Süddeutsche Zeitung

Im Hörsaal:Kunst und Leiden

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Die Kammeroper verknüpft die "Dichterliebe" mit Medizin

Von Egbert Tholl, München

Der Raum allein ist eine Sensation. Der große Hörsaal der Anatomischen Anstalt der Ludwig-Maximilian-Universität, ein herrlicher Bau aus der Prinzregentenzeit, ist ein Theaterraum der Erkenntnis. Steil sind die Ränge, eng die Reihen, tief blickt man in dem amphitheatralen U hinunter. Man könnte meinen, man befinde sich auf dem Filmset der Charité-Fernsehserie, aber es kommt viel besser. Das Orchester der Kammeroper München spielt, Daniel Behle singt, und dazwischen erfährt man viel über eine Krankheit, die jahrhundertelang ein munteres und verheerendes Leben führte, bis 1943, als die industrielle Produktion von Penicillin eine wirksame und bald auch billige Therapie möglich machte. Die Krankheit ist die Syphilis, an ihr gingen sowohl Robert Schumann als auch Heinrich Heine zu Grunde.

Deswegen singt Daniel Behle die "Dichterliebe", jenen Zyklus, den Robert Schumann 1840 nach Gedichten von Heinrich Heine schuf - die beiden trafen sich übrigens ein Mal, in München 1827. Den Klavierpart übersetzt Alexander Krampe für das kleine Orchester der Kammeroper, in dem sich auch wieder ein Akkordeon und eine Gitarre befinden. Sehr treu bleibt er Schumanns Musik, im Grunde formuliert er in seinem Orchesterarrangement die Farben aus, die ein guter Pianist allein am Flügel entdecken könnte. Besonders schön gelingen die Volksfest- und Volksmusikstimmungen etwa in "Das ist ein Flöten und Geigen", traurig schön auch das "Ich hab' im Traum geweinet". Der Orchesterklang evoziert einen Gedanken an Oper, doch es bleibt Lied, von Daniel Behle mit einem starken, männlichen Kern in der Stimme vorgetragen. Behle hat die Souveränität großer Ruhe, durchsetzt von übermütigen Ausbrüchen. Er ist ernst, und er ist sehr genau dem Wort gegenüber, er trifft eher trocken, dafür umso ergreifender die Momente von Weh und Sehnsucht.

Zu diesem Zeitpunkt hat man sehr viel erfahren vom Verrecken des Komponisten und des Dichters. Um sich im frühen 19. Jahrhundert mit Syphilis anzustecken, musste man kein abenteuerliches Lotterleben führen, auch wenn dies Heine in seiner Berliner Zeit wohl durchaus tat. Friedrich von Thun erzählt mit Worten Krampes Biografisches, Privatdozent Peter Reilich erläutert die Krankheit medizinisch, erklärt Ansteckung, Verlauf und Symptome. Dank Schumanns Tagebuch kann bei ihm der Mediziner vieles sehr genau bestimmen; zwischen Ansteckung und Ausbruch liegen bei ihm, wie auch bei Heine, Jahrzehnte. Verkürzt gesagt wurde Schumann durch die Syphilis wahnsinnig und verbrachte seine beiden letzten Lebensjahre in einer Anstalt. Bei Heine zerfiel der Körper, er verschwand für acht Jahre in dem, was er selbst "Matratzengruft" nannte, blieb im Geist aber bis zuletzt wach.

Manches Gehörte ist erheiternd, etwa die Tatsache, dass die Syphilis in Deutschland französische Krankheit genannt wurde, in Frankreich neapolitanische, in Russland polnische, und so weiter, je nach dem, welches Nachbarland man gerade auf dem Kieker hatte. Zwischen den Vorträgen in einzelne Partien aufgesplittert Schumanns Klavierquintett, überragend schön arrangiert von Krampe.

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Quelle:
SZ vom 29.03.2017
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