Im Interview: Lars von Trier:"Ich bekomme eigentlich nie einen Fisch an die Angel."

Gute Kritiken beunruhigen! War Wagner ein Nazi? Braucht die Menschheit Mitleid? Lars von Trier erläutert im Gespräch Leben und Werk des Lars von Trier. Mehr kann man auch nicht verlangen.

Berufsbezeichnung: enfant terrible. Anders kann man den Filmregisseur, Dogma-Veteran, Pornoproduzenten und Bayreuth-Regisseur in spe Lars von Trier nicht beschreiben.

SZ: Wie sah die ursprüngliche Idee zu dem Film "Dogville" aus ? von Trier : Eines Tages hörte ich beim Autofahren mit dem Schauspieler Jens Albinus die dänische Version der Seeräuber-Jenny aus der "Dreigroschenoper" und war begeistert. Dann hat mir Albinus später beim Angeln viel über Brecht erzählt. Der rachelustige Refrain ging mir nicht aus dem Kopf, und so wollte ich einen Film über die Rache machen.

SZ: Können Sie sich erinnern, was Sie an diesem Tag geangelt haben ? von Trier: Nein, ich bekomme eigentlich nie einen Fisch an die Angel.

SZ: Ihr Film ist in den USA als antiamerikanisch kritisiert worden. Ist er als Parabel auf Machtmissbrauch, durch George Bush, gedacht? von Trier: Ich kann diese Parallele mittlerweile erkennen, aber der Film ist entstanden, bevor Bush überhaupt zu seiner wahren Rolle gefunden hatte. Sicher könnte diese Geschichte auch anderswo spielen. Die Menschen sind auch in meinen anderen Filmen reichlich bösartig. Ich liebe den Roman "Amerika" von Franz Kafka - und der war nie in den USA. Ich selber bin einer der wenigen, die es bisher noch nicht nach Amerika verschlagen hat. Aus der Ferne betrachtet werden die USA zu einer seltsamen Mischung aus Spielfilmen, Fernsehnachrichten, Fakten und Meinungen.

SZ: Nicole Kidman wird nun nicht in der Fortsetzung zu "Dogville" spielen. von Trier: Nicole ist sehr emotional, sie hat einen großen Tross von Menschen um sich herum, der teuer ist und sich auf einem ganz anderen Niveau bewegt als meine Produktionen. Wer ständig im Privatjet herumfliegt, passt eben nicht so recht in einen Lars-von-Trier-Film.

SZ: Sie haben gestanden, dass Sie mit dem Theater nichts anfangen können. von Trier: Ich gehe nur selten ins Theater. Da habe ich immer das Gefühl, die Schauspieler starren mich an, wollen mich am Ende der Vorführung bestürmen. Aber nun werde ich eine Oper inszenieren, 2006, den "Ring des Nibelungen" in Bayreuth. Ich hatte mal in einem Interview gesagt, wenn ich jemals eine Oper inszenieren würde, dann nur Wagners "Ring". Und schon klingelte das Telefon, der Chef von Bayreuth war dran ... Dabei hassten meine Eltern Wagner, für sie war er ein hundertprozentiger Nazi!

SZ: Freuen Sie sich, wenn die Kritiker Ihre Filme bejubeln? von Trier: Gute Kritiken beunruhigen mich. Gehöre ich nun zum Mainstream? Dabei genoss ich es, das schwarze Schaf zu sein, der Regisseur, den jeder hasst ... SZ: ... und den Trotzkopf zu spielen. Wollen Sie nicht erwachsen werden? von Trier: Nicht unbedingt. Am liebsten wäre ich so wie früher.

SZ: Warum machten Sie sich mit Ihrer Firma Zentropa für Pornos stark? von Trier: Um die Pornos kümmerte sich eher mein Partner Peter Aalbæk Jensen. Er hatte die Idee, Pornos von Frauen drehen und produzieren zu lassen. Das Geschäft ist normalerweise eine reine Männersache. Wir haben dann ein paar Filme produziert, aber ohne Erfolg.

SZ: Welcher Figur in "Dogville" fühlen Sie sich am nächsten? von Trier: Mir geht es da wie einem befreundeten dänischen Autor. Anstatt die Menschen zu beobachten und daraus Figuren zu entwickeln, spalte ich meine Persönlichkeit in verschiedene fiktive Figuren. In diesem Film finde ich mich in Tom wie in Grace ...

SZ: In jedem Menschen steckt gleichzeitig der Täter und das Opfer ... von Trier: Ja, aber hier bleibt unklar, wer Täter und wer Opfer ist. Beide Haltungen gehen ineinander über.

SZ: Sie haben ein sichtliches Vergnügen, Frauen beim Leiden zuzusehen? von Trier: Leiden ist Teil des Lebens. Was soll ich dazu sagen ...

SZ: Aber sexuelle Erniedrigungen sind eine Art Steckenpferd für Sie? von Trier: Aber sicher! Darüber muss ich mal ernsthaft mit meinem Psychologen reden. Aber schauen Sie sich mal die Filme von Buñuel an. Der hatte ein ernstes Problem! Das gilt auch für Bergman.

SZ: Handelt "Dogville" von Hobbes - der Mensch ist dem Menschen ein Wolf? von Trier: Ich bin sicher, dass in uns allen ein Tier verborgen ist. Aber andererseits war die menschliche Rasse so erfolgreich, weil sie auch fähig zum Mitgefühl ist. Da bin ich mir ganz sicher. Mitgefühl ist nichts Logisches, und nur dadurch konnten wir uns so sensationell auf der Erde verbreiten. Das ist eine echte Erfolgsgeschichte.

SZ: Sie schwärmen von einer Mischung aus Film, Theater, Literatur und Musik - einer Art wagnerianischem Gesamtkunstwerk? von Trier: Ja, ich bin mir sicher, dass Wagner Kino gemacht hätte.

SZ v. 22.10.2003

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