Im Interview: Michelle Yeoh:"Bei Bedrohungen ergreife ich die Flucht"

Als teuerste Stuntfrau der Welt geht Michelle Yeoh keiner gefährlichen Filmszene aus dem Weg. Mit uns sprach das ehemalige Bond-Girl über Training, Tunneldenken und private Ängste.

Marten Rolff

Eigentlich müsste sie müde sein. Sie hat am Vorabend auf dem Festival im norwegischen Tromsö ihren Film "Far North" vorgestellt. Dann hat sie mit begeisterten Gästen bis in die Nacht getanzt und damit ihren Ruf als kumpelhafte Wunderfrau auch am Polarkreis zementiert. Dennoch erscheint Michelle Yeoh pünktlich zum Frühstück im Café ihres Hotels. Ein Energie-Punkt im knallroten Rolli vor einer Panoramascheibe, die den Blick auf eine dramatische Fjordlandschaft freigibt. Ihre drei Croissants rührt sie nur an, um die vielen Verletzungen ihrer Karriere zu erläutern. "Das ist jetzt mein Rücken", sagt sie - und biegt die Croissant-Enden aneinander, bis der Blätterteig bröselt.

SZ: Sie wirken so fit, war der Abend nicht sehr anstrengend gestern?

Yeoh: Oh, das täuscht, ich bin müde. Normalerweise bin ich vor Mitternacht im Bett. Dafür stehe ich morgens gern um sechs Uhr auf. Aber gestern ging das nicht, weil der Film erst um ein Uhr nachts endete. Es war seltsam: Als wir kurz vor Schluss für die Zuschauerfragen wieder in den Saal geschlüpft sind, lachte jemand. Ich hoffe sehr, das war ein nervöses Lachen.

SZ: Sie erwürgten im Film gerade Ihre Tochter, um sich deren Mann zu schnappen.

Yeoh: Ja, das kann seelisch gesunde Menschen überfordern. Das Drehbuch basiert auf einem Inuit-Mythos über eine ausgestoßene Frau. Herausgekommen ist eine Geschichte über die dunkle Seite des Menschen, die wir an normalen Tagen bei einer Tasse Cappuccino ja nie verstehen.

SZ:Warum spielen ausgerechnet Sie diese Rolle? Normalerweise sind Ihre Charaktere sehr positiv. Oft retten Sie die Welt.

Yeoh: Das war ein Hauptgrund, warum ich den Film machen wollte - die dunkle Seite.

SZ: Regisseur Asif Kapadia wollte nur Sie für den Film. Wie Danny Boyle bei seinem letzten Thriller. Er sagte: Nimm dir die Rolle, die du willst, Hauptsache, du bist dabei. Das Drehbuch passen wir an.

Yeoh: Typisch Danny! Er konnte das aber auch sagen, weil das Buch nicht fertig war.

SZ: Das Interessante ist doch, dass Leute so auf Sie reagieren. Viele, die sich über Sie äußern, wirken geradezu euphorisch.

Yeoh: Ach, wirklich? Es mag merkwürdig klingen, aber das ist mir so nicht aufgefallen.

SZ: Es ist extrem: Sie sind offenbar ein toller Kumpel, bodenständig und unprätentiös. Sie gelten als alterslose Schönheit, als "Grace Kelly Asiens". Mit " Laseraugen, Stahlmuskeln, Seidenhaaren" und einer angeblich "unerklärlichen Tiefe".

Yeoh: Das ist sehr süß, sprechen Sie weiter.

SZ: Sie müssen das erklären! Negatives liest man nie. Fällt ein Film mit Ihnen durch, heißt es: der Regisseur? Ein Stümper! Die Yeoh? Wieder mal ganz großartig!

Yeoh: Ich glaube, ich bin sehr direkt und sage ehrlich, was ich denke. Ich liebe meine Arbeit, mache Projekte nur, wenn ich überzeugt bin. Und ich bin sehr positiv. Ich versuche, jeden Moment zu genießen.

SZ: Das klingt jetzt...

Yeoh: ...zu banal? Weil es genau so banal ist!

SZ: Als man Sie kürzlich zur Ritterin der französischen Ehrenlegion schlug, sagten Sie in der Dankesrede: Ich bin immer noch das einfache Mädchen aus Ipoh.

Yeoh: Ja, man sollte ehrlich zu sich sein. Wurzeln kann man nicht rausreißen. Gerade in Hollywood ist es so leicht abzuheben, dauernd streift dich irgendeine blöde Kamera. Aber man darf sich von dem ganzen Glamour nicht fortreißen lassen. Schauspielerin zu sein, ist ein normaler Job, den man lieben sollte. Wenn du schaffst, es so zu sehen, bist du gerettet.

SZ: Sie wuchsen als Chinesin im Malaysia der 60er Jahre auf. Muss man sich Ihre Umgebung eher konservativ vorstellen?

Yeoh: Eher liberal, aber zugleich sehr traditionell. Bei uns Chinesen steht die Familie im Mittelpunkt. Das Liberale lag darin, dass meine Eltern uns bei der Berufswahl völlig freie Hand ließen. Als ich mit 21 für mein erstes Filmangebot nach Hongkong gehen wollte, zeigte ich meinem Vater, der Jurist ist, nach einigem Zögern den Vertrag. Er schaute nur kurz drauf und sagte: Das ist ein Scheißvertrag, mit dem du dich völlig auslieferst. Dann fragte er: Wann fängst du an? Und ich sagte: nächste Woche. Das war alles.

SZ: Sie machten gerne "Jungssachen" und spielten zum Beispiel Rugby. Waren Sie ein durchsetzungsfähiges Mädchen?

Yeoh: Ja, das einzige "Mädchen-Ding", das ich gemacht habe, war Ballett. Aber zu Hause wollte ich kein Tutu tragen, sondern mit meinem Bruder und seinen Freunden spielen. Ich war ein Mädchen, das die Natur liebte, viel draußen war und das mit seinem Vater oft zum Fischen aufs Meer fuhr. Später habe ich Squash gespielt und bin Wettkämpfe geschwommen.

SZ: Sie sind so ein Wettbewerbs-Typ, oder?

Yeoh: Nein. Eher ein Typ für sportliche Herausforderungen. Und das habe ich wohl von meiner Mutter. Sie ist eine Sportskanone und spielt immer noch viel Badminton. Mit 68 Jahren wirkt sie wie Mitte 40. Und sie ist eine Rampensau, die toll singt und noch heute gern bei Charity-Shows auftritt. Früher trat sie uns Kindern kräftig in den Hintern. 1983 hat sie mich, ohne zu fragen, zur Miss-Malaysia-Wahl angemeldet. Am liebsten hätte sie selbst teilgenommen, aber dafür war sie natürlich viel zu alt. Ich fand das absolut verrückt.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Michelle Yeoh mit Angst umgeht.

"Bei Bedrohungen ergreife ich die Flucht"

SZ: Ehrensache, dass Sie trotzdem die Miss-Krone geholt haben?

Yeoh: Wenn ich einmal etwas anfange, dann ziehe ich es auch durch. Was schwer war, weil ich damals zum ersten Mal begriff, was Lampenfieber bedeutet.

SZ: Michelle Yeoh hatte Angst?

Yeoh: Oh ja, große sogar. Besonders hasse ich es, auf einer Bühne vor Publikum zu sprechen. Dann zittere ich am ganzen Körper. Es ist grauenvoll.

SZ: Den Eindruck machen Sie gar nicht.

Yeoh: Es ist aber so. Und wissen Sie was? Man wird es nie los, egal wie viel Übung man hat. Das ist wie bei meiner Höhenangst. In welchem Stockwerk sind wir hier? Im vierten, oder? Wenn Sie mich quälen wollen, verlangen Sie von mir, dass wir uns jetzt aus diesem Fenster hier lehnen.

SZ: Die teuerste Stuntfrau der Welt hat Probleme, sich aus einem Fenster zu lehnen?

Yeoh: Ja, aber nur privat.

SZ: Ach, kommen Sie!

Yeoh: Wirklich, alles nur Training. Bei der Arbeit habe ich gelernt, Körper und Geist völlig zu kontrollieren. Da können meine Knie wie Pudding sein und meine Hände zittern, bei einem Stunt weiß ich: Das muss jetzt sein. Eine Art meditatives Tunneldenken, bei dem sich alle Ängste auflösen. Eine Mutprobe. Wenn es vorüber ist, flüchte ich sofort auf sicheres Terrain.

SZ: Der Angriff als Lebensprinzip?

Yeoh: Das klingt vielleicht etwas übertrieben. Aber man sollte nie aufgeben. Selbst in einer sehr harten Situation nicht.

SZ: Zum Beispiel?

Yeoh: Nach meinem Tanzstudium an der Royal Academy in London lautete die frustrierende Diagnose: kombinierte Fehlstellung von Becken und Wirbelsäule. Aus der Traum von der Ballerina-Karriere!

SZ: Wie sind Sie damit umgegangen?

Yeoh: Die Direktorin der Akademie hat sich sehr um mich gekümmert. Sie sagte zu mir: Es gibt viele andere Möglichkeiten, die mit Tanz zu tun haben. Damals habe ich gelernt, dass ein Hindernis erst zum Problem wird, wenn du selbst es zulässt.

SZ: Ist das für eine 16-Jährige nicht eine etwas zu weise Erkenntnis?

Yeoh: Mit Weisheit hat das nichts zu tun. Es ist eine Charakterfrage. Schon als Kind war ich eine unverbesserliche Optimistin. Nach Niederlagen sammle ich mich und frage: Okay, welche Alternativen gibt es?

SZ: Die Alternative war dann Kung-Fu. Ist das nicht viel härter als Ballett?

Yeoh: Mein Orthopäde von damals muss denken, dass ich wahnsinnig bin. Aber man kann den Körper nach einer Verletzung umschulen. Wenn man ein gebrochenes Bein richtig trainiert, wird es oft widerstandsfähiger als zuvor. Die Arbeit an meinem Körper hat Jahre gedauert.

SZ: Warum unbedingt Kung-Fu?

Yeoh: Mein erster Film war eine dieser Action-Komödien, in den Achtzigern das große Ding in Hongkong. Komödie kam aber nicht in Frage, ich musste erst Chinesisch lernen. Ich habe dann am Set diese Typen bei Kampfszenen beobachtet und dachte: Das ist ja wie Jazztanz. Faszinierend!

SZ: Also probierten Sie es aus?

Yeoh: Die Mädchen am Set waren typisch: lange Haare, zart, puppig. Zum Glück mischte sich die Ehefrau eines Produzenten ein, die sagte: Hört mal Jungs, erst engagiert ihr dieses Mädchen aus Malaysia, das völlig anders ist, und dann steckt ihr sie in eine Schublade mit all diesen Barbies? Die Jungs sagten also: Okay, was willst du machen? Und ich sagte: kämpfen. Die haben gedacht, ich mache Witze. Sie haben gelacht: Uuhhii, Miss Malaysia will kämpfen! Dann lass das Schätzchen doch mal zeigen, was es drauf hat.

SZ: Klingt nach harten Zeiten.

Yeoh: Es war nicht hart, es war die Hölle. Das Brutalste, was ich erlebt habe. Und am Set spielte es keine Rolle, dass ich ein Mädchen war. Was auch gut war. Weil so klare Verhältnisse herrschten.

Lesen Sie auf der dritten Seite, warum Michelle Yeoh fasziniert davon ist, zu leiden

"Bei Bedrohungen ergreife ich die Flucht"

SZ: Bitte keine Sonderbehandlung, niemals?

Yeoh: Nein. Die Kämpfer waren Profis, die liebten, was sie taten. Künstler, denen man Respekt entgegenbringen muss. Es dauerte eben, bis ich akzeptiert wurde. Noch ein Jahr später bei "Yes Madam"...

SZ: ...dem Film, der Sie berühmt machte...

Yeoh: ...hat der Regisseur lamentiert: Mit einer Frau drehen? Das ist mein Tod! Dann sagte er: Es gibt zwei Möglichkeiten, Kleine. Entweder du packst das hier. Oder du stellst dich nur hin, machst ein paar Handbewegungen und schreist Hua! und Haa-Iiih! Den Rest lassen wir doubeln.

SZ: Sie haben sich dann zwei Pumpguns und einen Feuerwerfer auf den Rücken geschnallt und sind in den Krieg gezogen.

Yeoh: So ungefähr. Es war eine Frage der Ehre. Da rennst du nicht heulend raus, wenn du getreten wirst. Wir haben uns wochenlang gegenseitig die Seele aus dem Leib geprügelt. In meinem ersten Film stolperte ich mit einer Riesenknarre umher, die ich kaum halten konnte. Ich sah unmöglich aus. Der Regisseur packte mich mal am Arm und sagte: Mensch, Mädchen, bist du dreckig. Er versuchte, den Dreck wegzuwischen, aber es ging nicht: Es waren Blutergüsse. Er hat mir dann Tricks gezeigt, wie ich Verletzungen vermeide.

SZ: Was bedeutet Härte eigentlich für Sie?

Yeoh: Ernsthaftigkeit, ehrlich zu sich selbst sein, eine Sache durchziehen, das ist es.

SZ: Und warum hat sich dieses toughe Mädchen, das so schnell in ganz Asien Erfolg hatte, damals aus dem Geschäft verabschiedet, um seinen Produzenten, den Milliardär Dickson Poon, zu heiraten?

Yeoh: Mein Boss. Der Klassiker! Am Ende bin ich eben ein traditionelles Mädchen.

SZ: Er wollte, dass Sie Hausfrau spielen?

Yeoh: Nein, da muss man fair zu Dickson sein. Ich habe mich selbst für den Rückzug entschieden, weil ich ihn liebte. Und halbe Sachen mache ich nicht! Die Ehe scheiterte, weil es am Ende nicht so passte. Nicht, weil ich mich eingesperrt fühlte.

SZ: Nun wurden Sie Asiens teuerste Schauspielerin. Die erste Frau, die von Actionstar Jackie Chan akzeptiert wurde.

Yeoh: Jackie sagt immer: Es gibt nur zwei Frauen, vor denen ich Angst habe: meine Mutter und Michelle Yeoh. Wobei dieses Macho-Ding auch eine liebevolle Seite hat. Sie wollen uns beschützen. Man muss ihnen dann kurz sagen: Darling, zerbrich dir nicht meinen Kopf, es geht mir gut.

SZ: Ihnen scheint es gutzugehen, wenn Sie für Filme leiden, egal ob Sie lernen, an Seilen auf Häuser zu springen oder wochenlang Ihre Beine fesseln, um wie eine Geisha zu laufen. Was zwingt Sie dazu?

Yeoh: Vielleicht fasziniert es mich zu leiden, weil ich so das Gefühl bekomme, etwas zu lernen. Im wahren Leben würde ich das nie auf mich nehmen, für einen guten Film schon. In "Far North" spiele ich eine Inuit. Dafür lernte ich, wie man Rentiere häutet. Ich war nie stolzer als in dem Moment, in dem mir der Same, der mich unterrichtete, sagte: Du machst das wie eine von uns. Privat kann ich kein Huhn in der Küche zerteilen. Was immer dir hilft, eine Rolle zu verstehen: Tu es!

SZ: Die Folgen dieser Haltung waren für Sie: Rippenbrüche, Wirbelsäulenstauchungen, Arterien- und Bänderrisse, Gehirnerschütterungen, Knie-Operationen.

Yeoh: Am schlimmsten war es 1995, bei einem Stunt für den Film "Ah Kam". Ich sollte aus sechs Metern Höhe auf eine Matratze springen. Die ich leider verfehlte. Ich knallte kopfüber auf den Asphalt, und durch den Aufprall bog sich mein Rücken so durch, dass ich rückwärts mit den Füßen gegen meinen Schädel trat.

SZ: Verdammt! Wie verhält sich ein Mensch wie Sie nach so einem Unfall?

Yeoh: Pragmatisch. Zuerst braucht man einen guten Arzt. Im Krankenhaus wurde ich fixiert bis zum Kopf, Nacken und Wirbelsäule waren betroffen. Aber ich konnte meine Finger bewegen, was mich beruhigte, es funktionierte offenbar alles.

SZ: Quentin Tarantino war damals unglaublich fasziniert von diesem Unfall.

Yeoh: Ja, er wollte mich sofort im Krankenhaus besuchen. Die Schwestern redeten auf mich ein: Tarantino! Sie müssen ihn treffen! Ich sagte: Auf keinen Fall, ich kann nicht mal meinen Arm heben. Zwei Wochen später meldete sich Tarantino bei mir zu Hause an. Als er kam, lag ich auf dem Sofa, mit einem Gestell für den Arm. Ein Riese, den ich noch nie gesehen hatte, polterte die Treppe rauf, hockte sich auf den Boden und begann, Textzeilen aus meinen Filmen zu rezitieren.

SZ: Passagen aus Kampffilmen?

Yeoh: Ja, er kannte sie alle auswendig. Und jeden der Stunts, die später Vorbild für seine "Kill-Bill"-Filme waren. Um die Szenen wiederzugeben, schrie er immer: Huuaa, hoo und Iiiihhh. Wir hatten Riesenspaß. Seine Lebendigkeit hat mich überwältigt. Er hat mich aufgerichtet.

Lesen Sie auf der vierten Seite, wie sich Michelle Yeoh als Bond-Girl fühlte.

"Bei Bedrohungen ergreife ich die Flucht"

SZ: Sie sind ein Role-Model für Asien. Die Times schrieb: "Yeohs Karriere hat jedes Klischee und jedes Stereotyp über asiatische Frauen in den Köpfen der Westeuropäer für immer zerstört."

Yeoh: Das freut mich. In älteren Filmen werden Frauen vor allem als China-Dolls inszeniert. Als ätherische Wesen, gern auch als Prostituierte. Wenn du eine solche Rolle übernimmst, zementierst du Klischees. Ich fände es schön, wenn meine Rollen geholfen haben sollten, das zu verändern. Es war offenbar faszinierend, das erste Mal eine Frau kämpfen zu sehen. Die Frauen waren begeistert, und die Männer fanden es sexy.

SZ: Sie haben mal gesagt, es gebe keine größeren Machos als chinesische Männer . . .

Yeoh: Und sie sind stolz darauf!

SZ: ... und dass Ihnen Kampffilme Spaß machen, weil es keine andere Gelegenheit gibt, fünf von denen gleichzeitig auf die Fresse zu hauen.

Yeoh: Spaß? Ich weiß nicht, ob ich das heute noch so sagen würde. Es war Sport. Ein Spiel, das mit Geschlechterkampf ebenso wenig zu tun hat wie mit der Realität. Im richtigen Leben würde ich Kung-Fu nie einsetzen. Bei Bedrohungen ergreife ich die Flucht. Es gibt keine Gewinner in einem Kampf. Nur Verletzte.

SZ: Wenn der Geschlechterkampf so unwichtig war: Warum haben Sie sich dann so lange geweigert, Bond-Girl zu werden?

Yeoh: Ich fand das unvorstellbar. Ein Kollege sagte einmal zu mir: Michelle, du wärst ein tolles Bond-Girl. Ich habe ein Kissen nach ihm geworfen! Sehe ich vielleicht aus wie Barbie? Wie jemand, der "hilf mir, James" schreit? Wenn ich mir früher vorgestellt habe, in einem Bond-Film mitzuspielen, war ich immer James Bond.

SZ: Okay, sagen wir mal, das ist zumindest eine interessante Vorstellung.

Yeoh: Ja, oder? Er hat allen Spaß und das ganze Spielzeug. Am Ende war es dann natürlich doch schön, ein Bond-Girl zu spielen.

SZ: Wer Berichte über die Dreharbeiten zu "Der Morgen stirbt nie" las, hatte das Gefühl: Michelle Yeoh war wieder mal der einzige echte Kerl am Set.

Yeoh: Es gab Gerüchte, dass ich meine Stunts selber mache und Pierce Brosnan nicht, aber das stimmte nicht, er hat sich sogar eine blutige Lippe geholt. Ich glaube, die Debatte hat sich an dieser Szene entzündet, in der wir mit dem Motorrad auf einer schmalen Brücke eine 100 Meter tiefe Schlucht überqueren. Pierce wurde gedoubelt, weil das auch für mich sicherer war, er wäre ja der Fahrer gewesen. Ich fuhr auf dem Bike mit, weil ich nur die Maus war, die sich von hinten an ihm festkrallte. Wenn ich ehrlich bin: Ich habe es genossen! Ich mag es übrigens auch, wenn ein Mann mir die Tür aufhält.

SZ: Warum wirken Sie in Ihren späteren Rollen oft so viel weicher? In "Tiger & Dragon" zum Beispiel verzichten Sie wegen der Tradition auf die Liebe Ihres Lebens.

Yeoh: Ich glaube, dass Rollen sich auch Schauspieler suchen. Bei "Tiger & Dragon" folgte meine Rolle den Träumen von Ang Lee. Sein Film hat auf mich gewartet. Meine Geburt als Schauspielerin! Ang erweckt Figuren zum Leben wie niemand sonst. Diese Figuren können Gefühle zurückhalten, und man registriert sie doch!

SZ: Ang Lee sagte, am meisten liebe er den Punkt, an dem die Fassade bröckelt und starke Frauen vor ihrer eigenen Verletzlichkeit kapitulieren.

Yeoh: Ja, wir reißen uns lange zusammen, um nicht so zerbrechlich zu wirken. Manchmal übertreiben wir wohl. Es ist erstaunlich, wie präzise Ang auf solche Punkte hinarbeitet. Man wird an seinem Set sehr verletzlich. Das war neu für mich.

SZ: Seit "Tiger & Dragon" verkörpern Sie die globalisierte Schauspielerin wie keine Zweite. Was ist der Unterschied zwischen den Leben als amerikanischer, europäischer und asiatischer Star?

Yeoh: Es gibt keinen qualitativen Unterschied. Ich bin dankbar, dass man das, was ich mache, in unterschiedlichen Kulturen akzeptiert. Früher wäre ich in den USA oder Europa nur auf die Rolle der Chinesin festgelegt gewesen. Das hat sich geändert. Viele haben "Memoirs of a Geisha" kritisiert, weil dort drei Chinesinnen Japanerinnen spielen, dabei ist es doch das, was Schauspieler machen: eine Rolle spielen. In meinem nächsten Film, "Babylon AD", spiele ich eine französische Nonne an der Seite von Gérard Depardieu. Als Chinesin! Genau so sollte es sein!

SZ: Wo ist Michelle Yeoh in zehn Jahren?

Yeoh: An einem fröhlichen Ort. Ich lebe für jeden Tag, wer zu stark plant, engt sich ein. Wollen Sie vielleicht morgen mit mir in die Antarktis segeln? Ich bin dabei!

SZ: Ich dachte, Sie interessieren sich eher für Autos. Seit vier Jahren sind Sie mit Ferrari-Chef Jean Todt liiert. Wann lenken Sie endlich einen Formel-1-Wagen?

Yeoh: Ich bin mal einen Ferrari gefahren, das war phantastisch, aber ich schwöre: Ich bin eine grauenvolle Autofahrerin.

SZ: Sagt die Frau, die auf einer Harley von einer Brücke springt, um auf dem Dach des Trucks von Jackie Chan zu landen.

Yeoh: Das ist Film, Darling, Illusion. Es ist einfach, auf einem Motorrad gut auszusehen, wenn die Straße für dich abgesperrt wird und ein Team daran arbeitet, dass du wie eine Heldin rüberkommst.

Michelle Yeoh, 45, wuchs als Tochter chinesischer Einwanderer in Ipoh, Malaysia, auf. Wegen eines Rückenleidens gab die Anwaltstochter eine Karriere als Ballerina auf. Nach der Wahl zur Miss Malaysia ging Yeoh Anfang der 80er nach Hongkong, wo sie Kung-Fu lernte, um Kampffilme zu drehen. An der Seite von Jackie Chan stieg sie schnell zum ersten weiblichen Actionfilmstar, Role-Model und zur teuersten Schauspielerin Asiens auf. International gelang ihr der Durchbruch 1997 als Bond-Girl in ,,Der Morgen stirbt nie''. Seither dreht Yeoh in Hollywood und Europa mit Regisseuren wie Rob Marshall, Ang Lee oder Danny Boyle. Yeoh ist mit Ferrari-Chef Jean Todt liiert und lebt hauptsächlich in Paris.

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