Süddeutsche Zeitung

Im Interview: Damien Hirst:"Schweine können fliegen"

Damien Hirst ist der umstrittenste Künstler der Gegenwart. Das Aushängeschild der "Young British Artists" spricht über Religiosität, gekreuzigte Kühe und Fehler der Beatles.

Holger Liebs

Damien Hirst, geboren 1965 in Bristol, ist der bekannteste, aber auch umstrittenste Künstler der Gegenwart - hauptsächlich, weil er ein Vermarktungsgenie in eigener Sache ist. Das Aushängeschild der "Young British Artists" ist Boss der Firma "Science", betrieb das Londoner Restaurant "Pharmacy", hat über tausend Kunstwerke gesammelt, wohnt in einem neugotischen Schloss nahe Gloucestershire - und hat gleich zwei Kunst-Marksteine unseres Zeitalters produziert, den in Formaldehyd eingelegten Hai, "The Impossibility Of Death In The Mind Of Someone Living" (1991), sowie den Diamantenschädel, "For The Love of God" (2007). Bei Sotheby's versteigerte er, an seinen Händlern vorbei, eigene Werke für 111 Millionen Pfund - am Tag der Lehman-Pleite, dem 15. September 2008. Jetzt stellt er einige Werke im Oceanographic Museum in Monaco aus, Ende April in der Galerie Haunch of Venison in Berlin. Im Gespräch mit der SZ am Wochenende spricht er über Religiosität, gekreuzigte Kühe und Fehler der Beatles.

Damien Hirst über...

... seine gekreuzigte Kuh und unsterbliche Kunst im Museum:

Niemand wollte sie ausstellen. Es geht am Ende doch nur um individuellen Geschmack, in Kirchen wie in Museen. Ich fand immer, dass Museen etwas für Lahmärsche sind. Es ist ganz einfach, ins Museum zu kommen! Du musst Oralsex mit dem Direktor haben. Aber du weißt nicht, ob sein Nachfolger die Arbeit dann ins Depot verbannt. Ich habe gerade eine Arbeit ans Oceanographic Museum in Monaco verkauft, in dem ich jetzt ausstelle. So ein Hai in Formaldehyd ist am Ozean einfach sinnvoll.

... Kindesmissbrauch durch katholische Padres:

Ich habe kürzlich einen Dokumentarfilm gesehen, Deliver Us From Evil, über einen Priester, der Dutzende Kinder sexuell missbraucht hat. Es ist eine Folge des Zölibats, der mit 14 einsetzt, dass die Erwachsenen im Kloster sich Teenager aussuchen. Weil sie ihre eigene Sexualität in genau diesem Alter nicht ausleben konnten.

... Fehler und die Beatles:

Ich probiere gerne etwas Neues aus. Ich stehe mit meiner Malerei erst am Anfang. Ich spiele nie auf Sicherheit, dann macht man halt auch mal Fehler. Es darf einem nicht peinlich sein. Als Kind mochte ich die Beatles. Sie haben immer gemacht, was sie wollten. Plötzlich diese langen Haare und das alles... Ich glaube, in der Rückschau ist einem vieles peinlich. Selbst einem Picasso.

... den Kunstmarkt:

Der Kunstmarkt ist ja nicht stabil, er ändert sich andauernd. Seit Beginn meiner Karriere haben mir Leute gesagt: Das kannst du nicht machen. Künstler und Kurator in einem? Niemals! In einer alten Fabrik ausstellen? Macht doch keiner. Auftragsarbeit am Anfang der Laufbahn? Geht nicht. Ich hab's gemacht.

... die Qualität seiner Kunst:

Kunst hat so viele Funktionen. Du kannst brutal oder sanft zu ihr sein. Sie kann die Zivilisation verändern oder lediglich den Raum aufhellen. Ich könnte jetzt brutal sein und sagen: Ich habe nur vier gute Arbeiten gemacht, der Rest ist scheiße. Kommt drauf an, wie fies man zu sich selbst ist. Wenn es vier sein müssten, würde ich sagen: der Hai. Das "Fly Piece". "A Thousand Years" (ein verwesender Kuhkopf mit Fliegen) und vielleicht das goldene Kalb. Ich könnte aber auch 50 auswählen. Oder 100. Früher dachte ich, man muss originell sein. Heute weiß ich, es ist nicht nur nicht wichtig, sondern unmöglich. Es wurde schon so vieles geschaffen Das sagte Picasso über die Höhlen von Lascaux: Wenn du das gesehen hast, kannst du auch aufhören.

... ein Schwein mit Flügeln:

In England ist das ein stehender Begriff. Pigs might fly. So in der Art: Ich liebe dich für immer. Antwort: Ja klar, und Schweine können fliegen. Etwas Unmögliches.

... das Rauchen:

Ich habe vor drei, vier Jahren aufgehört. Ich fühle mich gut. Bei mir waren es 140 eines Abends. Ich saß am Tisch mit Joe Strummer, der Selbstgedrehte rauchte, und meinem Freund Michael, der gar nicht raucht, und am Ende waren sieben Packungen leer. Sieben! Ich dachte: Mist, die habe alle ich geraucht! Na ja. Vorbei.

... Melancholie:

Ich wurde nur melancholisch, als ich zu viel trank und Drogen nahm. Du wachst morgens auf und denkst, fuck, ich liebe doch das Leben. Dann ist es vorbei. Aber ich liebe es auch, ins Dunkle zu schauen. Als Der weiße Hai rauskam, ich war noch ein Kind, habe ich viele Haie gezeichnet, abgetrennte Arme und Beine... (macht die Melodie nach) de-dep... de-dep... dedededede-dep...

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Quelle:
SZ vom 10.04.2010/nvm/kar
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