In den frühen neunziger Jahren war Suelette Dreyfus, Journalistin und Medienwissenschaftlerin an der Universität Melbourne, Teil des australischen Hacker-Untergrunds. Zu dem gehörte unter dem Namen "Mendax" auch Wikileaks-Gründer Julian Assange. Hacks in die Netzwerke von Unis und Telekommunikationsfirmen riefen damals Polizei und Justiz auf den Plan. Assange wurde 1996 zu 2100 Dollar Schadenersatz und einer Bewährungsgeldstrafe verurteilt. Gemeinsam mit Assange recherchierte Dreyfus damals drei Jahre lang für ein Buch über die Hacker-Szene. "Underground" erschien im Original 1997. Nun erscheint das 600-Seiten-Werk erstmals bei Haffmans & Tolkemitt auf Deutsch.
Es gibt keine öffentlichen Fotos von Suelette Dreyfus auf denen sie zu erkennen ist. Die Co-Autorin des Wikileaks-Gründers Julian Assange will nicht auf Bildern gezeigt werden.
(Foto: dpa)SZ: Sie bemühen sich in Ihrem Buch, die Hackerszene, die Sie beschreiben, als etwas genuin Australisches zu schildern. Gilt das auch für Wikileaks?
Suelette Dreyfus: Absolut. Das Interessante an Wikileaks, was genauso für den frühen australischen Untergrund gilt, ist die Grundhaltung, dass nicht jede Autorität recht hat, und dass man dagegen rebellieren muss. Die embryonische Version davon schildere ich in Underground. Eine deutlich weiterentwickelte Version davon sehen wir in Wikileaks und in (der Hackergruppe, Red.) Anonymous. Die Politisierung der Jugend im Internet ist eine wirkliche Strömung. Das ist das verbindende Thema, das vom frühen Underground bis heute reicht. Wir haben nun eine Jugendkultur, die sehr amorph ist, schwer festzunageln, sehr agil, hochbeweglich und sehr anpassungsfähig. Und das traf auch schon auf den frühen Untergrund zu.
SZ: Wie politisch waren die frühen Hacker denn? Das klingt im Buch alles auch sehr spielerisch. Sie versuchten einfach in jedes Computernetzwerk einzudringen, an das sie herankommen konnten.
Dreyfus: Bei einer Reihe der Hacker, die ich interviewt habe, habe ich schon Spuren einer frühen Politisierung gefunden. Zum Beispiel der Wank-Wurm, den man den weltweit ersten politisch motivierten Computerwurm oder den ersten Wurm mit einer politischen Botschaft nennen könnte. Das war ein ziemlich bedeutender Meilenstein. Denn es war ganz deutlich, dass der Autor oder die Autoren dieses Wurms die Autoritäten ablehnten, die Atomenergie förderten. Also machten sie sich darüber lustig, machten eine Art Satire daraus, als deutliches Zeichen der Ablehnung.
Das war spielerisch, weil der Wurm den Behörden vor allem einen Streich spielte. Er drang in die Netzwerke der Nasa und des US-Energieministeriums ein und tat so, als würde er große Datenmengen löschen, obwohl nichts dergleichen geschah. Die Daten waren also alle noch intakt, obwohl einige Leute deswegen vielleicht Herzanfälle hatten, was vielleicht auch etwas hart war. Die gleiche Politisierung fand man auch bei den International Subversives (Assanges Hackergruppe Anm. d. Red.).
SZ: Sie zitieren Julian Assange im Buch damit, dass er Technologie als Agenten des Wandels angesehen habe. Das war damals schon so?
Dreyfus: Das hat er schon in ziemlich jungen Jahren so gesehen. Er konnte absolut klar erkennen, in welche Richtung die Technologie die Dinge treiben würde. Das heißt nicht unbedingt, dass er eine Vision von Wikileaks hatte. Aber er hatte sicherlich eine technologische Vision. Das Besondere an Technologie ist ja, dass sie die Fähigkeit verbessert, Informationen kostengünstig einer großen Zahl von Menschen zukommen zu lassen, und bessere Informationen zu liefern, als das andere Quellen können.
Julian hat einen sehr scharfen, technischen Verstand und deswegen war ihm Effizienz immer sehr wichtig. Ich habe ihn einmal dabei beobachtet, wie er Umzugskisten packte. Die meisten Leute werfen einfach ihre Sachen in die Kartons. Julian packte dagegen eine Kiste, und wenn auch noch der geringste Platz in der Kiste frei blieb, packte er sie wieder aus. Kein noch so kleiner Platz in der Kiste sollte verschwendet werden.
SZ: Das klingt in der Tat nach einem technischen Verstand, aber doch auch etwas überraschend. Denn in verschiedenen anderen Berichten über Julian Assange, dem Buch von Daniel Domscheit-Berg zum Beispiel, oder dem New-Yorker-Porträt von Raffi Khatchadourian, wird interessanterweise auch beschrieben, wie er umzieht, und eben genau das hervorgehoben: Dass er einfach einen Koffer nimmt und Dinge hineinwirft.
Dreyfus: Das ist eine andere Sache. Der Unterschied ist der, dass er einen technischen Verstand hat, den er einsetzt, wenn ein Rätsel geknackt werden muss, das er für wert erachtet geknackt zu werden, entweder, weil er so etwas für die Gesellschaft tut, oder, weil es seinen Verstand schärft. Dann fokussiert er sich darauf. Die Umzugskisten in diesem Fall waren so eine Rätselaufgabe. Aber es geht seinem technischen Verstand eben um Effizienz, und das hat auch mit der Skalierbarkeit von Information zu tun. Er sieht eben, dass man, wenn man einen positiven Wandel in der Welt erreichen will, es in einer Weise tun muss, die skalierbar ist.
Der einzige Weg, etwas in sehr großem Maßstab zu machen, das auch bezahlbar ist, funktioniert über Information. Ich denke, das ist der Punkt um den es ihm ging, als er Wikileaks gegründet hat. Man kann eine Milliarde Dollar verdienen mit einem Internet-Start-up, das tatsächlich funktioniert, und dann mit diesem Geld Menschen in den ärmsten Ländern der Welt mit Nahrungsmitteln versorgen. Aber wird das wirklich einen langfristigen gesellschaftlichen Wandel hervorrufen? Es wird mittelfristig viel Leid lindern, das ist wichtig. Aber es dreht nicht unbedingt an den technischen Stellschrauben für eine optimale Lösung. Julians Verstand ist in dem Sinne technisch, dass es ihm um Optimierung geht. Ob es um die Optimierung des Platzverbrauchs in einem Umzugskarton geht oder um die Optimierung des gesellschaftlichen Wandels zum Besseren.