Im Interview: Jürgen Flimm:Hasse deinen Nächsten

Blei in den Schuhen: Jürgen Flimm ist seit 2006 Intendant der Salzburger Festspiele. Ein Gespräch über Intrigen - und warum Österreicher darin besonders gut sind.

Michael Frank

Jürgen Flimm wurde am 17.Juli 1941 in Gießen geboren. Der studierte Soziologe, Theater- und Literaturwissenschaftler begann im aufregenden Jahr 1968 als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen seine Theaterlaufbahn. Bis heute undogmatischer Katholik, macht Flimm auch exegetische Bibellesungen, zuletzt beim Ökumenischen Kirchentag in München. Der als eher sanfte Seele Gerühmte kann aber auch schon mal aus vollem Zorn losballern. Als neuer Intendant der Staatsoper Berlin will er auch seine Arbeit als Psychotherapeut für Künstler und Publikum fortsetzten, als die der Theaterleiter, Schauspiel-, Opern- und Filmregisseur, Hochschullehrer und Gelegenheitsdarsteller seine Arbeit mitbegreift. Lesen Sie hier Auszüge aus einerm Interview mit der SZ am Wochenende.

Flimm warnt vor finanzieller Austrocknung der Salzburger Festspiele

Jürgen Flimm hat als Intendant der Salzburger Festspiele die eine oder andere Intrige am eigenen Leib erfahren. Seinen Frohsinn hat er aber inzwischen wiedergefunden.

(Foto: ddp)

SZ: Ist üble Nachrede für Sie schon eine Intrige?

Jürgen Flimm: Sie kann durch Stetigkeit intrigante Qualität gewinnen. Es kann beiläufig beginnen, indem einfach jemand sagt: "Der ist ja immer besoffen!" Solche Sprüche verselbständigen sich. Mich hat man auch versucht, als "Biertrinker" abzustempeln. Einfach immer nur sagen: Biertrinker. Über meinen Vorgänger Ruzicka hat man gesagt, der sei nie da. Hat nicht gestimmt, war reine Denunziation. Als man dasselbe über mich erzählte, dachte ich: Das kenn' ich doch. Der ist nie da, das heißt, der ist unzuverlässig, vernachlässigt seine Arbeit, und irgendwas auswärts ist ihm wichtiger, und was ihm wichtiger ist, weiß man nicht, denn er ist ja nie da.

SZ: Kursierten viele solche bösen Gerüchte über Sie?

Flimm: Zum Beispiel hat jemand, den ich nur zweimal gesehen hatte, mal das menschliche Zwischeneinander mit mir für unerträglich erklärt. Das ist als Intrige ziemlich gut, denn ich bin impulsiv und kann schon mal rausballern. Wenn das oft genug geschrieben wird, kommt das erwünschte Bild zustande. Ein Wiener Journalist hat einmal meine Tochter angerufen und gefragt, ob der Papi zu Hause immer rumgeschrien habe. Konnte sie nicht bestätigen, zu blöd. Das grenzt an Rufmord.

SZ: Ihr Gegengift?

Flimm: Man muss den Teufelskreis durchbrechen. Ein bitteres Beispiel: Ich sollte einem der Spitzenleute kündigen, versprach ihm hier und anderswo andere Arbeit, wollte es ihm leichtmachen. Danke, meinte der, das will ich nicht - und hat einen Brief an mich geschrieben, was für ein großes Schwein ich sei, hat diesen Brief im Kuratorium vorgelesen und der Presse gegeben. . .

SZ: Sie spielen da auf den Schauspielchef Oberender an. . .

Flimm: Ich bin ja sonst nicht leicht zu erschüttern. Aber das hat mich getroffen. Übrigens hat jemand aus dem Präsidium lautstark von mir gefordert: Der Kerl muss weg! - und ihm unter vier Augen versichert, welch' gute Arbeit er mache.

SZ: Da endete selbst Ihr Frohsinn?

Flimm: Und wie. Ich hatte sogar gesundheitliche Probleme. Da hatte auch ich Blei in den Schuhen. Ich habe den dann weitermachen lassen. Ich habe einen internen Brief geschrieben, ohne ihn der Presse zu stecken. Einer muss ja den Kreislauf von Hass und Missgunst durchbrechen. Später dann habe ich meinen gutgelaunten Zugang zu allem hier wiedergefunden.

SZ: Werden Sie die Österreicher als besonders begabte Intriganten in Erinnerung behalten?

Flimm: Österreicher sind oft brillante Leute und manische Intriganten. Dort, sagen Freunde, sind Intrigen auch klüger, intelligenter und komplizierter. Einem Freund, einem brillanten Dirigenten und manischen Intriganten, habe ich mal gesagt: Du hast zu viel Hirn, und zwar unbeschäftigtes Hirn; und dieser Teil macht sich selbständig und intrigiert automatisch. In Wien spürt man, was für ein Imperium Österreich mal war.

SZ: Demnach ist Salzburg also gar nicht spitze in der Intrige. . .

Flimm: Salzburg ist eine kleine Stadt, mit einer relativ geringen Nomenklatura, klar strukturiert. Es erinnert mich immer an Heinrich Mann - Bischof, Bürgermeister, Landeshauptfrau, die große Bank. . .

SZ: . . . und die Festspiel-Präsidentin?

Flimm: Ja, aber die spielt keine große Rolle. Die Festspiele und auch ihre Leute spielen in Salzburg keine Rolle, sind kein integraler Bestandteil der Stadt, sie sind nach dem Sommer wie vom Erdboden verschluckt und deshalb auch ein schönes Intrigantenterrain: Am Ende ist alles vorbei, die Lunte aber gelegt.

SZ: Auch wenn Sie einem am eigenen Leibe zu schaffen machen: In der Literatur und auf der Bühne - liebt man da die Intriganten nicht ganz besonders?

Flimm: Sie sind interessant. Richard III. ist hochinteressant, deshalb wollen ihn die Schauspieler so gerne spielen. Der Intrigant Wurm in "Kabale und Liebe" ist ein hochinteressanter Mensch. Mephisto ist auch ein tolles Schwein. Das sind die besseren Rollen, weil sie die Handlung vor sich hertreiben. Ich wäre lieber Jago als Othello. Intriganten sind attraktiv.

SZ: Weil sie böse sind?

Flimm: Weil sie amoralisch sind. Wer im Publikum sitzt, denkt sich, ich möchte meinen Chef auch mal so reinlegen wie Jago den Othello. Das asoziale Amoralische ohne Verantwortung ist das Schöne. Der perfekte Intrigant fliegt nicht auf.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Zutaten ein guter Intrigant auf jeden Fall benötigt

Intrigieren ist eine Kunst

SZ: Ist er ein Narzisst?

Flimm: Er muss absolut überzeugt von sich selbst sein: Ich bin ein toller Dirigent, ein wunderbarer Sänger, und ich schreibe wie Dante. Außer dem Intriganten hat keiner seinen Erfolg verdient, weil er selbst besser ist. Er sieht sich ungerechterweise zurückgesetzt. Neid macht auch geizig, materiell und emotional. Die sind alle eng im Kopf. Das sind auch keine fröhlichen Menschen. Die gehen nie auf Leute zu, halten keine Niederlage aus. Die sind asozial wie Jago.

SZ: Ist die Intrige nicht auch ein anspruchsvolles Gedankenspiel?

Flimm: Ein sehr anspruchsvolles, deshalb bin ich ja auch schlecht im Intrigieren. Du musst wie ein Schachspieler die ganzen Wege immer im Kopf haben. Ich bin kein guter Schachspieler. Richtig gute Intriganten sind schlau und ganz klar.

SZ: Wenn man als Theatermacher Intrigen am eigenen Leib erlebt - bekommt dann der Jago in der nächsten Inszenierung differenziertere Züge?

Flimm: Nein, denn Intrige zehrt aus, sie bereichert nicht. Sie ist im Leben nichts Inspirierendes. Man muss irgendwann ihren bösen Kreislauf durchbrechen.

SZ: Sie sind ab Herbst neuer Intendant der Staatsoper Unter den Linden. Und verlassen Salzburg unfreiwillig vorzeitig.

Flimm: Ich hätte die Spielzeit 2011 in Salzburg noch wunderbar machen können. Alles war ausgehandelt - da hat im Kuratorium, das einstimmig entscheiden muss, einer dagegen gestimmt. Wieder eine fette Intrige. Das habe ich nicht verstanden.

SZ: Hätten Sie denn zwei so anspruchsvolle Aufgaben wie die Staatsoper in Berlin und die Salzburger Festspiele überhaupt parallel bewältigen können?

Flimm: Das war gar nicht das Thema, der Spielplan für 2011 steht in Salzburg schon seit anderthalb Jahren fest. Es wäre nur noch um Produktionskontrolle gegangen.

SZ: Die Sache mit dem Intendanten Bachler und dem Generalmusikdirektor Kent Nagano, der seinen Vertrag am Münchner Nationaltheater nicht verlängerte - war das eine Intrige?

Flimm: Das halte ich für keine Intrige, das war eine Entscheidung des Intendanten, die er fällen muss. Aber das ist von außen schwer zu beurteilen.

SZ: Wären Sie eigentlich nicht insgeheim doch ein guter Intrigant - zumal Sie immer betonen, Sie wären gar keiner?

Flimm: Nein, ich bin zu anlehnungsbedürftig. Ich möchte, dass die Leute freundlich zu mir sind, ich will freundlich zu ihnen sein. Das Intrigantengebot aber lautet: Hasse deinen Nächsten wie dich selbst.

Das komplette Interview lesen Sie in der SZ am Wochenende vom 18.9.2010.

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