Im Interview: Eva Mattes:"Ich bin ein Elefant, Madame."

Es gibt kaum eine Rolle, die sie noch nicht verkörpert hat: Schauspielerin Eva Mattes über ihre Anfänge, die Männer in ihrem Leben und die Kunst, die eigenen Schwächen zu akzeptieren.

Gabriela Herpell

Eva Mattes kommt gerade aus Baden-Baden, hat flink den Koffer bei einer Freundin abgestellt und erscheint im Innenhof des Hamburger Atlantic-Hotels; so frisch, als sei sie einem Springbrunnen entstiegen; Schauspielerin eben. Eva Mattes sieht überraschend jung aus. Nicht nur, weil ihr berühmtes großflächiges Gesicht feiner ist als auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm, beim "Tatort". Auch, weil man sich jemanden, der so viele aufsehenerregende Rollen gespielt hat, älter vorstellt.

MATTES

"Mein Gott, wenn die wüssten, wie es in mir aussieht" denkt sich die Schauspielerin Eva Mattes, bevor sie auf die Bühne muss. Beim Spielen ist ihr dann allerdings nichts mehr von der Nervosität anzumerken.

(Foto: ap)

Lesen Sie hier Auszüge aus dem Interview in der SZ am Wochenende vom 3. Juli. 2010.

Süddeutsche Zeitung: Sie haben mit vielen großen Künstlern gearbeitet, teilweise in ganz jungen Jahren, als Teenager. Fassbinder, Zadek, Herzog . . . - wie sind Sie mit den ganzen wüsten, wilden Kerlen zurechtgekommen?

Eva Mattes: Ich war durch meine Jugend geschützt.

SZ: Wenn ich mit 16 Jahren Fassbinder gegenüber gestanden hätte, hätte ich kein Wort rausbekommen.

Mattes: Ich wollte das ja. Ich hatte mir das sehr gewünscht.

SZ: Machte es das nicht umso schlimmer?

Mattes: Nein, umso schöner. Ich habe Fassbinder zum ersten Mal in einer Münchner Disco gegenüber gestanden und mir sofort ganz konkret gewünscht, mit ihm zu arbeiten. Ich war 15.

SZ: Ganz schön früh.

Mattes: Ich hatte schon mit 12 Jahren angefangen zu schauspielern. Ich wollte diesen Beruf machen und sonst gar nichts.

SZ: Was kannten Sie da von Fassbinder?

Mattes: Alle seine Filme, die damals rausgekommen waren. Ich war täglich im Theatiner-Filmkunstkino, das es ja zum Glück heute noch gibt. Das war meine Bildung, die Schule hatte ich bereits verlassen. Gesehen hatte ich Fassbinder schon einmal vorher. Da hatte ich gerade den Film "o.k." mit Michael Verhoeven gedreht, der 1970 die Berlinale sprengte.

SZ: Der Film war der Jury zu kontrovers, er sollte nicht gezeigt werden. Daraufhin zogen andere Regisseure ihre Filme zurück, die Berlinale musste abgebrochen werden.

Mattes: Es gab trotzdem ein großes Fest, und in der Nacht stürmte Fassbinder mit seinen Leuten dort herein beziehungsweise stürmten sie eben nicht, weil sie nicht richtig angezogen waren. Ich beobachtete das und war irgendwie neidisch. Ich wollte eigentlich bei ihnen sein, war aber in der Gesellschaft drinnen, in der wohlerzogenen.

SZ: War die denn so wohlerzogen?

Mattes: Ja, schon. Ich saß an einem riesigen Tisch mit Verhoeven, Maximilian Schell, Hanna Schygulla und tanzte zwischendurch mit Genscher. Das war einschüchternd.

SZ: Sie wären lieber bei den bösen Jungs gewesen. Also zogen Sie später nachts los, um Fassbinder kennen zu lernen?

Mattes: Nein, das passierte ein halbes Jahr danach. Ich war mit meiner Mutter in einer Schwulendisco in München und. . .

SZ: . . . Moment: mit Ihrer Mutter?

Mattes: Ja, meine Mutter war nicht spießig und ist öfter da hingegangen, weil sie die Musik toll fand. Und da hat sie mich mal mitgenommen.

SZ: Aha. Und weiter?

Mattes: Ich tanze also und sehe meine Mutter plötzlich mit jemandem reden: Fassbinder. Mir wird ganz übel. Denn natürlich hat sie mich angepriesen, und das war mir entsetzlich peinlich. Dann hat sie gewunken, ich solle dazukommen, und Fassbinder lächelte - sein berühmtes, mildes Lächeln. Es war dann okay, denn ich habe gesehen, dass er beide Seiten verstanden hat. Die Mutter, die ihr Kind anpreist, und das Kind, das sich schämt. Das hat mir gefallen.

SZ: Und sind Sie dann in seine berühmte Clique aufgenommen worden?

Mattes: Nein. Fassbinder sagte an dem Abend: "Wir gehen alle noch woanders hin, komm' doch mit." Und meine Mutter sagte: "Ja, ja, geh' nur." Aber ich wollte nicht. Ich wollte mit ihm arbeiten, ich fand seine Filme toll, aber weiterziehen, in seiner Clique, das wollte ich nicht.

SZ: Wie vernünftig! Also sind Sie mit Ihrer Mutter nach Hause gegangen. Und haben sich gewünscht, dass Fassbinder sich meldet.

Mattes: Sehr intensiv gewünscht. Ein paar Wochen später klingelte das Telefon und ich kriegte das Angebot für "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" und "Wildwechsel". Als Paket.

SZ: Wie war Fassbinder zu Ihnen? Seine komplizierte Psyche ist ja bekannt.

Mattes: Er war zauberhaft zu mir. Er mochte meine Disziplin. Er konnte sich gar nicht vorstellen, dass jemand so jung sein kann und dabei so diszipliniert. Dabei war er ja selbst auch sehr diszipliniert in der Arbeit. Er beschützte mich auf seine Art.

SZ:Und dann kam Zadek. Ein reiferer wilder Mann. Hat der Sie nicht etwas nervös gemacht?

Mattes: Nein, gar nicht. In gewisser Weise war ich ja, ehrlich gesagt, selbst wild. Von all diesen vielen, vielen Mädchen, die zu den Probeaufnahmen von "o.k." kamen, hätte wahrscheinlich nicht eine das überhaupt spielen dürfen: ein Mädchen, das fünfmal vergewaltigt, erstochen und in die Isar geschmissen wird.

SZ: Aber Ihre Mutter war ja nicht spießig.

Mattes: Eben. Und ich wollte diesen Film machen, weil meine Nase mir sagte, das ist richtig. Als ich auf Verhoeven traf, spürte ich das. Und dann habe ich angefangen, Theater zu spielen. Das war auch gleich wieder ein ziemlicher Auftritt.

SZ: Sie standen nackt auf der Bühne, als Beppi in Franz Xaver Kroetz' "Stallerhof" in Hamburg. Mitten in der Pubertät.

Mattes: Ich war sehr unsicher in meinem Wesen damals, aber in meiner Arbeit . . . das Nacktsein auf der Bühne habe ich mir erarbeitet, zu Hause, ganz allein. Ich wollte sehen, wer ich war. Ich stellte mich nackt vor den Spiegel und fragte mich: "Wer ist die Beppi, wie sieht die aus? Was macht die? Wie steht die da?" Ich habe mich ganz genau angeschaut, damit ich mich so an mich gewöhne, dass mir niemand etwas anhaben kann. Vor allem nicht der Regisseur. Der hatte mich vorher immer schon gepiesackt, ich sollte abnehmen. Je mehr er das sagte, desto dicker wurde ich. Aber ich spürte, dass das richtig war. Ich habe mich, weil ich so jung war, so stark identifizieren können mit den Rollen, dass ich sehr viel über sie wusste. Ich habe aber nie darüber gesprochen. Ich habe das einfach so gespielt, wie es für mich stimmte.

SZ: Das waren viele provokante Rollen damals. Wie kamen Sie mit den extremen Reaktionen zurecht? Das Publikum war begeistert, aber auch entsetzt.

Mattes: Bei "Othello" von Peter Zadek am Hamburger Schauspielhaus war das Publikum schockiert von der Inszenierung. Aber dann hält man oben auf der Bühne zusammen. Umso mehr. Und "Stallerhof" war für mich ein Riesenerfolg. Da war keiner entsetzt. Ich habe immer Glück gehabt bis jetzt: Ich wurde noch nie angeschossen oder abgeschossen.

(...)

"Ich habe auch Ängste."

Sz: Sind Sie eigentlich das, was man immer so gerne als "starke Frau" bezeichnet?

Mattes: Dafür werde ich gehalten. Manchmal fühle ich mich. . . nicht direkt wie eine Hochstaplerin, denn ich mache den Leuten ja nichts vor, aber ich denke: "Mein Gott, wenn die wüssten, wie es in mir aussieht!" Ich habe ja auch Ängste, Unsicherheiten, Schwächen, mit denen ich umgehen muss. Aber ein Schauspieler lernt so etwas natürlich. Ich muss mit diesem wahnsinnigen Lampenfieber, das ich habe, auf die Bühne gehen. Ich weiß, dass man es mir nicht ansieht. Aber es ist immer eine große Überwindung.

SZ: Ist dieses starke Bild eine Last für Sie?

Zadek wollte mich immer so haben: kräftig und bollerig. Das fand er toll. Und ich wollte immer das Zarte, weil es auch in meinem Wesen ist. Gerade wenn man, wie ich, in der Pubertät mollig und drall daherkommt und das immer und immer beschrieben wird, möchte man sagen: "Ich bin ein Elefant, Madame." Elefanten sind groß und stark und unendlich zart. Alleine wie sie auftreten mit ihren Riesenfüßen, so weich und samtig.

(...)

SZ: Haben Sie nie von genialen Männern Sprüche gehört wie: Ja, wo sind denn all' die klugen, tollen, witzigen Frauen?

Mattes: Da regt sich dann natürlich ein Widerstand in mir. Aber wissen Sie, ich hatte beruflich nie ein Problem als Frau. Ich musste nicht kämpfen, war gleich an der Spitze, hatte die tollsten Rollen. Nur privat musste ich kämpfen, bis ich mich endlich nicht mehr habe unterdrücken lassen. Wobei ich auch immer dachte: "Tja, wenn ich das mit mir machen lasse . . ."

SZ: Was haben Sie mit sich machen lassen?

Mattes: Ich war mit egozentrischen Männern zusammen, von denen ich mich an die Seite gedrängt fühlte. Es ging nie lange gut. Ich habe gekämpft, mich aber auch gefragt, was das mit mir zu tun haben könnte. Ich mag Männer und Frauen nicht gegeneinander ausspielen. Das ist nicht mein Weg.

SZ: Mit Werner Herzog und Ihnen ging es nicht lange gut. Sie mussten die gemeinsame Tochter allein großziehen. War das hart?

Mattes: Nur insofern, als ich die Liebe des Mannes vermisste. Des Vaters. Aber meine Tochter Hanna und ich waren eine Einheit. Wenn man für so ein kleines Wesen da ist, dann ist es auch für einen da. Man hat weniger Angst.

SZ: Manche Schwächen akzeptiert man mit den Jahren. Gibt es welche, die Sie immer noch ärgern?

Mattes: Ich mache manchmal so Mauscheleien mit Menschen und verhalte mich dann wie ein flatterndes Huhn. Mit 40 dachte ich, ich müsste eigentlich klüger sein, einem erwachseneren Bild entsprechen. Jetzt ist das schon fast wieder anders. Ich fühle mich erleichtert. Ich kann eine Alte werden, der man Fehler nachsieht mit den Worten: "Ja gut, die ist ja jetzt auch schon alt."

Das vollständige Interview lesen Sie in der SZ am Wochenende vom 3. Juli 2010.

Eva Mattes, geboren am 14.12.1954, ist die Tochter des Wiener Dirigenten und Komponisten Willy Mattes und der deutsch-ungarischen Schauspielerin und Tänzerin Margit Symo. Als Kind war sie die deutsche Stimme des Jungen Timmy in "Lassie", ihre erste große Filmrolle hatte sie 1970 in "o.k." von Michael Verhoeven, daran schlossen sich Auftritte in den Fassbinder-Filmen "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" und "Wildwechsel" an. Mit 17 Jahren holte Ivan Nagel Eva Mattes ans Hamburger Schauspielhaus. Dort glänzte sie in Inszenierungen wie "Othello", "Der Widerspenstigen Zähmung", "Verlorene Zeit" von Peter Zadek, mit dem sie bis zu seinem Tod 2009 zusammenarbeitete. Seit 2002 ermittelt Eva Mattes als Tatort-Kommissarin Klara Blum. Sie lebt mit ihrem Sohn Josef und dem Künstler Wolfgang Georgsdorf in Berlin.

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