Im Interview: Samuel Maoz:"Man fühlt sich wie ein Henker"

Es hat 25 Jahre gedauert, bis er bereit für seinen Kriegsfilm war: Regisseur Samuel Maoz über "Lebanon", Trauma-Therapie und die Unmöglichkeit, rational vom Krieg zu erzählen.

D. Kuhn

Der Filmemacher Samuel Maoz ist Jahrgang 1962 - doch "Lebanon", mit dem er letztes Jahr in Venedig als erster israelischer Regisseur den Goldenen Löwen gewann, ist sein Spielfilmdebüt. Hier erklärt er, warum er für diesen fulminanten Start mehr als 25 Jahre gebraucht hat.

Im Interview: Samuel Maoz: Der israelische Regisseur Samuel Maoz hat mit "Lebanon" den Goldenen Löwen gewonnen.Im Interview erklärt er, warum der Film auch Trauma-Bewältigung war.

Der israelische Regisseur Samuel Maoz hat mit "Lebanon" den Goldenen Löwen gewonnen.Im Interview erklärt er, warum der Film auch Trauma-Bewältigung war.

(Foto: AFP)

SZ: Der Libanon-Krieg, ausschließlich aus dem Inneren eines Panzers heraus gesehen - wie kam es zu diesem Konzept?

Maoz: Weil ich keine konventionelle Geschichte erzählen wollte. Hier geht es nicht darum, was man sieht. Hier geht es um Gefühle, um die Verletzung der Seele. Ich möchte etwas mitteilen, das ich erfahren habe, das man aber rational unmöglich verstehen kann. Ich kann Ihnen nicht mit Worten klarmachen, was im Inneren eines Menschen passiert, der einen Krieg erlebt. Ich musste also ein Konzept finden, um Ihnen das Verstehen zu ermöglichen. Ich wollte Erfahrungen vermitteln, also musste ich Sie nehmen und in den Panzer stecken. So identifizieren Sie sich mit den Figuren, Sie sehen nur, was diese sehen, Sie wissen nur, was diese wissen.

SZ: Sie wollen den Krieg realistisch vermitteln?

Maoz: Nicht nur. Natürlich will ich ein realistisches Bild vom Krieg zeigen, ohne heldenhafte Überhöhung, aber hauptsächlich brauche ich diesen Film, um mir selbst zu vergeben. Vielleicht ist Vergebung nicht das richtige Wort. Vielleicht suche ich eher Verständnis. Denn ich fühle mich verantwortlich, ich fühle mich schuldig.

SZ: Sie nehmen den Krieg Ihres Landes auf Ihr Gewissen?

Maoz: Immerhin war ich dabei. Die Verantwortung ist unvermeidlich, sie ist ein Teil meines Schicksals. Wie man es in meinem Film sieht: Wenn ich schieße, bin ich ein Killer - aber wenn ich nicht schieße, bin ich auch ein Killer. Ich war da, und ich habe geschossen, und das reicht für mich, um Verantwortung zu übernehmen. Um mich schuldig zu fühlen. Auch wenn ich von keinem Gericht schuldig gesprochen würde. Aber ich bin ein normaler Mensch. Normale Menschen können nicht töten und dann heimgehen und so weiterleben, als sei nichts geschehen. Also ist es für mich sehr wichtig, meine Situation möglichst vielen Menschen zu zeigen. Vielleicht verstehen sie dann, warum ich tat, was ich tat. Es ist nicht einfach zu verstehen. Es ist nicht so amerikanisch, wie die meisten Leute denken.

SZ: Amerikanisch, was heißt das?

Maoz: Ich meine, dass die meisten Leute den Krieg aus dem Kino kennen, und zwar hauptsächlich aus dem amerikanischen. Dort ist er eine Form von Unterhaltung. Das Publikum bekommt, was es haben will: Helden. Wenn jemand stirbt, stirbt er ansehnlich. Sein Haar kommt nicht durcheinander. Kein Schmutz.

SZ: In Ihrem Panzer sieht man ungeheuer viel Dreck.

Maoz: Ja, so war der Krieg. Das ist meine Erfahrung aus dem Krieg. Ich kann sicher nicht "die Wahrheit" über den Krieg sagen, aber ich kann meine Sicht auf den Krieg zeigen. Wenn ich aus meinem Panzer steigen und anfangen würde, etwas zu erzählen, das ich nicht wirklich gesehen habe - dann würde ich lügen.

SZ: Sie hatten keinerlei Übersicht?

Maoz: Auch die Soldaten draußen hatten keine Übersicht. Auch die Kommandanten nicht. Niemand hatte irgendeine Ahnung, was eigentlich passierte, gerade in diesem Krieg. Man wusste nicht, wer Freund war und wer Feind. Der Krieg fand in Städten statt, die sogenannten Feinde trugen Jeans. Man konnte den Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten nicht erkennen.

SZ: Wie war die Beziehung zu Ihrem Panzer?

Maoz: Die Beziehung zum Panzer ist eine komplexe Sache. Der Panzer bietet Schutz. Draußen stirbt man wie eine Fliege. Drinnen ist es schwer, zu sterben. Aber es ist auch schwer, drin zu leben.

SZ: Ist Schutz nicht das, was man will?

Maoz: In der Armee gibt es eine Hierarchie: Wenn man talentiert ist, wird man Pilot. Um zu den Bodentruppen zu kommen, muss man sich freiwillig melden. Die Piloten sind die Soldaten erster Klasse. Die Bodentruppen sind die Coolen. Die Panzer sind die Sklaven. In den Panzern sitzen die Arbeiter. Das Töten ist sehr schwer aus einem Panzer.

SZ: Warum?

Maoz: Wenn ein Pilot tötet, wirft er eine Bombe ab. Wenn ein Bodensoldat tötet, rennt er im Kugelhagel herum, er wird selbst beschossen und wehrt sich. Im Panzer ist es anders, das Töten ist wie Auftragsmord. Man ist zwanzig Jahre alt und fühlt sich wie ein Henker. Man kann seine Opfer ganz genau sehen. Man sieht ihre Gesichter wie in einer Nahaufnahme. Wenn man einen Fehler macht, sieht man den Fehler ganz genau. Wenn man jemanden tötet, hat man die Zerstörung direkt vor Augen.

SZ: Aber niemand sieht Sie im Panzer. Sie sind der verborgene Killer.

Maoz: Zu mir kommen Zuschauer, die mir erzählen, dass ihnen Panzer bisher so ähnlich wie Tiere vorkamen. Sie sind in der Schlacht und sie kämpfen, aber niemand realisiert, dass in ihnen Menschen stecken. Es ist, als ob die Panzer eigene Lebewesen wären.

SZ: Kann man aus dem Panzer entkommen?

Maoz: Am Anfang hofften wir, dass wir verletzt würden. Wir dachten an eine leichte Verletzung, etwa eine Kugel ins Bein. Damit darf man nach Hause. Wir schauten den Hubschraubern nach, daraus winkten uns die Verletzten zu. Wir waren sehr eifersüchtig auf die Bodentruppen, denn bei ihnen wird man ganz schnell verletzt.

SZ: Sie wollten draußen kämpfen, um die Verletzungsgefahr zu erhöhen?

Maoz: Ja. Wir waren wie Kinder. Sie müssen sich zwanzigjährige Kinder vorstellen. Später dann haben wir uns ausgemalt, welchen Tod wir uns wünschten. Jetzt hört sich das dumm an, aber unser größter Wunsch war, wenigstens ordentlich zu sterben. Durch eine Kugel ins Herz zum Beispiel.

SZ: Wie lange waren Sie im Panzer?

Maoz: Der Krieg dauerte 44 Tage.

SZ: Haben Sie den Film gemacht, um diese Zeit zu verarbeiten?

Maoz: Ich stellte fest, dass der Film die beste psychologische Behandlung war, die ich bekommen konnte.

SZ: Warum?

Maoz: Weil ich seit 25 Jahren nicht über diese Ereignisse gesprochen habe. Vor drei oder vier Jahren hätten wir beide uns einen ganzen Abend lang unterhalten können, oder eine Woche, oder einen Monat - ich hätte Ihnen nichts von all dem erzählt. Es ist schwierig, überhaupt darüber zu reden. Ich bin froh, dass ich ein Filmregisseur bin, so habe ich eine Möglichkeit, meine Gefühle auszudrücken. Es gibt massenhaft Menschen, die diese Last nirgends loswerden. Sie müssen sie bis an ihr Lebensende tragen.

SZ: Warum fassten Sie jetzt den Entschluss, nicht bloß darüber zu reden, sondern die Ereignisse auch ins Bild zu setzen?

Maoz: Ich habe das schon früher versucht, aber ich konnte es nicht. Sobald ich anfing, ein Script zu schreiben, ging es ein oder zwei Seiten gut, dann hatte ich bereits diesen Geruch in der Nase. Das war immer die erste Erinnerung: der Geruch von brennendem Fleisch. Wenn ich das roch, musste ich aufhören. Dann wartete ich wieder. Ich wollte den Film nicht nur als jemand machen, der an diesem Krieg teilgenommen hatte, sondern als ein Regisseur, der seine Gefühle unter Kontrolle hat. Ich wollte keine emotionale Verbindung.

SZ: Es hat Sie 25 Jahre gekostet, diese Distanz herzustellen.

Maoz: Aber danach habe ich das Drehbuch innerhalb von vier Wochen geschrieben. Und wenn ich jetzt Mitleid mit der Hauptfigur habe, dann ist es Mitleid, das ich für eine Figur in einem Film empfinde - nicht Mitleid für mich selbst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: