Im Interview: Katja Riemann:Sie spielt das durch

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Katja Riemann über märchenhaftes Glück und einsame Seejungfrauen. Über Fleiß und ihren Instinkt, immer den richtigen Regisseur zu treffen.

"Ganz schön groß, das Ding!", hat Katja Riemann gesagt, als sie die Coppa Volpi im Arm hielt, den Preis für die beste Schauspielerin auf dem Filmfestival in Venedig. Sie hat den Preis jenen Frauen gewidmet, deren Schicksal in ihrem neuen Film, "Rosenstraße" von Margarethe von Trotta, erzählt wird, und das hat auch der Bundeskanzler nachdrücklich gelobt. Ansonsten wird Katja Riemann noch etwas brauchen, um die mit dieser Auszeichnung verbundenen Momente von Stolz, Verpflichtung und märchenhaftem Glück zu verarbeiten.

Sie schläft vor des Prinzen Tür und findet keinen Einlass zu seinem Herzen. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Sie haben selbst neben der Schauspielerei Kinderbücher geschrieben. Was ist denn Ihr Lieblingsmärchen?

Katja Riemann: Oh, ich habe viele Lieblingsmärchen. An Grimms "Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" gefällt mir schon der Titel sehr und dieser immer wiederkehrende Ausruf: "Ach, wenn mir nur gruselte!" Mein allerliebstes Märchen ist Andersens "Die kleine Meerjungfrau" - die schneidet sich die Zunge ab, um ein Menschenkind zu werden, kann aber ihren Prinzen doch nicht bekommen. Sie sagt zur Hexe: "Aber ohne Zunge kann ich doch nicht mit ihm sprechen." Drauf die Hexe: "Aber du hast doch deine schönen Beine, deine aufrechte Gestalt, deine sprechenden Augen." Dann schläft sie vor des Prinzen Tür und findet keinen Einlass zu seinem Herzen.

SZ: Die Schauspielerei haben Sie einmal eine "reproduzierende Kunst" genannt - heißt das, dass sie eine mindere Kunst ist?

Riemann: Ganz und gar nicht. Mit "reproduzierend" meine ich nur, dass man als Schauspieler mit Texten umgeht, die man nicht selber geschrieben hat, mit Figuren, die jemand anderes geboren hat. Und man bedient eine Interpretation, deren Konturen der Regisseur vorgibt. Man könnte so sagen: als Schauspieler versuchst du, einen Text zu beatmen, eine Figur zu beatmen. Aber das heißt auch: In dem Augenblick, in dem mir ein Charakter anvertraut wird, mache ich ihn zu meinem eigenen. Ich hatte das Glück, gerade beim Film mit Regisseuren arbeiten zu können, deren Interpretationsansatz mir sehr nahe war, mit denen sich eine beinahe symbiotische Zusammenarbeit ergab.

SZ: Vielleicht war das nicht nur Glück, sondern eine glückliche Hand bei der Auswahl der Regisseure - besonders wenn man an die vielen Debütfilme denkt, in denen Sie mitgewirkt haben.

Riemann: Da ist viel Instinkt im Spiel. Man kann so etwas nicht strategisch planen. Ich habe fünf Debütfilme gemacht, mit tollen Regisseuren, die dann auch sehr bekannt geworden sind. Gerade bei den ersten Begegnungen mit Debütanten ist es mir wichtig, solche Dinge zu spüren: Passion, Phantasie, Intelligenz, Entschiedenheit und Bescheidenheit, Offenheit für Vorschläge. Ich muss das Gefühl haben, dass da eine intensive, gemeinschaftliche Arbeit möglich ist.

SZ: Margarethe von Trotta wiederum kann auf ein bedeutendes Œuvre zurückblicken, sie ist ein totaler Profi.

Riemann: Ich weiß, dass Sie es anerkennend meinen, wenn Sie "totaler Profi" sagen, aber dieses Wort ist mir denn doch zu kühl. Margarethe ist für mich in erster Linie ein strahlender Mensch, eine leidenschaftliche, außerordentlich kluge und gebildete Frau. Gleich bei unserer ersten Begegnung - als sie die fünf Stockwerke zu meiner Wohnung erklomm - waren wir uns sehr nahe, und so war dann auch die Zusammenarbeit: inspirierend, befruchtend, harmonisch.

SZ: Man weiß, dass Sie sich mit Hingabe und detailbesessenem Wissensdurst in ihre Rollen hineinarbeiten. War das bei der "Rosenstraße" auch so?

Riemann: Ja, gewiss. Solch eine Arbeitsweise ist für mich das Interessante an der Schauspielerei, ein Privileg - wenn man es sich denn nimmt. Man entdeckt neue Welten, man versucht, die Figur, die Geschichte, die Zeit genauestens zu erspüren. Ich habe viel gelesen, recherchiert, Belletristik und Sachbücher. "Rosenstraße" ist nicht mein erster Film, der von der Zeit des Nationalsozialismus handelt, aber ich musste mir neue Zugänge erschließen zu dieser authentischen Geschichte eines gelingenden Aktes des Widerstands, der, wie Margarethe sagt, ein "Wunder der Zivilcourage" war. Die Erinnerung an diese Zeit muss immer wieder neu aufgerufen und wach gehalten werden. Da darf man keine Schlussstriche ziehen wollen. Es gibt Leute, die abwinkend sagen: Ach, schon wieder so ein Film über die Nazi-Zeit. Das sind Leute, die nicht Bescheid wissen, die vielleicht Angst davor haben, genau Bescheid zu wissen. Wenn man sich ernsthaft mit dieser Zeit beschäftigt, wenn man Bücher liest wie die von Primo Levi oder Imre Kertész, dann wird einem die Dringlichkeit einer immer wieder neuen Erinnerungsarbeit klar.

SZ: Das Spannende an Ihrer Darstellung der Lena Fischer ist ihr Facettenreichtum: Lena kann eine sehr elegante Erscheinung sein; sie hat, aus einer preußischen Adelsfamilie stammend, unerschütterliche Contenance. Und überzeugt als Frau, die den dürftigsten, demütigendsten Verhältnissen stand hält.

Riemann: Schön, wenn Lena so erscheint, dann habe ich mein Klassenziel erreicht. Zu ihrer Charakteristik gehören noch zwei Dinge: unbedingte Liebesfähigkeit und die untergründig immer lauernde Angst. Einmal sagt sie zur befreundeten Klara: "Du darfst den Nazis niemals deine Angst zeigen. Du musst ihnen immer das Gefühl geben, dass noch jemand Wichtiges hinter dir steht, sonst hast du gleich verloren!" Man kann Lena den zerschlissensten Mantel anziehen, man kann ihr alles wegnehmen, sie in eine schäbige Wohnung stecken und hungern lassen - aber ihre Würde, ihren Stolz, ihre Intelligenz kann man ihr nicht nehmen. Lena trägt den zerschlissenen Wintermantel wie einen neuen Pelzmantel. Sie lässt sich von niemandem einschüchtern, auch nicht von Goebbels. Die Szene der Begegnung mit Goebbels war im Drehbuch so geschrieben, dass Lena aufhört Klavier zu spielen, hinaus geht und in die Blumenbeete kotzt. Dieser Abschluss der Szene gefiel mir nicht. Ich sagte zu Margarethe: "Lass uns etwas anderes versuchen: Lena geht nicht hinaus, sie bleibt sitzen, mit starrer, ausdrucksloser Miene. Sie spielt das durch."

Interview: Rainer Gansera, Fritz Göttler

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