Im Interview: Meryl Streep:"Es gibt so unglaublich viele interessante Frauen"

Die 14-fach Oscar-nominierte Meryl Streep spricht über den Vormarsch der Frauen in Hollywood und den Preis der Macht.

Anke Sterneborg

Ein bisschen atemlos kommt Meryl Streep nach der Mittagspause ins Hotelzimmer. Sie trägt eine weiße Bluse und eine elegante schwarze Jacke zur Jeans - auch ohne große Garderobe die Königin, die man bei der ewigen Rekordzahl von 14 Oscarnominierungen (mit zwei Gewinnen) erwartet. Sich ihres hohen Ranges bewusst, lädt sie doch offen und interessiert zur Audienz. Und immer wieder zerreißt ein vergnügtes Lachen den feinen Schleier ihrer Unnahbarkeit.

Im Interview: Meryl Streep: Nichts tun, wozu man keine Lust hat: Meryl Streep.

Nichts tun, wozu man keine Lust hat: Meryl Streep.

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Es sieht so aus, als hätten Sie mit "Mamma Mia!" und den Abba-Songs ungeheuren Spaß gehabt: War das Singen womöglich ein Kindheitstraum, den Sie sich erfüllt haben?

Meryl Streep: Ja, als Kind hat mich meine Mutter ständig nach New York in Musicals mitgenommen - wir lebten in New Jersey - und manchmal hat sie mich sogar die Schule schwänzen lassen, damit wir in eine Matinee gehen konnten. In dieser Zeit habe ich viele großartige Aufführungen gesehen. Und jedes Kind, das in ein Musical geht, stellt sich natürlich vor, selbst zu singen und zu tanzen!

SZ: Sie haben als Teenager eine richtige Gesangsausbildung absolviert und sich in Robert Altmans "Prairie Home Companion" sozusagen warmgesungen. Gab es trotzdem einen Moment, an dem Sie befürchteten, Sie könnten sich lächerlich machen?

Streep: Nein, da hatte ich überhaupt keine Bedenken. Vielleicht bin ich zu alt, um mir solche Sorgen zu machen. Ich liebe Musicals so sehr - und ich hatte auch großes Vertrauen in diese Produktion, die ich ja auch schon auf der Bühne gesehen hatte. Vielleicht hätte ich mehr Angst haben sollen, aber die Musik von Abba hat ja auch eine wunderbare Vielfalt, mit beschwingten Tanzliedern, komischen Nummern, sanften Schlafliedern und Songs über große dramatische Gefühle. Alle haben mich auf unterschiedliche Weise angesprochen - das ist eine ganze Landschaft von Gefühlen.

SZ: Sie sind berühmt für Ihre chamäleonartige Wandlungsfähigkeit ...

Streep: Ich mag einfach die Vielfalt, ich gehe ja auch als Zuschauer nicht nur in eine Sorte Film. Für mich ist das wie eine gute Mahlzeit, da braucht man ein Stück Fleisch, aber auch Gemüse, Nudeln und . . . Rote Grütze! Letzte Nacht in Berlin gab es etwas, das man Rote Grütze nennt (mit funkelnden Augen und einem herzhaften Lachen lässt sie das ungewohnte deutsche Wort mit seinen harten Konsonanten auf der Zunge zergehen). Und ich dachte mir, was für ein wunderbares Dessert, das hatte ich noch nie!

SZ: Wird es nach vierzig Jahren im Geschäft schwieriger, neue Herausforderungen zu finden?

Streep: Nein, gar nicht, weil es in der Welt so unglaublich viele interessante Frauen gibt. Gestern im Restaurant habe ich mir all diese verschiedenen Gesichter um mich herum angeschaut, jedes einzelne wirkte anziehend. Und ich dachte mir, dass jede dieser Frauen eine Geschichte haben muss, die es sehr wahrscheinlich wert wäre, erzählt zu werden. Wir Schauspieler "übersetzen" sozusagen Menschen, die scheinbar weit entfernt und fremd sind - wir sind die Stromleitung für die Übertragung, sodass die Zuschauer in der Lage sind, mit fremden Figuren mitzufühlen. Schauspieler verbinden Menschen mit Menschen . . .

"Es gibt so unglaublich viele interessante Frauen"

SZ: Also sind Sie im Grunde ja doch eine Übersetzerin geworden, so wie Sie es als Teenager einmal vorgehabt haben?

Streep: Ja, das ist in der Tat ein ganz ähnlicher Beruf. Vor einem Jahr sollte ich eine Rede über das Wesen der Schauspielerei halten. Ich hatte mir vorher gar keine Gedanken darüber gemacht, jedenfalls nicht im ganzheitlichen Sinne. Zum ersten Mal in meinem Leben begann ich meine Arbeit zu analysieren, und kam auf diesen Punkt, an dem Imagination auf Mitgefühl trifft. Das ist eine Verbindung zwischen dem Publikum und den Charakteren, und ich denke, dass Mitgefühl eine sehr weibliche Eigenschaft ist.

SZ: Frauen sind empfänglicher für die Gefühle anderer Menschen?

Streep: Sie haben weniger Widerstand dagegen, berührt zu sein. Es fällt ihnen auch leichter, mit einem Mann mitzufühlen, als umgekehrt einem Mann, wie eine Frau zu empfinden. Interessanterweise haben mich nach "Der Teufel trägt Prada" plötzlich ganz viele Männer angesprochen, die sich von meiner Interpretation einer mächtigen Frau verstanden fühlten - mit der Last der Verantwortung, und dem Preis, den man dafür bezahlt. Darum ist es auch so viel schwerer, Filme mit weiblichen Protagonisten durchzusetzen. In der Regel sind die Finanziers Männer, die wenig Gefühl für solche Figuren haben ...

SZ: Es ist noch gar nicht so lange her, dass eine Schauspielerin über vierzig Mühe hatte, an gute Rollen zu kommen. Ihnen scheint das allerdings nicht sehr schwerzufallen ...

Streep: Das liegt daran, dass es inzwischen immer mehr Frauen gibt, die über das Geld und damit auch die Filme entscheiden. "Mamma Mia!" hat eine weibliche Produzentin, Judy Craymer, eine weibliche Regisseurin und eine weibliche Autorin, und im Studio hat Donna Langley das grüne Licht gegeben, wieder eine Frau ... das gibt es inzwischen immer häufiger.

SZ: Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie mit einem männlichen oder einem weiblichen Regisseur arbeiten?

Streep: Überhaupt nicht! Obwohl es an diesem Set ein echtes Gemeinschaftsgefühl gab. Männliche Regisseure haben eher diesen Autorenanspruch, sie heben sich auf andere Weise von allen anderen ab, sitzen in einem höheren Stuhl. Phyllida Lloyd war dagegen sehr aufgeschlossen für unsere Ideen. Benny Andersson von Abba hat kürzlich beim Essen zu mir gesagt, dass sie ihm das Gefühl gab, Co-Regisseur zu sein. Das war auch bei mir und allen anderen so. Was sehr klug ist, denn natürlich gibt jeder sein Bestes, wenn er spürt, dass seine Ideen ernstgenommen werden.

SZ: War die Situation der Frauen schon immer ein Thema für Sie?

Streep: Ich glaube eher nicht. Meine Mutter hat mir früher gesagt, dass ich alles erreichen kann, was ich mir in den Kopf setze, es gibt keine Grenzen, und ich habe ihr immer geglaubt. Sie gab mir das Gefühl, dass wir Frauen alles realisieren können, wenn wir es wirklich wollen und hart dafür arbeiten.

SZ: Eine Ihrer Töchter, Mamie Gummer, arbeitet inzwischen auch als Schauspielerin. Was ist Ihr Rat an sie und all die anderen jungen Kolleginnen?

Streep: Ich sage ihr, dass sie auf keinen Fall auf irgendwelche Ratschläge hören soll - und dass sie nichts tun muss, wozu sie keine Lust hat!

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: