Im Gespräch: Steven Soderbergh:"Kino ist keine Privatsache"

Oscar-Gewinner Soderbergh spricht über seinen neuen Film "Der Informant!" - und über die Schwierigkeit, Leute dazu zu bringen, zwei Stunden lang in eine Richtung zu starren.

Susan Vahabzadeh

Steven Soderbergh, 46, war das Wunderkind des Independent-Booms Anfang der Neunziger. "The Informant!" ist sein zwanzigster Film, inzwischen ist er Oscar-Gewinner und Liebling des europäischen Festivalbetriebs - und liebäugelt dennoch mit einem frühen Ruhestand.

Im Gespräch: Steven Soderbergh: September 2009: Regisseur Steven Soderbergh stellt seinen Film "The informant!" beim Filmfestival in Deauville vor.

September 2009: Regisseur Steven Soderbergh stellt seinen Film "The informant!" beim Filmfestival in Deauville vor.

(Foto: Foto: afp)

SZ: Wer ist denn eigentlich auf den Gag gekommen, Mark Whitacre genüsslich lange deutsche Wörter vor sich hin sagen zu lassen, Sie oder Ihr Drehbuchautor Scott Burns?

Steven Soderbergh: Das sind meine Lieblingsmomente im Film - Kugelschreiber! Meiner ist auf dem Weg nach Europa kaputtgegangen, also war ich im Montblanc-Laden in Frankfurt und hatte dort ein Flashback: Kugelschreiber. Aber eigentlich stammt das vom echten Mark Whitacre.

SZ: Wie kamen Sie dazu, Whitacres bizarre Karriere zu verfilmen?

Soderbergh: Der Drehbuchautor Scott Burns hatte im Radio eine Sendung über ihn gehört, als Kurt Eichenwald sein Buch herausgebracht hatte. Ein sehr filmisches Buch. Ich mag es, wie es immer wieder Augenblicke gibt, wo man alles, was man bisher gehört hat, in neuem Licht betrachten muss. Das gefiel mir - eine Erzählerstimme, die die Geschichte nicht weiterbringt, sondern verwirrender macht. So funktioniert unser Verstand: Man sieht etwas und unsere Gedanken schweifen ab. Ich finde nicht, dass das Whitacre verrückt erscheinen lässt. Es lässt ihn ein wenig neben der Spur erscheinen, aber das ist jeder mal.

SZ: Na ja, die meisten Menschen sind allerdings nicht so weit neben der Spur wie dieser Informant des FBI, der glaubte, seine Unterschlagungen in der eigenen Firma würden nicht weiter auffallen und ihm dort letztlich den Direktorenposten bescheren.

Soderbergh: Er war wohl ein Extremfall . . .

SZ: Ist "The Informant!" die letzte Produktion von Section Eight, der Firma, die Sie mit George Clooney hatten?

Soderbergh: Ja. Wir haben in dieser Firma fast jeden Film auch tatsächlich gedreht, den wir entwickelt haben, das wird irgendwann zu viel. George produziert jetzt viel weniger, in einer neuen Firma mit Grant Heslov - und ich wollte gar nicht mehr produzieren. Ich hasse produzieren. Fürchterlicher Job.

SZ: Eigentlich ist es gut, dass Sie "The Informant!" erst jetzt gemacht haben - die Geschichte, ein realitätsferner Borderline-Patient als Führungskraft, passt zur aus den Fugen geratenen Wall Street.

Soderbergh: Ich denke, im Kapitalismus drückt sich eigentlich nur eine Seite der menschlichen Natur aus. Ich sehe darin keine rabenschwarze Weltverschwörung. Es gefällt mir nicht, dass wir wetteifern, dass wir so gierig sind, dass wir andere ausbeuten, um selbst weiterzukommen - aber ich glaube, dass diese Eigenschaften in uns sind. Das haben nicht die Konzerne erfunden. Menschen verhalten sich auch in einem Obdachlosenasyl so, man wird diese Eigenschaften nie los. Sobald man Regeln hat, wird jemand einen Weg finden, sie zu umgehen. Das hat mir an der Geschichte von Whitacre gefallen: Sie ist persönlich. Der Mann wäre in jeder anderen Umgebung genauso, die Firma hat ihn nicht dazu gemacht. An Verschwörungen glaube ich nicht. Vor allem nicht heutzutage, es gibt doch keine Geheimnisse mehr, das ist doch schrecklich. Ich meine, wie haben Leute heute eigentlich noch Affären? Man ist dauernd erreichbar und kann doch gar nichts mehr heimlich machen - "Hey, ich hab dir eine SMS geschickt, wo warst du?"

SZ: Der logistische Aufwand ist sicherlich beträchtlich gestiegen.

Soderbergh: Allerdings. Jede zwischenmenschliche Beziehung wird dokumentiert - ist das nicht alarmierend? Ich habe eine 18-jährige Tochter, die findet das normal. Ihre Beziehungen sind denen, die ich in ihrem Alter hatte, nicht mal ähnlich, sie ist viel reifer. Sie verarbeitet ihre Gefühle, während sie sie erlebt. Das kann ich immer noch nicht.

SZ: Denken Sie, das ist ein Phänomen der Internet-Generation?

Soderbergh: Dass man mit E-Mails sozusagen in Echtzeit kommuniziert, aber doch auf Distanz bleibt, kann bei emotionalen Fragen gut sein - oder auch nicht. Man kann jemandem vorsichtig beibringen, was einem nicht passt. Ich glaube immer noch an das direkte Gespräch, am besten, man ist tatsächlich im Raum.

SZ: Die Schnellverarbeitung von Emotionen, Nachrichten, Meinungen wird vom Internet jedenfalls beflügelt - nur die Rationalität nicht.

Soderbergh: Ja. Aber es ist prima zum Anbandeln. Ich werde dauernd gefragt, warum ich nicht auf Facebook bin, und sage: Ich bin verheiratet. Leute sind nur auf Facebook, weil sie die Leute suchen, mit denen sie zur Schule gegangen sind, die sie aber nie ins Bett gekriegt haben. Oder man sucht jemand Neues, mit dem man schlafen will. Ich wüsste nicht, wozu das alles sonst gut sein sollte.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Soderbergh über die Zukunft denkt.

Eine Frage des Egos

SZ: Sie glauben, es gibt dort keine unschuldige Kommunikation mit Leuten, mit denen man noch nie schlafen wollte?

Soderbergh: Nein! Das ist eine gigantische Bar. Was ich beunruhigend finde - für meine Tochter, für diese Generation - ist die Erosion der Vorstellung von Privatheit - dass man manche Dinge nicht öffentlich diskutiert, sie nur den Leuten gehören sollten, die sie erlebt haben.

SZ: Die Erfahrung, dass Geständnisse im Internet für immer öffentlich sind und zehn Jahre später wieder auftauchen, haben die Leute ja noch nicht gemacht.

Soderbergh: Wahrscheinlich kommt es daher, dass die Welt so irre und so groß und so überfüllt ist - eine Frage des Egos, man fühlt sich so weniger irrelevant, lädt seine Gedichte und Fotos auf Facebook hoch und ist kein Niemand mehr. Ich finde es ganz interessant. Diese Generation wird jedenfalls ganz anders als wir.

SZ: Wie wird ihr Verhältnis zum Kino sein?

Soderbergh: Fürs Kino ist das sicherlich keine gute Entwicklung. Das Kino erfordert eigentlich die volle Aufmerksamkeit, man schaut sich einen Film nicht nebenher an, und man kriegt Leute immer schwerer dazu, zwei Stunden lang in dieselbe Richtung zu starren, zu viele Reize buhlen um ihre Aufmerksamkeit. Es wird mit Filmen sein wie mit dem Musikalbum - das ist verschwunden, denn da sich ohnehin keiner mehr eine Platte von vorn bis hinten anhört, gibt es auch keine mehr, die tatsächlich ein Konzept haben.

SZ: Stattdessen werden nur einzelne Titel angeklickt. Das Kino wird auf YouTube auch schon in Szenen zerlegt - und die Erzählstrukturen entwickeln sich in manchen Filmen dahin, dass man zehn Minuten rausgehen kann und nichts verpasst. Aber glauben Sie nicht, dass die Leute die gemeinsame Erfahrung im Kino vermissen würden?

Soderbergh: Doch. Und eigentlich muss ich gegen mich selbst argumentieren - zumindest in den Staaten ist das Wiederauftauchen der langen Formen schon überdeutlich. Es gibt im Fernsehen Serien, die dauern zwanzig Stunden, und die Leute lieben diesen Erzählbogen. Vielleicht entsteht ein neues Gleichgewicht. Der Wert der Exklusivität ist verlorengegangen, alles soll jederzeit verfügbar sein, und ich halte das nicht mal für ein gutes Geschäftsmodell - man sollte vielleicht Dinge nicht gleich bekommen können. Es gibt so etwas wie zu viele Wahlmöglichkeiten, einen Algorithmus, der festlegt, wie viel Auswahl einen überfordert. Ich stehe dauernd vor meinem DVD-Regal und weiß nicht, was ich anschauen soll. Ich sehe immer wieder dieselben zehn Filme.

SZ: Wie beim iPod.

Soderbergh: Ja, aber der hat wenigstens eine Shuffle-Funktion.

SZ: Was schauen Sie immer wieder an?

Soderbergh: "Hiroshima mon amour" ist immer noch dabei. Aber ich gehe auch immer noch oft ins Kino, um zu wissen, was gemacht wird. Und manchmal sitzt man eben da und denkt: Mein Gott, was war das denn? - und fühlt sich alt. So will ich eigentlich nicht sein. Als ich mein Buch "Getting away with it" schrieb, sprach ich dafür mit Richard Lester und fragte ihn: Gab es jemals eine Generation, die nicht behauptet hat, früher sei alles besser gewesen? Und er sagte: Ja, in den Sechzigern - damals habe man gewusst, das ist die beste Zeit überhaupt, und sie wird bald vorüber sein. Fürs Kino waren die Sechziger das große goldene Jahrzehnt. Besser waren amerikanische Filme nie. Ich beziehe mich immer wieder auf diese Filme, weil ihre Freiheit ansteckend und berauschend ist.

SZ: Kann Sie dieser Rausch davon abbringen, tatsächlich in ein paar Jahren das Filmemachen aufzugeben, wie Sie seit einer Weile ankündigen?

Soderbergh: Es gibt noch eine Handvoll Projekte, die ich machen will, und dann glaube ich, werde ich nicht mehr wissen, wie die nächste Stufe dieser Kunstform aussieht, und dann will ich nicht weitermachen. Ich bin ja kein reiner Geschichtenenerzähler, ich brauche immer auch einen formalen Ansatz. Na ja, ich habe schon noch Ideen - aber die sind inzwischen oft so spezifisch, dass sie fast Privatsache sind, und das Kino ist keine Privatangelegenheit. Ich fände es interessant, mich einer anderen Kunstform so zu widmen, wie ich es mit dem Kino gemacht habe. Vielleicht werde ich Maler. Wenn es ohnehin nur 200 Leute interessiert - dann wäre ich lieber Maler. Wenigstens muss man keinen überzeugen, einen malen zu lassen. Beim Film muss man sich mit so viel Drumherum herumschlagen. Ich werde älter, und mein Gefühl für den Wert von Zeit steigt. Das ist eben so etwas, dass es mich anderen Kunstformen in die Arme treibt. Malen, Fotografie - meinetwegen Tanz!

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