Im Gespräch: Tilda Swinton:"Ich will nicht spielen"

Tilda Swinton spricht über ihre berühmte Androgynität, wie sie zur Kommunistin wurde und warum sie für ihren neuen Film schon wieder die Berliner Mauer entlang radelt.

R. Gansera

Im Jahr 1988 drehte die Schauspielerin Tilda Swinton unter der Regie von Cynthia Beatt einen kleinen, 27-minütigen Film in Berlin: "Cycling the Frame" entstand für das "Kleine Fernsehspiel" des ZDF. Da radelte sie an der Mauer entlang, führte Selbstgespräche, erschien mit ihrem rapunzellangen, dunklen Haar wie eine Alice im Wunderland, trällerte in der Art eines Kinderreims vor sich hin: "The wall, the wall - The wall must fall". Ein Jahr später fiel die Mauer. Jetzt, 20 Jahre danach, hat die 48-Jährige "The Invisible Frame" gedreht - als Replik und Fortsetzung: eine Fahrradtour durchs heutige Berlin, an der ehemaligen Grenzlinie entlang, wo hier und da noch alte Mauerfragmente zu sehen sind. In einer Drehpause am Görlitzer Park beobachtet Tilda Swinton - sie trägt jetzt strohblondes, kurzes Haar - fasziniert eine Gruppe von Seiltänzern, die gekonnt über ein zwischen Bäumen aufgespanntes Übungsseil balancieren.

Im Gespräch: Tilda Swinton: Tilda Swinton in Berlin: 20 Jahre nach dem Mauerfall hat sie "The Invisible Frame" gedreht - eine Fortsetzung ihrer Fahrradtour im Jahr 1988.

Tilda Swinton in Berlin: 20 Jahre nach dem Mauerfall hat sie "The Invisible Frame" gedreht - eine Fortsetzung ihrer Fahrradtour im Jahr 1988.

(Foto: Foto: SZ)

SZ: Ihr neuestes Werk erscheint auf den ersten Blick etwas merkwürdig: Berühmte, mit dem Oscar geehrte Schauspielerin fährt einfach nur Fahrrad . . .

Tilda Swinton: Sehen Sie die Seiltänzer dort drüben? Für einen anderen Film sollte ich einmal lernen, wenigstens ein paar Schritte übers Seil zu balancieren. Es wollte mir überhaupt nicht gelingen, bis mir klar wurde: Wenn du dich mit der Erde verbunden fühlst, fällst du herunter. Wenn du dich aber mit dem Himmel verbunden fühlst, dann schaffst du die Balance. Darum geht es auch hier: Eine Anti-Ego-Übung, ganz im Sinn des großen Regisseurs Roberto Rossellini.

SZ: Der von sich immer sagte, er filme nur "Fakten".

Swinton: Das finde ich großartig: Fakten filmen. Gerade so hat er auch Ingrid Bergman gefilmt. Man muss sich das einmal vorstellen: eine Frau, einen Star wie Ingrid Bergman zu haben, und sie dann einfach so zu filmen.

SZ: Worüber sich Ingrid Bergman allerdings bitter beklagte. "Ich wollte spielen", sagte sie.

Swinton: Ich will nicht spielen. Ich sehe mich nicht als Schauspielerin, sondern als Performerin, als so etwas wie das Modell für den Maler. So war es jetzt auch hier: Ich sitze auf dem Fahrrad, schaue mich um, trete in die Pedale, und das ist es schon. Es erinnert mich an meine Kindheit - dieses wunderbare Gefühl der Ziellosigkeit.

SZ: Dieselbe filmische Radtour haben sie vor 21 Jahren schon einmal gemacht - damals entlang der Mauer, heute entlang derselben Strecke im neuen Berlin. Wie haben Sie den Unterschied erlebt?

Swinton: Ich bin völlig verwirrt, weil ich die Stadt überhaupt nicht wiedererkenne. Wenn ich jetzt Berlin erkunde, fühle ich mich wie jemand, der nach zwanzigjährigem Zauberschlaf in einer völlig neuen Welt erwacht. Der Potsdamer Platz erscheint mir wie ein völlig neuer Ort, ein neues Universum. Als ich jetzt an einzelnen Häuserecken die alte Stadt von 1988 wieder erkannte, war das fast wie ein Schock. Wenn ich heute an die Mauer denke, berührt mich das emotional noch stärker als damals. Heute frage ich mich: Wie ist ein so brutaler Akt wie eine Mauer-Errichtung möglich? Ich weiß, ich spreche als eine Fremde, wenn ich mir diese Antwort zurechtlege: Wahrscheinlich waren die Menschen 1961 durch die ungeheuerlichen Erfahrungen des Krieges noch so traumatisiert, dass die Errichtung der Mauer vergleichsweise harmlos erschien - und deshalb keine massenhaften Proteste hervorrief.

SZ: Die Mauer wurde verdrängt . . .

Swinton: Ja, das erstaunte mich damals. Es erinnerte mich auch daran, dass mein Vater - er war Generalmajor der Scots Guards und verlor im Krieg ein Bein - niemals vom Krieg erzählte, dass er seine Kriegserfahrungen zu verdrängen schien. Ich erinnere nur eine einzige Situation in meiner Kindheit, in der er eine Andeutung machte. Zusammen mit meinem jüngeren Bruder schaute ich mir einen Western im Fernsehen an. Wir wunderten uns darüber, dass die Soldaten da einfach so erschossen werden und sofort mausetot umfallen. Mein Bruder sagte: "In Wirklichkeit sterben Soldaten gewiss viel langsamer und qualvoller!" Mein Vater, der wie immer im Sessel saß, versteckt hinter seiner Zeitung, nahm die Zeitung kurz herunter und sagte knapp: "Ja, das tun sie!"

Lesen Sie auf Seite 2, wie Tilda Swinton zu ihrer Identität als Frau steht.

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