vor einem Crash?

Meyer: Wir machen Auktionen in Hongkong, bald auch in Moskau, Peking, Indien. Einmal im Monat irgendwo auf der Welt, jedes Mal mit 100 Millionen Umsatz. Die neue Weltwirtschaftsordnung hilft uns enorm. Lokale Märkte, die ein spezifisches Wissen erfordern, sind weniger erfolgreich als globale Märkte. Werke von Jeff Koons, Andy Warhol sind global sichtbare Objekte. Die Preise werden bestimmt von den reichsten globalen Bietern. In New York sind 20 Millionen Dollar viel Geld; in Hongkong nichts. Deshalb sieht man Preise wie die 70 Millionen Dollar für den Rothko. Ich wusste, dass der an den Neuen Markt geht. An jemanden, der vielleicht vor fünf Jahren gar nicht wusste, wer Rothko war.

SZ: Wie erleben Sie dieses Aufholen bei den neuen Sammlern?

Meyer: Diese Leute treffen Entscheidungen mit ihrem Bauch genauso wie mit ihrem Kopf. Über ihren Instinkt werden sie von einem wirklich großartigen Kunstwerk angesprochen. Aber man muss ein wenig nachhelfen. Zum Beispiel mit dem Auktionskatalog. Wir sagen: der Rothko ist eine Ikone, genau wie ein Matisse. Dasselbe machen wir jetzt bei dem Francis Bacon, den wir in der nächsten Auktion haben. Ein Triptychon von 1976. Es geht um Prometheus, der natürlich ein Künstler ist, der unter seinem Talent leidet. Schätzpreis ist 60, 70 Millionen Dollar.

SZ: Überheblichkeit gegenüber diesen neuen Sammlern wäre fehl am Platz.

Meyer: Sie wäre unglaublich provinziell. Diese Leute werden uns alle auffressen. Wir werden nichts sein. Der Westen weiß immer noch nicht, dass die Zukunft der Welt nicht im Westen stattfinden wird. Ganz Europa wird wie Venedig sein, wo du hingehst, um nett zu essen und dich stressfrei zu unterhalten.

SZ: Was wird aus der Kunsthauptstadt New York?

Meyer: Die neuen Sammler haben ihr Appartement im Mandarin Tower oder 15 Central Park West. Im Mai kommen sie für eine Woche, gucken sich ein bisschen New York an und kaufen sich ein dickes Bild. Die Architektur von Manhattan hat eine Theatralik, die zusammen mit der Auktion gut funktioniert.

SZ: Viele Museen können bei den heutigen Preisen kaum noch mithalten. Großsammler wie Eli Broad oder François Pinault agieren ihrerseits wie Museumsdirektoren.

Meyer: Hier in den USA umwerben die Museen die Sammler um an Leihgaben und Schenkungen zu kommen. Das Verhältnis funktioniert sehr gut weil die Sammler Steuern sparen. In Europa fehlt es an einer solchen Steuerstruktur . Was die großen Sammler angeht: Da ist eine enorme Professionalisierung zu beobachten. Jeder meiner Kunden könnte sofort eine Galerie aufmachen. Die wissen wahnsinnig viel.

SZ: Trägt der boomende Markt zur Spaltung der Kunstproduktion in Museumskunst und Kunstmarktkunst bei?

Meyer: Es gibt immer Kunst, die für den Genuss einer bourgeoisen Schicht gemacht wird. Und Künstler, die sich dem Markt entziehen, wie Joseph Beuys.

SZ: Nicht jeder will einen Fettbatzen im Wohnzimmer haben.

Meyer: Aber zeitgenössische Kunst hat ihren Angstcharakter verloren. Mit Courbet und dem Salon des Refusés trennte sich um 1860 die Bourgeoisie von der Avantgarde. Duchamps Urinal und Beuys' Fettstuhl markierten die Höhepunkte dieses Zerwürfnisses. Heute aber schockiert die zeitgenössische Kunst niemanden mehr. Früher hörte ich ständig: Das kann mein Kind! Man hängte vielleicht ein Nolde-Aquarell auf. Das ist vorbei. Heute wollen alle Damien Hirst, Jeff Koons, Richard Prince. Es hat von 1860 bis 2000 gedauert, bis das wohlhabende Bürgertum aufhörte, sich über die zeitgenössische Kunst lustig zu machen.

SZ: Sie werden oft als der letzte Ästhet beschrieben. Sie studierten nach der Schule Meissner Porzellan, während die anderen Fußball spielten. Da müsste Ihnen heutige Kunst eher fremd sein.

Meyer: Ich bekenne öffentlich meine Schwierigkeit damit. Ich weiß nicht, was gut und was schlecht ist. Deshalb mache ich ja meinen Job: um es mir ein bisschen ungemütlich zu machen. Sonst hätte ich ja in die Möbelabteilung gehen können. Ich kann Ihnen sämtliche Cresson-Kommoden runterrattern. Aber das erfordert von mir keine Auseinandersetzung mit Neuem. Gottseidank hat mein Lebenspartner ein unglaubliches Gespür und schleift Dinge nach Hause, zu denen ich nun "ja" sagen muss. Einmal habe ich "nein" gesagt: zu Murakamis "Lonesome Cowboy". Wir hätten ihn für 17 000 Dollar haben können; jetzt ist er drei bis vier Millionen wert. Aber meine Mutter kam gerade zu Besuch. Da stand mir meine eigene Spießigkeit im Weg.

SZ: Wie reagieren die zeitgenössischen Künstler auf den Boom?

Meyer: Jeff und Damien und Richard Prince machen Kunst, die sie verkaufen können. Sie mögen den Markt und sie mögen die finanzielle Sicherheit. Die jüngste Generation der Künstler wehrt sich dagegen. Dan Colen, Nate Loman, diese Jungs machen genau wie Beuys Installation. (Er googelt Namen an seinem Computer) - Dan Colen. Hier. Wir haben einen von denen bei uns im Schlafzimmer (er zeigt auf das Foto eines bekleckerten Papierfelsens) . Und das hier (er zeigt eines von Dan Colens Spray-Bildern): "Rama Lama Ding Dong", nein, wir haben ein anderes, wir haben "Dirty Fucker".

SZ: Lange war es schwer, noch bedeutende Werke für Auktionen zu finden. Wenn "divorce, death and debt" die Leute zum Verkaufen treiben, müssten Sie es in Zeiten der Kreditkrise ja leicht haben.

Meyer: Das Schlimme ist, dass die Armen von der Finanzkrise betroffen sind, nicht die Reichen. Bush hat es geschafft, so zu tun als stamme er aus der Mitte von Amerika. Heute ist die Mitte von Amerika sowas von finanziell kaputt. Doch die Reichen kaufen genau wie vorher. Wer heute verkauft, das sind die, die ihren Rothko seit 30 Jahren haben. Plötzlich ist er 30 Millionen wert und sie haben Angst vor einem Wasserschaden.

SZ: Warum überhaupt Kunst besitzen?

Meyer: Da ist zum einen der Urinstinkt, das, was einem etwas gibt, in die eigene Höhle zu zerren. Das hat auch etwas Pseudo-Erotisches. Dann geht es um die Manifestation es eigenen Ich, um soziale Differenzierung, die Darstellung des eigenen Erfolges. Kunst hat das immer gemacht. Da muss man nur nach Urbino gehen. Da hat man 1460 Piero della Francesca geholt und aufgefordert: Mach' das mal, damit wir besser aussehen als unsere Nachbarn!

SZ: Langweilt Sie das Reden von den Preisen nie?

Meyer: Ich werde dafür bezahlt, dass ich die Werke teuer mache.

SZ: Sie denken nie: Ist mir völlig egal, ob der Bacon nun 50 oder 80 Millionen kostet. Was zählt ist das Bild!

Meyer: Das ist mein privates Vergnügen. Ich hatte den Bacon hier drei Wochen hängen. und immer Tränen in den Augen, wenn ich über ihn redete. Wenn es mir irgendwann mal keinen Spaß mehr macht, dann gehe ich einfach. Das Tolle an meinem Job ist, dass es immer wieder etwas Neues gibt. Nach den Auktionen im November fragte ich mich: Was denke ich mir jetzt aus? Da kommt dieser Bacon reingeschwappt!

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