Süddeutsche Zeitung

Im Interview: Brian Eno:"Angst füttert sich selbst"

Brian Eno, Musiker und U2-Produzent, will nicht über Musik sprechen. Lieber über Zukunft. Und darüber, warum Angst die Welt erst gefährlich macht.

Dirk Peitz

Brian Eno, voller Name Brian Peter George St. John le Baptiste de la Salle Eno, wurde 1948 in Woodbridge, Suffolk geboren. Nach seinem Kunststudium gründete er zusammen mit Bryan Ferry und Andy Mackay im Jahr 1970 Roxy Music, verließ die Band jedoch bereits 1973, um allein weiterzumachen. Zu seinen bekanntesten Solowerken zählen das Ambient-Album "Music for Airports" und die Rockplatte "Before and After Science". Eno arbeitete gleichzeitig stets auch mit anderen Musikern an Kollaborationen oder als Produzent, etwa mit David Byrne, John Cale, mit David Bowie an der "Berlin-Trilogie" und für Coldplay. Eno ist auch als bildender Künstler und Sounddesigner tätig, so "komponierte" er das Windows-95-Startgeräusch. Dieser Tage erschien Enos neues Album "Small Craft on a Milk Sea".

Lesen Sie hier Auszüge aus einem Interview mit der SZ am Wochenende.

SZ: Mister Eno, vor einem Gespräch mit Ihnen listen Ihre Mitarbeiter als Erstes die Themen auf, über die Sie nicht reden wollen. Musik zum Beispiel.

Brian Eno: So ist es.

SZ: Sie wollen nicht dazu befragt werden, wie Sie einer der bedeutendsten Musiker der vergangenen Jahrzehnte wurden. Interessant.

Eno: Ich möchte wirklich nicht mehr darüber sprechen.

SZ: Auch nicht über Roxy Music, zu deren Urbesetzung Sie gehörten . . .

Eno: Nein.

SZ: Nicht über Ambient-Musik, die Ihnen ihren Namen verdankt.

Eno: Nein.

SZ: Wahrscheinlich auch nicht über U2, deren wichtigste Alben Sie produziert haben, und nicht über Ihr eigenes, neues: "Small Craft on a Milk Sea" . . .

Eno: Nein. Auch nicht. Zur Musik gibt es eigentlich nie was zu sagen. Deshalb gibt es sie ja. Und zur Vergangenheit ist alles gesagt.

SZ: Da Sie zu den Mitgründern einer Zukunftsstiftung namens "Long Now Foundation" gehören, würde sich also noch "Zukunft" anbieten.

Eno: Gefällt mir. Gutes Thema.

SZ: Seit wann interessiert es Sie?

Eno: Immer schon. Ich kann mich an eine Architekturbiennale in Venedig erinnern. Keine Ahnung, wann die war, aber der russische Beitrag war sensationell: Eine raumhohe Pyramide aus Schubfächern, in jedem lag ein Bild eines historischen Architekturmodells. Lauter Möglichkeiten der Zukunft, die älteste davon aus dem 17.Jahrhundert. Aufregend daran war die Erkenntnis, dass Menschen sich zu allen Zeiten die Zukunft vorgestellt haben. Wie wäre es, in einer anderen Welt zu leben? Das ist die eigentliche Geschichte der Zukunft.

SZ: Was finden Sie daran spannender als an der Gegenwart?

Eno: Zunächst mal, dass sie kommt. Wir alle tun nämlich so, als gäbe es gar keine Zukunft. Einer meiner Stiftungskollegen, der Computerwissenschaftler Danny Hillis, ein Mittfünfziger, hat das so formuliert: "Als ich ein Kind war, phantasierten alle darüber, was wohl im Jahr 2000 sein würde. Der Abstand zum Jahr 2000 wurde immer kleiner, doch alle redeten weiter nur über das Jahr 2000. Und heute, danach - redet niemand mehr über die Zukunft." Es ist, als sei mit Überschreitung der Millenniumsgrenze das Nachdenken über die Zukunft eingestellt worden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Eno eine Uhr in der Wüste aufstellen möchte, die 10 000 Jahre läuft.

SZ: Haben Sie eine Erklärung dafür?

Eno: Es fehlt die Zielmarke am Horizont. Die letzte war vielleicht 2001, wegen Kubricks Film, da konnte man noch mal eine alte künstlerische Vorstellung von der Zukunft mit der Gegenwart vergleichen. Seither bewegen wir uns sozusagen auf unbeschriebenem Terrain.

SZ: Weil die Zukunft unberechenbarer geworden ist?

Eno: Vielleicht. Nehmen wir die Regierungen. Sie fürchten sich vor allem davor, was die Fernsehnachrichten vom Abend und die Zeitungen von morgen über sie berichten. Eine ziemlich schlechte Voraussetzung für nachhaltiges Regieren, nicht? Unternehmen, zumindest die börsennotierten, denken ähnlich, die schauen nur nach dem Tageskurs, und allenfalls die Quartalszahlen interessieren sie noch.

SZ: Ihre Stiftung hingegen schaut sehr weit nach vorn. Sie wollen eine Uhr in der Wüste aufstellen, die 10 000 Jahre läuft.

Eno: Und zwar ohne Nachstellen oder Reparaturen.

SZ: Sind Sie so optimistisch, was den Fortbestand der Welt betrifft? Oder gehen Sie davon aus, dass irgendwann der Mensch aussterben wird und Ihre Uhr dann auch ohne ihn funktionieren muss?

Eno: Diese Uhr ist eine gebaute Metapher. Eben dafür, dass es eine Zeit nach uns gibt.

SZ: Also eine Apokalypsen-Metapher. Vor dreißig Jahren fürchtete man sich vor dem nuklearen Weltuntergang, heute vor den Folgen der Erderwärmung. . .

Eno: Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen diesen beiden Szenarien: Die Erderwärmung zeigt sich, zumindest in unseren Breiten, nicht unmittelbar als Katastrophe. Weil Europa nicht von einem auf den anderen Tag absaufen wird, werden wir die Auswirkungen des Klimawandels nicht einmal als solche begreifen. Wie die Zuwanderung von Menschen aus den Gebieten der Erde, die künftig entweder keinen oder zu viel Regen haben: Durch ihre schiere Anzahl wird es zu einer Vielzahl von Problemen kommen. Und niemand wird die Ursache beim Klimawandel suchen, sondern immer noch beim Wohlstandsgefälle.

SZ: Lassen apokalyptische Szenarien uns nicht im Stillen auch wohlig erschauern - solange sie abstrakt bleiben?

Eno: Das was sie auslösen, ist nicht abstrakt. Ein mittlerweile historisches Beispiel: Live Aid entstand als Reaktion auf einen einzigen Nachrichtenbeitrag. Die Bilder von hungernden Kindern in Afrika schufen eine unmittelbar nachvollziehbare Verbindung zu einer herrschenden Dürre. Und sie lösten eine bis dahin ungekannte Spendenbereitschaft aus.

SZ: Aber damals war bereits klar, dass Afrikas Nahrungsknappheit eine direkte Folge despotischer Politik war.

Eno: Nun, ich kann nichts verteidigen, wofür ich nicht verantwortlich bin. Doch Live Aid zeigte, was Bilder bewirken können. Verglichen damit ist die Geschichte der Erderwärmung viel schwerer zu erzählen, von ihren Folgen gibt es immer nur episodische und unzusammenhängend erscheinende Bilder, etwa die von der Flut in Pakistan. Außerdem wollen genug Leute nicht an den Klimawandel glauben. Oder andere glauben machen, dass er nicht existiere.

SZ: Ist Zukunft nicht immer Glaubenssache?

Eno: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Welt erst entsprechend der Vorstellungen, die wir uns von ihr machen, erschaffen wird. Ein gutes Beispiel dafür ist das, was nach dem 11. September passierte, die Welle von Panik und Paranoia, die Amerika erfasste. Die Kriege im Irak und in Afghanistan sind Belege dafür, dass die Angst vor einer gefährlichen Welt tatsächlich die Welt gefährlicher machen kann. Ein Prozess, der fatal an eine Panikattacke erinnert: Die Angst füttert sich sozusagen selbst. Indem man an die Apokalypse glaubt, macht man sie wahrscheinlicher - weil man sich entsprechend verhält.

SZ: Und warum glauben wir bereitwilliger an Apokalypsen als an schöne Utopien?

Eno: Wir erkennen das Gute leider nicht so deutlich wie das Böse. Nehmen wir das Computerzeitalter und das Internet: Damit haben sich Zukunftsträume der sechziger Jahre erfüllt, und wir merken es nicht einmal. Eines der erstaunlichsten Phänomene des Internets ist ja, dass Menschen darin so viel miteinander teilen. Der Großteil der Musiksoftware, die ich benutze, ist kostenlos und frei im Netz verfügbar. Die Leute, die sie schreiben, wollen kein Geld dafür haben. Noch vor zwanzig Jahren wären sie von Ökonomen für verrückt erklärt worden: Wo ist das Geschäftsmodell? SZ: Es gibt ja auch keines. Früher nannte man das Wohltätigkeit.

Eno: Und trotzdem funktioniert es! Das Internetlexikon Wikipedia gibt es deshalb, genauso das Betriebssystem Linux. Und letzteres ist darum so gut, weil viele Menschen fortwährend an seiner Weiterentwicklung arbeiten, gratis und doch zum eigenen Nutzen.

SZ: Sie, Mister Eno, haben Ihre Schäfchen ja im Trockenen. Sie haben Ihr Geld verdient, als es der Musikindustrie noch prima ging. Nun wird sie vom Internet ruiniert. Was daran ist gut?

Eno: Ich erzähle Ihnen mal was. Es ist keine besonders populäre Erkenntnis, gerade unter Musikern nicht, aber: In jeder Kunstform wird die erste Generation, die darin arbeitet, immer absurd überbezahlt. Den Popmusikern hat man in den sechziger, siebziger, achtziger Jahren lächerlich viel Geld in den Rachen gestopft. Viel mehr, als wir verdient hätten, gemessen an unserem Beitrag für die Gesellschaft.

SZ: Aber Sie haben das Geld gern genommen?

Eno: Mit Kusshand.

SZ: Und Ihre Generation ist heute, dank der Nostalgie der Konsumenten, ein weiteres Mal begünstigt: Neue Luxuseditionen von alten Hitalben verkaufen sich super.

Eno: Wenn Sie gerade mal in die Ecke dort schauen wollen, da stellen zwei meiner Mitarbeiter die limitierte Luxusedition meiner neuen Platte zusammen, zum Vinyl packen sie handsignierte Drucke in sehr teure Schuber. Tja, was soll ich sagen. Schon Wochen vor Verkaufsstart ist die Edition vergriffen, und es gab sie nur online zu bestellen. Für 250 Pfund.

SZ: 250 Pfund? Jesus . . .

Eno: Die Drucke sind Unikate! Diese Editionen sind ein neues Betätigungsfeld für bildende Künstler, und ein solcher bin ich ja nun auch.

(...)

SZ: Mister Eno - schon eine konkrete Idee für Ihre persönliche Zukunft?

Eno: Schwierig. Wobei, es gäbe da etwas: Ich würde gern die interessanteste Frage beantworten, die sich jedem Künstler auf der Welt stellt: Wir machen Kunst, aber keiner von uns weiß, warum eigentlich. Außer, dass wir die Zeit füllen müssen. Weshalb interessieren uns aber Bilder, Melodien, das ganze Zeug? Warum bringt mich die eine Notenabfolge zum Weinen, die andere zum Lachen? Warum haben wir ästhetische Präferenzen? Hat das ästhetische Empfinden eine evolutionäre Funktion? Oder ist es nur ein biologisches Überbleibsel, das die Evolution vergessen hat auszurotten? Ich würde wirklich, wirklich gern das Buch schreiben, das die Antworten gibt.

(...)

SZ: Warum ein Buch, warum nicht eine Platte oder ein Bild, etwas, das alle Erklärungen überflüssig macht? Ist das nicht die Aufgabe der Kunst?

Eno: Um Gottes willen: nein! Kunst ist immer nur der eintretende Fall, das konkrete Beispiel, die gestaltete Manifestation von etwas Nichtstofflichem. Die Erklärung dafür zu finden, ist nicht Aufgabe der Kunst, die müssen andere liefern. Kunst, die sich selbst erklärt oder überhaupt etwas erklären will, ist immer sauschlecht.

SZ: Haben Sie auch Angst vor der Zukunft?

Eno: Eigentlich nicht. Also: meistens.

Das komplette Interview lesen Sie in der SZ am Wochenende vom 6.11.2010

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1019859
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ am We/Lena
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.