Im Interview: Michael Palin:"Es muss weh tun"

Als Mitbegründer der Komikergruppe Monthy Python hat Michael Palin dem englischen Humor seinen Stempel aufgedrückt. Nach seiner Auffassung wollen die Engländer gedemütigt werden, um sich zu amüsieren.

Alexander Gorkow

Michael Palin wird von allen Menschen auf den Straßen am Covent Garden nicht nur erkannt, sondern mit irgendwie herzerwärmender Dankbarkeit angelächelt. Zunächst gibt es ein Mittagessen im privaten "Two Brydges"-Club. Reizend. Steile Treppen. Kamin. Ölgemälde zeigen schöne gelangweilte Aristokratinnen. Mit "Monty Python" feierte man hier rauschende Partys. Er ist ein sehr zuvorkommender und hellwacher Brite, gutes Hemd, feiner Trenchcoat, aufmerksam funkelnde Augen. Nach dem Essen und aufschlussreichen Anekdoten aus dem Leben der Pythons geht es in sein Büro in der Tavistock Street. Reden wir nun über seine Landsleute!

SZ: Mister Palin, in Ordnung, dass wir jetzt über die Engländer sprechen? Und über eine gewisse, wie soll ich sagen . . . recht besondere Eigenart?

Palin: Gerne. Ich habe mir alle Zeit genommen.

SZ: Max Mosley und die Nazi-Huren, Prinz Harry in Nazi-Uniform . . .

Palin:. . . absolute Einzelfälle . . .

SZ: . . . Fotomontagen deutscher Fußballspieler in Wehrmachtsuniform in den Zeitungen, und es ließen sich weitere Belege nennen für ein Nazi-Faszinosum . . .

Palin: . . . nun gut, nun gut. Ich muss Sie nicht zum Lachen bringen, oder?

SZ: Nicht zwingend.

Palin: Und wenn Sie doch lachen müssen, tun Sie es bitte einfach. Ich hingegen werde versuchen, stets ernst zu bleiben.

SZ: Mit Monty Python erforschten Sie die Abgründe der Briten, heute haben Sie über Ihre Reisefilme in der BBC ein riesiges Publikum. Sie kennen sich aus, mit den Briten, mit der Fremde, und darin, wie man Briten die Fremde näherbringt, oder?

Palin: Wissen Sie, was ich grundsätzlich merke, wenn ich sehr weit weg bin?

SZ: Was?

Palin: Dass es einen englischeren Menschen als mich womöglich nicht gibt.

SZ: Woran merken Sie das?

Palin: Es ist mehr ein Gefühl. Eine Mischung aus Neugier und Blässe womöglich. Nun zu diesen tatsächlich evidenten Nazidingern hier in der Presse und so weiter, tja . . . . .

SZ: ...schon müssen Sie lächeln.

Palin: Aus einer gewissen Scham heraus. Wie so vieles, was das Königreich Großbritannien in seiner Alltagskultur auffährt, ist auch das alles ja überaus beschämend. Andererseits könnte man sagen, es ist Teil unseres weltweit einzigartigen und zu Recht vielfach preisgekrönten Humors.

SZ: Warum?

Palin: Dieser Humor basierte immer schon auf Demütigung - darauf, eine Niederlage zu erwarten, sich mental rechtzeitig auf sie vorzubereiten und dann Pointen parat zu haben, um sich totzulachen.

SZ: Niederlage? Es wäre gewagt zu behaupten, dass England zwei Weltkriege gegen Deutschland verloren hat.

Palin: Natürlich.

SZ: Was man als Deutscher oft nicht versteht: Ihr habt den Krieg gewonnen - wir sind doch sozusagen eh schon blamiert.

Palin: Sie greifen zu kurz.

SZ: Inwiefern?

Palin: Sie dürfen die Jahre, die dem letzten Weltkrieg folgten, nicht vergessen. England hatte einige prächtige Jahrhunderte hinter sich - wir waren die Weltmacht schlechthin. Aber absolut nicht mehr im 20.Jahrhundert. Und nach dem Zweiten Weltkrieg schon mal gar nicht mehr.

SZ: Eine geschlagene Siegermacht?

Palin: England lag vollkommen am Boden. Der Eindruck war, dass die Deutschen nur ein paar Wochen brauchten, um den Staub von der Kleidung zu schütteln und einen Wirtschaftsmotor anzuschmeißen, der einzigartig erfolgreich war, und das ist er doch, Krise hin oder her, bis heute! Schauen Sie sich die deutschen Exportzahlen an. Und es ging den Deutschen schon in den 50ern und in den 60ern schlicht viel besser als uns. Das hat . . .

SZ: . . . zu einer gewissen Verstimmung unter den Briten geführt?

Palin: Der Eindruck war: Es ist schon okay, dass sie eine Demokratie und eine Chance haben, die Deutschen, nach dem Blut, das sie ja auch selbst vergossen haben. Aber: sie hätten sich ein wiiiiinziges bisschen mehr schämen können für das Grauen, das sie angerichtet haben. Stattdessen sind sie wieder so effizient. Und diszipliniert. Da wiederum sind wir bei einem englischen Trauma. Wenn es zwei Eigenschaften gibt, die wir Engländer nicht haben: Effizienz und Disziplin.

SZ: Verzeihen Sie, aber die Disziplin der Engländer ist berühmt.

Palin: Ich rede ja nicht von den kleinen Gelegenheiten, von der Schlange vorm Bus und derlei. Sondern von den großen. Von Kriegen. Vom Gesundheitssystem. Von der Eisenbahn. Oder von der Einweihung eines tollen neuen Flughafenterminals in Heathrow, das viereinhalb Milliarden Pfund kostet - aber keine Parkplätze fürs Personal einplant!

SZ: Okay, zu Heathrow gleich mehr.

Palin: Von mir aus übrigens bitte gerne nicht.

SZ: Vorweg eine gewagte These, und Sie können mich ja dann rausschmeißen . . .

Palin:. . . nein, nein, demütigen Sie mich!

SZ: Hat der Automobilverbandspräsident Mosley stellvertretend für viele Gefallen daran gefunden, mal so richtig, nun ja: dizipliniert zu werden?

Palin: Wir werden hier nicht in Vulgärpsychologie verfallen, nicht wahr? Nur, zweifellos ist er der Sohn des ehemaligen britischen Faschistenführers, und, nein: keine Spekulationen darüber, wieso sich der Sohn des Faschistenführers von einer deutschen Hure entlausen lässt - mein Gott!! Als Autor von Drehbüchern und als Komiker mit einem gewissen filmhistorischen Strafregister muss ich, wenn ich so was lese, natürlich auch sagen: Ich bin stolz, zu einem Volk zu gehören, das solche Prachtkerle auf die Wirklichkeit loslässt!

SZ: Aber meine anmaßende Frage war . . .

Palin: . . . ob Mosley es stellvertretend für alle Briten erregt, von Damen in SS-Uniformen über den Stuhl gelegt zu werden?

SZ: Gut, lassen wir das, Mister Palin.

Palin: Nein, nein, also . . . wenn Sie es ein wenig metaphorisieren vielleicht?

SZ: Tun Sie es!

Palin: Also, hier, Sir: Yes, we love to be spanked! Wir Engländer lieben es gottverdammt noch mal, den Arsch versohlt zu bekommen - hahaha! Anwesende natürlich ausgenommen. Aber unser Humor, wie gesagt, er basiert darauf, erst zu demütigen und dann gedemütigt zu werden.

SZ: Oder umgekehrt.

Palin: Oder umgekehrt. Jedenfalls gibt's was auf den Hintern. Es muss weh tun.

SZ: Er ist nicht so offensiv wie der amerikanische Humor, zum Beispiel der Humor des Rat Pack in Las Vegas, der darauf abzielte, dass man das beste Mädchen . . .

Palin: . . . exakt. Heute hat sich der Humor natürlich internationalisiert, es gibt ja womöglich auch bei deutschen Komikern Beispiele für eher britischen Humor . . .

SZ: . . . kein gutes Thema . . .

Palin: . . . gut. Aber der amerikanische Humor gründete seit der Stummfilmzeit darauf, dass gerade der Underdog es schafft, das Mädchen zu kriegen. Wenn aber Briten etwas nicht finden, niemals, dann: den Zubringer auf die Gewinnerstraße. Unser Vorbild bei Monty Python war nicht das Rat Pack, sondern die "Goon Show" von Spike Milligan . . .

SZ: . . . neben Peter Sellers die große bipolare Persönlichkeit des britischen Humors.

Palin: Spike war manisch-depressiv, und er war der größte Komiker, den ich kenne. Und die "Goon Show", sie verhandelte vor allem Spikes Kriegsneurose. Er war traumatisiert von seiner Zeit bei der Royal Artillery in Afrika. Das Prinzip der "Goon Show" war nicht die große, rührende oder jedenfalls alles auflösende Pointe am Ende. Die gab es meistens nicht - wie es sie ja bei Monty Python auch nicht gab. Die jeweilige Maßeinheit pro Sketch war dafür: das Ausmaß des jeweils gestifteten Unfriedens. Und die Deutschen hatten einfach ein ungeheures Traumapotential abgefeuert. Sie waren einschüchternd, alles glänzte, war spitz und scharf, es war perfekt choreographiert und dabei furchtbar in der Wirkung, es war wirklich insgesamt sehr, sehr, wie soll ich sagen: eckig? Ja: eckig! Und effizient!

"Es muss weh tun"

SZ: Oh Gott . . . wirken wir heute noch eckig?

Palin: Nein, beruhigen Sie sich. Das war einmal. Und diese Horrorshow nun, sie kam nicht aus einem Land wilder Irrer, sondern aus einem künstlerischen und aufgeklärten Land, einem Land großer Regisseure und Autoren, aus dem Land von Thomas Mann, Bertolt Brecht. Es gab hohe künstlerische und moralische Maßstäbe. Die moralischen waren dann aus der Mode gekommen . . .

SZ: . . . das haben Sie fein gesagt.

Palin: Aber rein künstlerisch sind - das ist das Irritierende - diese sehr fatalen Filme von Leni Riefenstahl Meisterwerke, diese ganze Nürnberger Maschinerie aus Licht und Choreographie . . .

SZ: . . . womit im Pop viel gearbeitet wurde. Nehmen wir Texte der Rolling Stones wie "Sympathie For The Devil" oder Shows von Pink Floyd oder David Bowie. Regelrechte Teufelsaustreibungen, oder?

Palin: Richtig. Und auch hier sind wir wieder bei der Demütigung. Nennen Sie es Pop oder nicht Pop. Fakt ist: die Zeichensprache der Nazis, die Inszenierung, sie war ziemlich scharf. Das sah - in der Inszenierung, wir wollen uns nicht missverstehen - smart aus. Ich meine, schon diese verdammten Wehrmachtsuniformen, sie waren todschick. Bis heute machen wir hier Witze über die Helme unserer Soldaten!

SZ: Wieso?

Palin: Während die Wehrmacht verdammt gut geschnittene Helme hatte, sahen unsere aus wie umgedrehte Suppenschüsseln. Natürlich schauten die weltberühmten englischen Segelohren an der Seite raus. Solche Sachen. Wir waren nicht cool. Es hielt sich zudem lange der Eindruck, dass wir den Zweiten Weltkrieg nicht in dem Sinne gewonnen hatten. Sondern dass wir uns eher bei den unkultivierten Amerikanern bedanken sollten, dass wir ihn nicht verloren haben, dass also das Königreich von den deutschen V2-Raketen nicht vollkommen planiert wurde.

SZ: Insgesamt starben bei den deutschen Luftangriffen, den "Blitz" im Herbst 1940 eingeschlossen, mehr als 66.000 Zivilisten in England.

Palin: Und beachten Sie: Es war ja eben der Blitz aus dem Himmel, es war in dem Sinne zunächst kein Frontenkrieg.

SZ: Sie meinen, dass die Paranoia durch die Insellage zusätzlich kultiviert wurde?

Palin: Durchaus, der Tod kam aus dem Himmel: wie ein Fabelwesen. Nicht, dass es für Polen oder Holländer leichter gewesen wäre, Gott bewahre. Aber die Insellage, sie schürte den Wahnsinn, was bleibt dir übrig: Du kannst nicht abhauen, du kannst in Dover vom Felsen springen. Paranoid! Da gibt es dann in der Umkehrung auch einen komischen Aspekt.

SZ: Welchen?

Palin: Das Inseldasein hat ja in glorreicheren Zeiten maßgeblich zur britischen Selbstüberschätzung beigetragen. Wir selbst waren nicht die Insel - alles andere war die Insel! So kann man es sehen. Wenn man nur irre genug ist. Aaaah, diese Selbstüberschätzung liebe ich! Sie war Anlass für zahllose Python-Sketche.

SZ: Es gab diese berühmte Zeitungsüberschrift in England zu Beginn des 20.Jahrhunderts: "Fog over the channel, continent isolated." Nebel über dem Kanal, Europa isoliert. Toll.

Palin: Die Mutter aller Selbstüberschätzungen. Kein Wunder, dass wir seither masochistisch veranlagt sind. Es ist inzwischen Teil der britischen DNS, zu scheitern, mit vollen Hosen dazustehen und aber relativ gute Witze darüber zu machen. Und zwar scheitern wir bis heute immer dann, wenn es um große Projekte geht. Ich nenne es: das "Big Occasion Syndrom".

SZ: Noch einmal: Den Krieg haben die effizienten Deutschen verloren.

Palin: Ja, aber nicht aufgrund von angeborener Unfähigkeit zur Effizienz. Sondern weil man in Deutschland an ein totalitäres System glaubte, das, weil es so total war, zu allem fähig sein würde. Es gibt viel Unheil in Großbritannien, auch politisches, aber ich glaube, der Brite ist eher mal nicht in der Lage, an ein totalitäres System zu glauben. Er glaubt überhaupt nicht an eine Systematik. Er glaubt an ein paar Benimmregeln für den Alltag, die das Leben erleichtern. Und im Übrigen glaubt er ans totale Chaos. Diese Einstellung ist mir auch sympathisch. Wie gesagt, einen englischeren Menschen als mich finden Sie nicht.

SZ: Und doch nehme ich Ihnen nicht ab, dass jedes Großprojekt hier zum Scheitern verurteilt ist. Zum Beispiel haben Sie mit Monty Python große Filme gestemmt. Denken Sie an "Life Of Brian"!

Palin: Den hat nur George Harrison gerettet. Wie überhaupt in England etwas meist nur dann funktioniert, wenn sich ein reicher Musiker einschaltet.

SZ: Wie kam das?

Palin: Der Chef der EMI, die den Film produzieren sollte, las - kurz vor dem Drehstart - das Drehbuch. Bisschen spät.

SZ: Und dann?

Palin: Eine Parodie auf Bibel-Verfilmungen. Singende Menschen am Kreuz. Kalkweiß saß er da: "Wenn ich den Film finanziere, bin ich dem Untergang geweiht. Tut mir leid, Jungs!" Wie auch in Heathrow scheiterte also ein Projekt in der Vorbereitung, das aber faktisch schon begonnen hatte. Die Kreuze und Römer-Kostüme waren ja schon am Drehort in Tunesien.

SZ: Wieso hat Harrison ausgeholfen?

Palin: Hab' ich ihn auch gefragt: "George, es geht um viel Geld! Fünf Millionen Pfund! Bis morgen! Wieso tust du das für uns?" George, auf seine wunderbar nasale Art, sagte nur: "Weil ich den Film sehen will." Bei "Monty Python And The Holy Grail" waren es dann die humorbegabten Herren von Pink Floyd, die viel Geld 'reinlegten. Sie waren gerade durch die "Dark Side Of The Moon"-Sache zu einem überraschend unüberschaubaren Reichtum gekommen. Aber: Wehe, es wird etwas von offizieller Seite geplant hier in England! Ich gebe Ihnen meine Hand drauf: es wird schiefgehen.

SZ: Das neue Terminal in Heathrow . . .

Palin: . . . Jahrzehnte der Planung. Jahrzehnte politischer Diskussionen. Milliardenkosten. Und? Ein Desaster. Was groß ist, scheitert. Es liegt an der hochexplosiven Mischung in unserer lustigen DNS: Empire-Übermut und gleichzeitig maximale Selbstdemütigungsdrehzahl. Als wollten wir vor der Welt dastehen wie die dummen "Upper Class Twits" aus dem Python-Sketch . . . Sie erinnern sich?

SZ: Die "Meisterschaften um den Blödmann des Jahres aus der Oberklasse"? Hurra! Im Namen der Leser möchte ich Ihnen auch für diesen Sketch sehr danken.

Palin: Bitte sehr! Also, hier eine kleine Chronik des Versagens: Nehmen Sie die beiden Prestigeprojekte mit dem Architekten Richard Rogers. Der Millennium Dome, 320 Meter Durchmesser, das neue Terminal in Heathrow für 30 Millionen Passagiere unserer sensationellen Fluglinie British Airways. Der Dome begeisterte im Jahre 2000 am Eröffnungsabend dadurch, dass keiner reinkam, weil die Türen kaputt waren. Dann ging er pleite, was mich nicht wundert. Heute können wir froh sein, dass die Amerikaner von O2 ihn 2005 übernahmen und eine Konzertarena draus machten. Sonderbarerweise läuft alles seitdem reibungslos.

"Es muss weh tun"

SZ: Im Terminal 5 . . .

Palin: Im Terminal 5 verschwanden Hunderttausende Koffer, weitere Einzelheiten wollen wir uns ersparen. Schon beim Tunnel unterm Kanal müssen wir uns bei den Franzosen bedanken, denn ohne die hätten wir womöglich bis zu den Kanarischen Inseln weitergegraben. Nur am Rande erwähnen will ich, dass sogar die Spanier - die Spanier! - inzwischen schnellere Züge bauen als wir. Dass der Großcomputer, der unser marodes Gesundheitssystem NHS revolutionieren sollte, ein Totalausfall ist, wussten Sie es schon? Und das neue Wembley Stadion wurde zwei Jahre zu spät fertig, weshalb ich nicht verstehe, dass alle Welt Angst hat, ob die Südafrikaner mit ihrer Infrastruktur fertig werden bis zur WM 2010, weil: wirklich Sorgen machen sollte man sich darüber, dass die Olympischen Spiele 2012 in London stattfinden - ich sage Ihnen: Machen Sie sich auf was gefasst!

SZ: Sie sind ja ganz außer sich.

Palin: Natürlich. Denn immer werden diese "big occasions" hier als die Ankunft des leibhaftigen Gottes in London gepriesen - und immer ist das nur die Overtüre zum dann größten Witz der Welt.

SZ: Ich darf daran erinnern, dass England bei der Fußball-Europameisterschaft nicht dabei sein wird . . .

Palin: ... ich danke Ihnen! Übrigens das vielleicht beste Anschauungsmaterial für meine These von Wahn und Scheitern des Empires. Denn was passiert eigentlich immer, wenn unser Team gefragt ist?

SZ: Es scheitert.

Palin: Ja, aber nicht einfach so. Das Vorspiel ist interessant: Wir scheitern bei der WM in ausgerechnet Deutschland, peitschen uns vor aller Welt selbst fast zu Tode vor Scham - und schwören dann plötzlich über Nacht in unseren feinen Zeitungen, derselben Welt bei der EM zu zeigen, welche Nation gottverdammt nochmal den Fußball erfunden hat und dann halt Europameister werden wird! Statt uns nun aber - wie die effizienten Deutschen - ordentlich zu organisieren, vergessen wir, eine halbwegs den Anforderungen entsprechende Qualifikation zu spielen und werden dann nicht Europameister, weil es dazu ja zum Beispiel zwingend nötig gewesen wäre, überhaupt zur Europameisterschaft hinzufahren, oder?

SZ: Schon, ja, aber . . .

Palin: Beachten Sie die Kurve, die nur extreme Koordinaten zeigt: Übermut - Schande - Selbsthass - Komik - und dann wieder Übermut. Alles in drei Sekunden.

SZ: Mister Palin, könnte in der Gewissheit, mit der zum Beispiel die Menschen hier in London das Chaos einkalkulieren, nicht aber auch der Charme liegen, der diese Stadt so überaus liebenswert macht?

Palin: Sie meinen . . .

SZ: Zum Beispiel: Wie bewegend der lässige Stolz war, mit dem man hier im Juli 2005 bewiesen hat, dass man sich durch Terroristen nicht beeindrucken lässt . . .

Palin: . . . natürlich . . .

SZ: . . . in Amerika wäre die nackte Hysterie ausgebrochen, in Deutschland finstere Nacht, tiefe Depression.

Palin: Ich hoffe, dass ich mich klar ausgedrückt habe: Ich liebe dieses Land, und ich liebe diese Stadt. Sollte ich von einem Problem gesprochen haben, so bin ich selbstredend Teil des Problems und habe immer auch von ihm profitiert. Ohne dieses England hätte es Monty Python nie gegeben. Das Faszinierende an London ist für mich bei all dem Chaos ja auch: diese Masse an glücklich aussehenden, an so überaus fröhlichen jungen Menschen. Ich weiß, wie hart sie arbeiten, um das Leben hier zu finanzieren, aber wo auf der Welt finden Sie so viele glückliche junge Menschen? Es war immer so, und dass es heute noch so ist, wo alles hier so teuer ist: Ich finde das sehr bemerkenswert.

SZ: Sehen Sie das bei Ihren Reisen durch Deutschland auch?

Palin: Was? Chaos? Nein.

SZ: Sehr viele glückliche junge Menschen?

Palin: Hm . . .

SZ: Nein?

Palin: Ich habe eben dieses interessante Buch von Sebastian Haffner gelesen, seine Erinnerungen an die Zeit von 1914 bis zur Machtergreifung durch die Nazis ("Geschichte eines Deutschen", dtv, die Red.). Haffner schreibt vom großen Talent der Deutschen zur Melancholie. Ich musste beim Lesen an meine letzten Reisen denken, nach Meißen, Dresden, Berlin. Ich hatte Kontakt zu absolut großartigen und sehr nachdenklichen jungen Leuten, als wir unsere Reportage für die BBC drehten. Aber wenn Sie mich fragen, ob es Glück, Spaß oder Zuversicht war, was sie dort im Osten mit ihrem Leben verbanden, ich könnte das jetzt nicht mit einem Jubelschreib bejahen. In Bayern, an den Seen, auch in München sieht die Sache für einen Außenstehenden allerdings schon wieder anders aus.

SZ: Wir werden nur durch das kleine, lästige Land Österreich von Italien getrennt!

Palin: Ich finde München immer wieder sehr hinreißend. Auch mag ich diese Affinität der Bayern zum Wahnsinn. Denken Sie nur an Ludwig II.! Wir waren bei den Pythons absolut besessen von ihm. Wir wollten ihn sogar ins Ensemble aufnehmen. Leider war er schon tot.

SZ: Es ist Höflichkeit, dass Sie das vom englischen Boulevard gepflegte Klischee vom dumpfen Deutschen nicht bestätigen.

Palin: Nein, es ist keine Höflichkeit. Bitte, wie sollte ein Land, das Monty Python bis heute traumhafte Absatzzahlen beschert, dumpf sein? Geben Sie nichts auf den britischen Boulevard! Zeitungen pflegen Ressentiments, weil sie glauben, dass sie so näher am kleinen Mann dran sind. Aber der kleine Mann hier, er hat keine Ressentiments mehr gegen Deutsche.

SZ: Sicher?

Palin: Man kann es drehen und wenden, wie man will: Es liegt einfach länger schon nicht mehr an den Deutschen, wenn in Paddington exakt zu den Stoßzeiten alle Züge gleichzeitig ausfallen.

Palin: Danke.

SZ: Gerne.

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