Im Interview: Maler Neo Rauch:"Mir ist nichts mehr peinlich"

Der Leipziger Maler Neo Rauch stellt neue Bilder aus. Sie sind düsterer und geschichtsbeladener denn je. Im Interview erklärt er, warum.

Holger Liebs

Jagdszenen in Leipzig. Seit zehn Jahren wolle er jetzt ein Bild von Neo Rauch kaufen, fleht ein Herr den Galeristen Gerd Harry Lybke an. Warum ihm das, bitteschön, nicht gelinge? Später erzählt Lybke, kürzlich hätte ein anderer angerufen: ,,Ich will einen Rauch. Egal, von wann und wie er aussieht.'' Und tschüss, sagt Lybke.

In der Galerie Eigen+Art herrscht Hochbetrieb. Neo Rauch zeigt zehn neue Großformate und zwei kleine Gemälde. Natürlich sind wieder Tausende aus aller Welt gekommen, um die Ausstellung zu sehen. Rauch ist das alles zu viel. Gestern hat er einem Fernsehmann das Interview verweigert. Der hatte die Frage gestellt, wie es ihm denn in Leipzig gefalle. Der Maler ist hier geboren, vor 46 Jahren.

Rauch, der Gesuchte, der Begehrte. ,,Ich kann dein Gesicht nicht mehr sehen'', so hätten ihm Freunde offenbart. ,,Was müssen dann erst meine Feinde denken?'' Ob er denn Feinde habe? ,,Oh ja, es gibt sie. Die fragen, was dieses Fünfziger-Jahre-Geschmiere soll.''

Licht flutet einen Wald aus eisernen, rostroten Stelzen, eine riesige, leere Fabrikhalle auf dem Gelände der Baumwollspinnerei. Eine kleine, unscheinbare Stahltür führt von dort aus in das Atelier, wo die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, wo alles von einem unsichtbaren Firnis überzogen ist, der die Dinge einfriert und stillstellt. Wie in Rauchs Bildern. Es riecht nach Emulsion. Ein neues Bild, etwa drei mal vier Meter groß, lehnt an der Wand. Ein Schlüsselbild seiner Wolfsburger Retrospektive, die im November beginnt. ,,Zu 90, 95 Prozent ist es fertig'', sagt Rauch.

"Mir ist nichts mehr peinlich"

SZ: Hier ist eine Art Pagodentempel oder ein Mausoleum dargestellt, in dem man zwei Ihrer Tondi, also Rundbilder aus den Neunzigern sieht. Ein Resümee Ihres Schaffens?

Neo Rauch: Ja. Die Tondi hängen im Tempel. Das Bild heißt ,,Rückzug''; man sieht darauf eine Rückzugsstraße. Ich muss mir selbst noch Klarheit verschaffen darüber, wovor oder wovon ich mich zurückziehe. Einerseits habe ich das Gefühl einer totalen Offensive: Ich bin ja jetzt gerade mal dem halbwüchsigen Alter des Malers entkommen und fühle mich so stabil wie noch nie. Trotzdem gibt es bei mir so eine Art Rückzugsempfinden, und ich muss herausfinden, worauf es abzielt oder wodurch es ausgelöst wird.

SZ: Man kann eine Aufbruchsituation erkennen. Gestapelte Gerätschaften lagern am Wegesrand, Benzinkanister auch, Akten sind eingesammelt, ein Staffelläufer mit Flamme ist zu sehen.

Rauch: Das ist ein Wiedergänger, der in einigen meiner früheren Bilder auch anzutreffen ist. Eine Gestalt, zu der ich durch die Goethe'schen Märchen inspiriert wurde - der ,,Knabe Wagenlenker'': ,,Auch Flämmchen spend' ich dann und wann / Mal sehen, wo es zünden kann'.'' Das ist also eine Art Inspirator, der durch die Zeiten geht und natürlich einem Treibstofflager nicht zu nahe kommen sollte. Aber entflammbaren Geistern sehr wohl.

SZ: In einem anderen Ihrer neuen Bilder stellen Sie eine Art Erschöpfungszustand angesichts Ihrer andauernden Medienpräsenz dar.

Rauch: Das Bild ,,Interview'' stellt nichts anderes dar als eben das: ein Interview. Es ist das älteste der Leipziger Ausstellung. Ihm ging eine Situation voraus, die der ähnelt, in der wir uns jetzt hier begegnen, wobei ich hoffe, dass die jetzige einen anderen Charakter annimmt.

SZ: Die Gesprächspartner lagern hingegossen auf Sofas. Chiffren der Langeweile, der Elegie?

Rauch: Wenn ein Gespräch mich nicht fesselt, dann gleite ich ab. Im Bild finden wir die beiden Abgedrifteten also in einer manipulierten Situation vor, denn hinter ihnen stehen dubiose Figuren. Die linke, die den Journalisten stützt oder wie eine Marionette im Griff hat, scheint schon gar nicht mehr von dieser Welt zu sein. Sie tritt in die Nachtschwärze des Fensterausschnittes zurück. Die andere, die den Befragten hält, der ja offenkundig als Malernatur ausgewiesen ist - er trägt einen Pinsel in der Hand und eine farbverschmierte Hose am Leibe -, ist durch ihren Kinnbart mit diabolischen Zügen ausgestattet.

SZ: Das heißt, die unmittelbare Lebenswirklichkeit und Ihre Erfahrungen finden sich durchaus in ihren Bildern wieder, wenn auch verrätselt.

Rauch: Natürlich.

SZ: Man kann Ihre Bilder aber auch postmodern auffassen, als Sammlungen von Chiffren und Zitaten, die dann, in einer surrealistischen Operation, collagiert werden. So dass immer die Suche nach der medialen Quelle des Zitats naheliegt. Das widerspräche doch einem Abbild rein persönlicher Erfahrung.

Rauch: Ja und nein. Ich begreife mich als Regisseur von Bühnenstücken, und dessen Zugriff kann von sehr unterschiedlicher Zudringlichkeit oder Couragiertheit sein. Es kann sein, dass ich billigend in Kauf nehme, wenn sich die Szenerie verselbständigt, wenn sich plötzlich Dinge auftürmen, die ich in dieser Weise nicht im Kalkül hatte. Schließlich handelt es sich ja dabei um die Momente, die dieses Metier überhaupt zu der Besonderheit machen, die es darstellt.

SZ: Selbst expressive, scheinbar zufällige Malgesten unterliegen in Ihren Bildern doch der Kontrolle des Regisseurs.

Rauch: Es geht um das Gefühl für den rechten Moment, in dem die zerebralen Anteile zurückgefahren werden müssen, in dem der planerische Zustrom gekappt werden muss zugunsten der Entfaltung rein malerischer Abläufe. Unaufgeklärte Zonen sind notwendig, weil sonst das Bild austrocknet, weil es total desinfiziert wird. Ich muss immer wieder neu entscheiden, an welcher Stelle des Bildvortriebs ich eben jene Zäsur setze und Störfelder platziere. Das geschieht immer, wenn das Gefühl aufkommt, die durchbuchstabierbaren Teile seien übergewichtig.

SZ: Diese Farbwucherungen, die in die Kompositionen eindringen, sind doch auch wie die Bilder selbst immer Allegorien auf die Malerei, weisen auf den Schaffensprozess als solchen hin, oder?

Rauch: Ja. Es muss ja auch immer klar bleiben, dass es sich dabei nicht um Inkarnationen, sondern, vielleicht gibt es dieses Wort ja, um Inkolorationen von Vorstellungen, aber auch von Impulsen handelt. Also: Da steht keine Figur, keine Person, sondern die Farbe ist an dieser Stelle zu einer Person geronnen, weil der Autor es zugelassen hat. Insofern bin ich in jeder meiner Figuren 100-prozentig anwesend, auch im Bild ,,Interview''. Der eine ist dort ebensogut ich wie der andere.

SZ: Womit wir bei Ihren Gesichtern wären. Viele Ihrer Physiognomien ähneln einander: Sind Ihre Figuren immer auch versteckte Selbstporträts?

Rauch: Wenn, dann unbewusst. Ich bin zunehmend bestrebt, mein physiognomisches Repertoire auszuweiten. Auf den Schultern dieser Mitwirkenden (er weist auf das Bild ,,Rückzug'') spielen sich physiognomische Metamorphosen ab, die sich über mehrere fertiggestellte Porträts erstrecken können, die immer wieder ausgelöscht werden. Ich habe schon viele Porträts zum Verschwinden bringen müssen, die wunderbar waren, aber nicht zum Bild passten. Das Grundthema meiner Bilder evoziert offenbar eine bestimmte Kategorie von Personal. Aber da gibt es Übergänge. Ich bin gespannt, wer in fünf Jahren Zutritt haben darf.

SZ: In Ihren neuen Bildern haben ziemlich viele Personen Zugang. Sie sind dichter, narrativer geworden.

Rauch: Je mehr Material ich anreichere, um so dichter gewebt ist natürlich der Erzählfilz. Das ist doch klar. Entweder der ,,Mönch am Meer'' oder eine Kreuzabnahme von Beckmann ...

SZ: Man sieht nun dramatische Wolkengebirge wie in den Bildern des Erhabenen aus dem 18. Jahrhundert, glühende Horizonte; da sind Waffen, Dynamit, aber auch Wegelagerer oder Eremiten - ein fiktiver Grundton der Apokalypse.

Rauch: Es ist ja kein Kapitalistischer Realismus. Ich versuche neue Kategorien zu schaffen. Man könnte sich unseren alltäglichen Herausforderungen auch sehr viel direkter zuwenden. Gerade als figurativer Maler könnte man im Imbissbudenbereich recherchieren und sich der Problematik des Rechtsradikalismus ganz anders anpassen, als ich Derartiges auch nur annähernd ins Visier nehmen würde. Das wäre dann aber Journalismus, keine Kunst.

SZ: Das ist offensichtlich nicht Ihr Ziel. Statt dessen erzeugen Sie eine Atmosphäre der Katastrophe.

Rauch: Ich schließe nicht aus, dass das so ist. Ich muss selbst erst einmal in die Lage des Betrachters meiner eigenen Hervorbringungen gelangen. Dass es in ihnen einen problematischen Kern gibt, der apokalyptisch grundiert ist, ist offenkundig. Meine grundsätzliche malerische Herangehensweise an die Phänomene dieser Welt ist, dass ich die Dinge - nicht hierarchisch vorsortiert - durch mich hindurchgehen lasse und aus dem herausgefilterten Material dann private, sehr persönliche Mosaiken zusammenstelle. So ergeben sich im günstigsten Fall Muster, die über das hinausweisen, was den Dingen im allgemeinen zugeschrieben wird.

SZ: Sie verwenden auch verstärkt Figuren, die aus dem 19. Jahrhundert kommen mögen, groteske Zirkusdirektoren oder Schaffner, in einem Bild drei Forscher, man denkt an Humboldt ...

Rauch: ... oder an Turnvater Jahn (lacht). Aber was für eine Rolle spielen die paar Jahrzehnte, die dazwischenliegen. Wir erleben doch heute ein typologisches Kaleidoskop, das immer wieder zu neuen Anschlüssen führt, aber aus hinlänglich bekanntem Material besteht. Es gibt ja diese Dekadengesichter, typische Physiognomien der Dreißiger oder Fünfziger. Die kommen immer wieder. Insofern kann man sich wunderbar bei den scheinbar abgelegten Materialien bedienen: Sie sind morgen wieder ganz vorn. So ist es auch mit den Bärten. Ich selbst konnte mir vor zehn Jahren nicht vorstellen, dass ich jemals einen Vollbärtigen malen würde. Damals waren meine Knaben alle glattrasiert.

SZ: Sie bevorzugen Maler mit großem B: Bacon, Beuys, Balthus, Barney, Beckmann ... die ganze Malereigeschichte dient Ihnen als Echokammer. Sie verschleiern nicht Ihre Faszination für alte Meister, weil Sie nicht an Modernität in gesteigerter Form glauben.

Rauch: Weil ich leider und gottseidank nicht mehr 25 bin, das heißt also, gottseidank nicht mehr politisiert, nicht mehr ideologisch fixiert. Das Schöne am Älterwerden ist, dass einem irgendwann nichts mehr peinlich ist. Ich glaube, um in der Kunst überhaupt zu etwas Nennenswertem vorzudringen, muss man das Gefühl der Peinlichkeit so schnell wie möglich eliminieren - auf dem Gebiet der Kunst, wohlgemerkt. Da gibt es Großmeister, die uns heldenhafte Leistungen vorexerzieren.

SZ: Nämlich?

Rauch: Sie haben Matthew Barney genannt. Man fragt sich: Wie kann er sich nur diesen Sachverhalten zuwenden? Mit diesen Mitteln? Und gerade das ist es: weil es kein anderer macht. Diese Signifikanz, dieses sehr Spezielle, Abgründige und Einschränkungslose, macht Kunst aus. Das Gegenteil davon ist die Spitzschnütigkeit dieser Vorsichtsgemaßregelten, die da glauben, sie müssten irgendeinen Tempelbezirk verteidigen, den der konkreten Kunst etwa, oder der cluborientierten Popabstraktion. Und sobald sich irgendwo Narratives zeigt, etwas, das nach Mensch riecht und nach Künstlerschweiß, schreien sie alle auf. Nur labile Naturen müssen ständig auf Zehenspitzen unterwegs sein. Aus diesen Regionen heraus kommen die Agitatoren und die Politkommissare.

SZ: Aus ,,Paare, Passanten'' von Botho Strauß stammt folgende Passage: ,,Die Erde ist gleichermaßen bevölkert von Engeln, Teufeln und Göttern. Wahrscheinlich sind wir nicht allein. Zumindest Abkömmlinge der himmlischen und höllischen Horden durchkreuzen unsere Brust und unser Gemeinwesen. Und, könnte es nicht sein, dass uns bald eine neue allegorische Lust packte? Eine Lust zur großartigen Inkarnation, zur Fleischwerdung der vielen ausgeträumten Ideen unseres Jahrhunderts. Man kann doch nicht so viel denken und so abstrakt sich ausstrecken, wie wir es getan haben im wissenschaftlichen Zeitalter, ohne dass am Ende wieder etwas Ganzes, ein Balg, ein neuer Leib aus der Idee, aus Nebel und Licht, sich uns entgegenwölbte.'' Sehen Sie so Ihre Arbeit?

Rauch: Wunderbar. Das ist es. Genau das. Als hätte ich es vor dem Malen gelesen.

Geboren 1960 in Leipzig, lehrt der Maler Neo Rauch nach seinem Studium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst nun selbst dort. Rauch gilt als erfolgreichster Vertreter der ,,Neuen Leipziger Malerschule''. Für Botho Strauß' neues Buch ,,Mikado'' schuf er eine Edition von Kreidelithografien (Verlag Josef Kleinheinrich). Das Buch erscheint ohne die Illustrationen später bei Hanser. Gerade wurde in der Galerie Eigen+Art die Ausstellung ,,Der Zeitraum'' eröffnet; am 13. Oktober publiziert das SZ-Magazin die neuen Arbeiten im Sonderheft ,,Deutschlandreise''. Im November zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg die Retrospektive ,,Neue Rollen. Bilder 1993 bis heute''; 2007 folgt eine Schau im New Yorker Metropolitan Museum.

SZ v. 13.09.2006

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