Regisseur Cyril Tuschi:"Ich kann nicht immer Angst haben"

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Für seinen Dokumentarfilm "Khodorkovsky" hat Regisseur Cyril Tuschi viel durchgemacht. Nun ist er dafür ausgezeichnet worden. Ein Gespräch über Ehrlichkeit, Geld und das Klappmesser in der Tasche.

Paul Katzenberger

Es war, als sei er im falschen Film gelandet. Im Februar fühlte sich der Berliner Regisseur Cyril Tuschi plötzlich als Hauptdarsteller eines schlechten Krimis, der allerdings in der Realität spielte: Genau am Tag der endgültigen Fertigstellung seines Dokumentarfilmes "Khodorkovsky" entwendeten Einbrecher eine Kopie des brisanten Streifens. Plötzlich stand die Frage im Raum, ob der russische Geheimdienst wieder seine Fäden spinnt - Tuschi machte sich plötzlich vermehrt Gedanken über seine persönliche Sicherheit. Bei der Berlinale im Februar konnte der Film bei großem Publikumsandrang nur unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen gezeigt werden. Inzwischen erfreut sich Tuschi einer konstruktiveren Aufmerksamkeit: Beim Münchner Dokumentarfilmfest, das an diesem Mittwoch zu Ende ging, wurde der Film erstmals prämiert - und zwar mit dem Hauptpreis.

Regisseur Cyril Tuschi über Michail Chodorkowskij: "Ich glaube einfach, der hatte so viel Geld, dass er sich überlegt hat: Was ist denn noch wichtig im Leben?" (Foto: Laura Gerlach)

sueddeutsche.de: Herr Tuschi, Gratulation! Ihr aktueller Film Khodorkovsky hat gerade seinen ersten Preis erhalten.

Cyril Tuschi: Danke. Ich war ganz überrascht.

sueddeutsche.de: Dabei hat Khodorkovsky bei der Berlinale noch viel mehr Hype erzeugt, obwohl der Film unprämiert blieb. Da wurde sich ja fast um die Eintrittskarten geprügelt. Wie ist Ihr Film vom Münchner Publikum aufgenommen worden?

Tuschi: In Berlin kann ich mich nur noch an den Rausch mit den vielen Leuten erinnern. Das war sehr spannend. Aber in München hatte ich viel mehr Zeit, mit dem Publikum zu reden, und deswegen kamen mir die Fragen in München gehaltvoller und tiefergehender vor. Ich hatte mit dem Publikum zwei Mal über zwanzig Minuten Zeit - das ist schon etwas Besonderes heutzutage.

sueddeutsche.de: Hatten Sie denn das Gefühl, dass die Aufregung um Ihren Film abnimmt?

Tuschi: Im Gegenteil: Ich war überrascht, dass sich noch so viele Leute erinnern konnten. Aber die Außenwahrnehmung ist oft anders als die Innenwahrnehmung. Ich merke jetzt erst langsam, dass Leute sogar weltweit, etwa in Washington, D.C. oder in Los Angeles, von dem Film gehört haben.

sueddeutsche.de: Während der Berlinale haben Sie sich persönlich bedroht gefühlt, weil kurz zuvor in ihre Produktionsräume eingebrochen worden und dabei eine Kopie mit der Endfassung ihre Films abhanden gekommen war. Es gab damals Spekulationen, hinter dem Einbruch steckten russische Regierungskreise. Haben Sie immer noch Angst?

Tuschi: Genau wie Chodorkowskijs Sohn in dem Film sagt, dass er nicht immer um den Vater weinen könne, kann ich nicht immer Angst haben.

sueddeutsche.de: Sie bewegen sich also wieder völlig frei. Im Februar konnte da ja noch ein gegenteiliger Eindruck entstehen.

Tuschi: Bis vor zehn Tagen hatte ich noch immer so ein Klappmesser dabei, bis mir ein Kriminaloberrat gesagt hat: "Legen Sie das weg, das ist sinnlos." Das habe ich dann gemacht, es wurde auch Zeit. Meine Eltern sagen mir aber immer noch, ich solle nicht nach Russland fahren, obwohl ich es gerne möchte.

sueddeutsche.de: Werden Sie denn noch beschützt?

Tuschi: Nein, das Negativbeispiel ist doch Roberto Saviano, der das Buch Gomorrha geschrieben hat. Der arme Kerl muss sich jedes Mal, wenn er seine Mutter besuchen will, ein neues Handy besorgen und hat ständig Leibwächter um sich herum, das ist doch Horror. Mein nächstes Projekt wird wieder ein Spielfilm, ich habe erst mal genug.

sueddeutsche.de: Sie haben ja auch gesagt, dass Sie gar nicht davon ausgehen, dass russische Regierungskreise hinter dem Einbruch stecken.

Tuschi: Ich hoffe es zumindest.

sueddeutsche.de: Ist es also nur ein dummer Zufall, dass Ihnen genau die Rechner mit den Filmkopien schon einmal davor entwendet worden waren?

Tuschi: Dadurch, dass es zwei Mal passiert ist und noch dazu ausgerechnet an dem Abend, an dem der Film endgültig fertig war, war es schon sehr schräg. Es kamen ja auch nur die Sachen mit den Kopien weg und die anderen nicht. Aber ich hoffe, das es so nicht ist.

sueddeutsche.de: Wäre es von russischer Seite nicht einfach nur blöd?

Tuschi: Ja, schon. Aber die Russen machen ohnehin viele blöde Sachen, was die PR für ihr eigenes Land angeht, insofern kann ich es mir dann doch wieder vorstellen. Leider sagte mir ein befreundeter russischer Geheimdienst-Mann, dass das genau der Stil seiner Kollegen sei. Aber ich glaube es dennoch nicht und hoffe es auch nicht.

sueddeutsche.de: Sie haben fünf Jahre an dem Film gearbeitet - hat sich in dieser Zeit Ihre Meinung über Chodorkowskij geändert?

Tuschi: Auf jeden Fall, mehrmals. Und ich habe auch versucht, das in dem Film zu zeigen.

sueddeutsche.de: Sie zeigen, wie sich Chodorkowskij vom Komsomolsekretär zum klassischen russischen Oligarchen und schließlich zum politisch und sozial engagierten Unternehmenslenker gewandelt hat. Doch diese Metamorphosen waren beendet, als Sie mit Ihrem Film begannen. Wer ist der echte Chodorkowskij? Der Räuberbaron mit Brille im Porschedesign und Schnauzbart oder der Philantrop mit randloser Brille?

Tuschi: In dem Film versuche ich meine persönliche Wahrnehmungsveränderung von Chodorkowskij zu zeigen. Zuerst hatte ich ganz naiv gedacht: Na, der Arme, das ist das Opfer. Doch dann habe ich gesehen, was in den neunziger Jahren gelaufen war und habe wirklich krasse Sachen über ihn gehört. Weil diese Dinge nur zum Teil verifizierbar waren, habe ich diese superharten Vorwürfe gegen ihn gar nicht in den Film genommen.

sueddeutsche.de: Den Mordvorwurf haben Sie ja drin. Wie viel schlimmer können die anderen Vorwürfe denn noch sein?

Tuschi: Es geht um Geldwäsche und Waffenexporte, die von seiner Bank Menatep mit organisiert worden sein sollen. Das habe ich ganz bewusst weggelassen, weil es sich eben nicht belegen ließ. Es kann natürlich sein, dass diese Vorwürfe berechtigt sind, es kann aber auch Black PR der anderen Seite sein.

sueddeutsche.de: Dafür zeigen Sie aber diesen anderen - sozial engagierten - Chodorkowskij ab dem Jahr 2000.

Tuschi: Genau. Warum diese Veränderungen kamen, kann ich nicht erklären, sondern nur andeuten, deswegen habe ich es bei den äußerlichen Veränderungen belassen, weil diese ja auch immer einhergehen mit den inneren Veränderungen. Ich glaube einfach, der hatte so viel Geld, dass er sich überlegt hat: Was ist denn noch wichtig im Leben?

sueddeutsche.de: War es wirklich so profan?

Tuschi: Chodorkowskij hat ja einmal gesagt, er sei wie Rockefeller, nur drei Generationen von Rockefeller auf einmal. Die hätten auch zuerst Raubtierkapitalismus gehabt, bei dem Leute über den Tisch gezogen und sogar umgebracht worden seien, wie bei der Mafia. Dann seien die Rockefellers zu einer Riesenfirma geworden und schließlich zu einer Wohltätigkeitsorganisation - die Rockefeller Foundation ist ja immer noch eine der bekanntesten Stiftungen der Welt. Chodorkowskij meint, er sei all das in einer Generation und er ist sich seiner Veränderungen durchaus selber bewusst.

sueddeutsche.de: Das klingt wie die Läuterung zu einem besseren Menschen. Nehmen Sie ihm die ab?

Tuschi: Der Punkt ist: Die Geschichte wird die Wahrheit zeigen. Ich glaube aber, dass sich Menschen verändern können, egal wie spät das passiert und egal wie gering die Veränderungen sind. Ich glaube schon, dass er sich verändert hat und das sogar schon vor dem Knast.

sueddeutsche.de: In dem Film vertritt sein früherer Schweizer Berater Christian Michel die These, Chodorkowskij habe sich durch seine Gefängnisstrafe von dem auch sich selbst gegenüber erhobenen Vorwurf befreien wollen, dass er einmal ein dubioser Oligarch war. Teilen Sie diese Ansicht?

Tuschi: Ich halte sie zumindest für sehr gut möglich.

sueddeutsche.de: Ihr Film vermeidet eine klare Aussage, ob Chodorkowskij zu Recht oder zu Unrecht im Gefängnis sitzt. Vielmehr versuchen Sie mit Befragungen von Zeugen wie Joschka Fischer oder Chodorkowskijs früheren Weggefährten und Widersachern Erklärungshilfen zu geben. Welche Zeugen haben Sie persönlich am stärksten beeindruckt?

Tuschi: Sein Ex-Partner Leonid Nevzlin, der die restlichen Anteile Chodorkowskijs an dem Yukos-Konzern mit übernommen hat und in Israel untergeschlüpft ist. Außerdem hat mich auch Joschka Fischer sehr beeindruckt, in seiner direkten aber auch abgebrühten Art.

sueddeutsche.de: Nevzlin in seinem Goldenen Käfig in Israel zeigt offenes Unverständnis dafür, dass Chodorkowskij so offen und bewusst ins Messer lief. Das ist sicher eine Schlüsselstelle des Filmes. Aber was genau hat Sie an Fischer fasziniert?

Tuschi: Dass er ganz klar und freiheraus sagt, wie offen Putin erzählt hat, wie man die Firma an sich reißen kann. Das fand ich einfach sehr ehrlich. Beeindruckt hat mich auch Christian Michel ...

sueddeutsche.de: ... der den frühen Chodorkowskij dabei beraten hat, wie man dieses gigantische Vermögen zusammenraffen kann.

Tuschi: Durch den habe ich erst gelernt, warum Jelzin die ganzen Unternehmen an die Russen verschenkt hat. Das habe ich vorher nie verstanden.

sueddeutsche.de: Das ist ja auch unverständlich. Was hat Jelzin angetrieben?

Tuschi: Russland hat damals nach Nationalinteressen gehandelt. Kein Land der Welt - Deutschland nicht, Frankreich nicht, Amerika nicht - würde seine Resourcen zu hundert Prozent an das Ausland verkaufen. Da damals aber in Russland keiner Kapital hatte, haben sie einfach die Firmen fast verschenkt.

sueddeutsche.de: Sie haben mit Chodorkowskij das erste persönliche Interview in den vergangenen sieben Jahren geführt, und zwar als er in dem bekannten Käfig im Gerichtssaal steht. Chodorkowskij wirkt dabei sehr abgeklärt, geradezu sanftmütig und auch sehr philosophisch. Ist er wirklich so stark?

Tuschi: Nach dem was wir mitbekommen, ist es so. Ich glaube aber, dass er sehr gefühlskontrolliert ist, und dass er sich genau überlegt, was er macht und wie er wirkt.

Der Film "Khodorkovsky", der im Oktober in die deutschen Kinos kommt, wurde beim diesjährigen Dokumentarfilmfest in München mit dem Hauptpreis (DOK.international) ausgezeichnet. Die übrigen Preisträger sind:

- "El Mocito" von Marcela Said, Chile (DOK.horizonte)

- "Wadans Welt" von Dieter Schumann, Deutschland (DOK.deutsch)

- "El Bulli - Cooking in Process" von Gereon Wetzel, Deutschland (FFF-Förderpreis)

- "Tigernase" von Lobsang Tashi Sobtrug, Schweiz (mimikri media preis)

- "My Mother Oak" von Mahmoud Rahmani, Iran (lobende Erwähnung der Jury DOK.horizonte)

- Bad Boy Kummer ( Im Kino: "Bad Boy Kummer" - Warum darf ich kein Dichter sein?) von Miklos Gimes, Ungarn (lobende Erwähnung der Jury DOK.deutsch)

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