Süddeutsche Zeitung

Im Gespräch: Rolando Villazón:"Ich mag die Psychoanalyse"

Wie lange wird er diesen hohen Ton singen? Rolando Villazón spricht über Erschöpfung, männliches Imponiergehabe und die Seele der Musik.

Anne Ameri-Siemens

Paris gibt heute ein bisschen an: Die Sonne strahlt, als sei hier schon ganz der Frühling ausgebrochen. Rolando Villazón trägt schwarze Jeans und ein lilafarbenes T-Shirt, dessen Muster auf lustige Weise mit der Brokattapete der Hotelsuite harmoniert. Fester Händedruck, freundliches Lächeln. Man setzt sich, einen Moment lang ist es still, ja - dann allerdings geht es los: Mit Rolando Villazón im Gespräch zu sein ist so, als hätte jemand eine Kiste Flummis ausgeschüttet und gerufen: "Fang!" Villazón springt, gestikuliert, singt. Nur bei Fragen zu seiner Auszeit wird er ruhiger.

SZ: Herr Villazón, ich möchte mit Ihnen über die Seele sprechen.

Rolando Villazón: Die Seele, ja, einverstanden. Meine Seele?

SZ: Welche sonst! Sie müssen darüber doch viel zu sagen haben - vier Mal pro Woche sprechen Sie mit Ihrem Psychoanalytiker in Mexiko.

Villazón: Und das seit vierzehn Jahren. Mein Gott!

SZ: Was. . .

Villazón: . . . Sekunde: Was ist der Unterschied zwischen einem Psychoanalytiker und einem Vampir?

SZ: Keine Ahnung?

Villazón: Der Vampir lässt irgendwann los!

SZ: Da Sie sich zu dieser Form der Therapie entschlossen haben, hatten Sie aber offenbar nie den Wunsch, möglichst rasch losgelassen zu werden.

Villazón: Nein. Denn dann hätte ich wohl eine Verhaltenstherapie gemacht, bei der es lösungsorientiert und dementsprechend schneller zugeht. Aber ich spiele gerne Schach, ich lese gerne Bücher, ich liebe es, Opern zu singen, ich mag die Psychoanalyse. Ich mag Dinge, die Zeit brauchen. Man muss akzeptieren, dass dieser lange Weg das eigentliche Abenteuer ist. Sonst zieht man daraus auch nie das, was ich gerade daraus ziehe.

SZ: Und was ist das?

Villazón: Sich nie mehr fragen zu müssen: Welche seltsame, unterbewusste Macht hat gerade für mich entschieden? Der Analytiker hilft einem, seine Geister kennen zu lernen. Ohne dabei zu werten. Das ist doch ein großes Abenteuer, ein großartiges. . .

SZ: . . . das aber nun mal nicht jeder eingeht. Was hat Sie zur Analyse gebracht?

Villazón: Meine Frau.

SZ: Sie fand, dass das nötig war?

Villazón: Als ich sagte: Lass uns heiraten! antwortete sie: Ja! Aber Du gehst zum Analytiker. Da waren wir sieben Jahre zusammen. Sie war 15, ich war 16, als wir uns verliebten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Villazóns Frau von ihm hält.

SZ: Und weswegen genau sollten Sie zum Analytiker?

Villazón: Meine Frau fand mich chaotisch. "Bring' all diese Energie, die so aus Dir herausströmt, zusammen", sagte sie, "mach was daraus, lass sie nicht einfach verpuffen."

SZ: Und Sie waren sofort einverstanden?

Villazón: Was? Nein! Ich habe protestiert: Ich habe doch keine Probleme! Wovon redest Du? Nein, wirklich, das mache ich nicht! Sie hat darauf gar nicht reagiert. Irgendwann fand ich mich dann doch beim Analytiker wieder. Und es hat tatsächlich mein Leben verändert.

SZ: Sie haben einmal gesagt, Ihre Stimme sei Ihre Seele. Was genau haben Sie damit gemeint?

Villazón: Ich kann es nur so erklären: Ich kann vieles, was meine Seele umtreibt, verstehen, wenn ich mich selber höre.

SZ: Sie gelten seit Jahren als einer der besten Tenöre der Welt, wurden vom Publikum wie vom Feuilleton gefeiert. Dann, im Jahr 2007, ging es Ihrer Singstimme plötzlich schlecht. Was hat Ihre Seele Ihnen damals mitgeteilt?

Villazón: Dass ich erschöpft war.

SZ: Zu wenig geschlafen? Zu viele Sorgen? Burn-out mit 35 Jahren?

Villazón: Bis dahin war mir alles zugeflogen, auf eine wunderbare, unschuldige Weise. Aber ich reagierte immer mehr, als dass ich agierte. Wie ein Kind, das gefragt wird: Hey, kannst du diesen Ball mal eben fangen? Und ihn dribbeln und dann ganz schnell weiterwerfen, denn dann kommt auch schon der nächste? Das Kind gibt alles, mit ganzer Energie, aber am Ende des Tages spürt es plötzlich mit einem Schlag: Jetzt kann ich nicht mehr! So ging es mir nach zehn Jahren Karriere. Also gönnte ich mir eine Auszeit.

SZ: Sie verabschiedeten sich mit den Worten: "Ich werde mich für einige Monate zurückziehen, um die ganze Vitalität wiederzuerlangen, die das Publikum und auch ich selbst von mir gewohnt sind." Machten Sie sich in dieser Zeit große Sorgen?

Villazón: Nein, ich wusste immer, dass ich weit davon entfernt war, nie wieder singen zu können. Aber im Nachhinein frage ich mich manchmal, ob ich damals zu offen war, meine Erschöpfung zuzugeben. Seitdem sind vor allem Kritiker schnell dabei, die Frage zu stellen: Oje, ist es jetzt vorbei?

SZ: Und was entgegnen Sie denen?

Villazón: Für mich ist diese Phase abgeschlossen, und ich würde gerne nach vorne schauen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Signale Villazón von den Menschen erhält.

SZ: Sie sagten danach einmal, Ihre Auszeit sei großartig gewesen. Wie genau haben Sie sie denn verbracht?

Villazón: Wahrscheinlich viel weniger spektakulär, als manche meinen. Ich habe die Zeit mit meiner Familie, meiner Frau und meinen zwei Söhnen genossen.

SZ: Aber auch nach Ihrer Rückkehr kamen wieder Zweifel auf, ob Sie Ihre ganze Kraft wieder zurück hätten. Zuletzt Anfang 2009, als Sie an der New Yorker Met neben Anna Netrebko in "Lucia di Lammermoor" auftraten.

Villazón: Da war ich erkältet.

SZ: "Mit belegter Stimme und missglückten Spitzentönen kämpfte er sich mehr schlecht als recht durch", schrieb damals ein Kritiker. Zu Recht?

Villazón: Rückblickend wäre es vielleicht besser gewesen, ich hätte meinen Auftritt abgesagt. Aber an dem Abend entschied ich: Das schaffe ich trotzdem! Anfangs sang ich ohne Probleme. Dann blieb mir eben aufgrund meiner Erkältung die Stimme weg. Es geschah in einer Szene ohne Musik. Da waren also diese acht Sekunden Stille. . . - übrigens wahrscheinlich einer der großartigsten Momente meiner Karriere.

SZ: Ausgerechnet der?

Villazón: Ich fühlte die Energie von hunderten Zuschauern. Positive Energie! Ein solches Signal des Publikums hatte ich vorher noch nie gespürt, wenn auf der Bühne etwas schiefging.

SZ: Was senden die Menschen Ihnen denn sonst so für Signale?

Villazón: Das Gros der Zuschauer wartet ja nicht darauf, dass man Fehler macht. Sie sind aus anderen Gründen in der Oper. Ihnen geht es um die emotionale Erfahrung, durch das Geschehen auf der Bühne in eine andere Welt gezogen zu werden. Kurz gesagt, es geht ihnen um die Kunst. Entscheidend ist, dass man sein ganzes Herz in sein Bühnenspiel legt und die Menschen dadurch fesselt.

SZ: Und weswegen geht der übrige Teil des Publikums in die Oper?

Villazón: Wegen des Leistungssports. Diese Leute kümmern sich vor allem um Fragen wie: Wie lange wird er diesen hohen Ton singen? Aber ich bin nicht auf der Bühne, um Leistungssport zu treiben. Ich mache Kunst.

SZ: Setzen Sie die Kritiken an Ihrer Stimme nicht sehr unter Druck?

Villazón: Man muss sich davon freimachen, auch wenn es nicht immer leicht ist. Damit ist, glaube ich, alles dazu gesagt.

Lesen Sie weiter, ob Villazón sich über Kritiker ärgert.

SZ: Sie haben gerade ein Album mit Arien von Georg Friedrich Händel aufgenommen.

Villazón: Und prompt sagte mir ein Kritiker: "Aber Sie haben doch gar keine Barock-Stimme!"

SZ: Ah, schon wieder so ein Kritiker. Hat Sie das sehr geärgert?

Villazón: Ich fand es eher erstaunlich und entgegnete: Wow, Sie haben also eine Barockstimme gehört zu der Zeit damals? Im Ernst: Wissen wir, für welche Stimmen Händel geschrieben hat? Wir orientieren uns bei unserer Idee von Barockstimmen doch an den ersten Aufzeichnungen des 20. Jahrhunderts. An nichts anderem.

SZ: Warum haben Sie sich gerade Händel ausgesucht?

Villazón: Im Jahr 2000 hörte ich ein Vivaldi-Album mit Cecilia Bartoli und war begeistert. So kam ich zur Barockmusik. Ich dachte, es muss einem eine solche Energie geben, diese Musik zu singen, sie hat so eine besondere Fröhlichkeit. Meine Seele sprang auf und ab! Damals glaubte ich allerdings, dass ich niemals selbst ein solches Repertoire singen würde.

SZ: Warum nicht?

Villazón: Wenn man ein Barock-Tenor ist, lässt man lieber die Finger von Verdi, heißt es doch. Und wenn man, wie ich, ursprünglich im Repertoire des 19. Und 20. Jahrhunderts zu Hause ist, lässt man tatsächlich lieber die Finger vom Barock.

SZ: Und was hat Sie dann doch noch umgestimmt?

Villazón: 2006 überzeugte mich die Pianistin Emmanuelle Haïm, gemeinsam mit ihr Monteverdis "Combattimento" aufzunehmen. "Wenn Monteverdi oder Händel heute leben würden, würden sie für dich schreiben", sagte sie. Ich sang also Monteverdi, und es war eine der außerordentlichsten Erfahrungen meines Lebens. Danach wollte ich mehr. So kam ich zu Händels Arien.

SZ: Einem Komponisten, den das Seelenleben seiner Künstler offenbar nicht viel gekümmert hat . . .

Villazón: Wie meinen Sie das?

SZ: Der Sopranistin Francesca Cuzzoni drohte er einst, sie aus dem Fenster zu werfen, weil sie die Auftrittsarie in der "Ottone" nicht singen wollte.

Villazón: Ach, Genies haben oft Schwierigkeiten, die Bedürfnisse und Grenzen anderer zu sehen.

SZ: Klingt aber doch ziemlich rabiat für einen Vertreter der schönen Künste.

Villazón: Für Händel zählte wahrscheinlich nur: Was er im Kopf hörte, war, als würde der Himmel spielen. Ich kann mir also den Komponisten vorstellen, der sagt: Ich habe das für dich aus dem Himmel geholt, diese Noten für deine Stimme geschrieben. Sie müssen genau so sein! Also mach' nicht lange rum, sondern singe!

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Villazóns Gesangslehrer unzufrieden mit ihm war.

SZ: Was war denn die drastischste Methode, mit der ein Bühnenregisseur je versucht hat, Sie zu etwas zu bewegen?

Villazón: Vor meinem zweiten Gesangslehrer sang ich eine Arie aus "Lucia di Lammermoor". Ich war technisch sehr gut vorbereitet, dementsprechend stolz auf mich. Als ich fertig war, packte er mich am Kragen, schüttelte mich und schrie: "Ich habe nichts gefühlt! Du hast deine Stimme zwar schön klingen lassen, aber nur Noten heruntergesungen. Leg' gefälligst dein Herz in die Arie!" Ein anderes Mal hat er mich sogar geohrfeigt.

SZ: Bitte was? Und Sie fühlten sich da nicht in Ihrer Ehre getroffen?

Villazón: Im Gegenteil! Ermutigt. Okay, natürlich war ich auch ein bisschen verletzt, aber er hatte ja recht. Nur so begann ich, die Stücke zu spüren. Und darum geht es ja.

SZ: Es scheint häufiger mal grob zuzugehen in Ihren Kreisen.

Villazón: Worauf spielen Sie an?

SZ: Auf eine andere Händel-Anekdote: In seiner Oper "Alessandro" schrieb er für zwei Primadonnen gleich große Rollen. Die Damen wetteiferten auf der Bühne zunächst nur mit ihren Stimmen, wurden dann aber handgreiflich. Wie fühlen Sie sich neben anderen starken Stimmen?

Villazón: Es gibt Kollegen, die sich am wohlsten fühlen, wenn sie von weniger guten Sängern umgeben sind, damit ihre eigene Stimme herausragt. Das ist nicht mein Modell. Es führt nur dazu, dass der ganzen Sache die Kraft fehlt. Je besser die anderen sind, umso besser ist die gesamte Aufführung, ich eingeschlossen.

SZ: Placido Domingo, Chef der Opernhäuser in Washington DC und Los Angeles, gilt als einer der besten und vielseitigsten Tenöre unserer Zeit. Er wurde mit Lob und Ehrungen überschüttet - und Sie werden mit ihm verglichen . . .

Villazón: Ich selber würde mich niemals mit ihm vergleichen. Domingo ist jetzt schon, zu Lebzeiten, eine Legende.

SZ: Mit ihm zu singen . . .

Villazón: . . . war inspirierend. Keine Sekunde lang Wettbewerb! Er ist wie ein künstlerischer Vater für mich. Wirklich, Domingo steht über allen.

SZ: Welche Oper hat Ihre Seele verändert?

Villazón: "Tosca". Es war die erste Oper, die ich auf der Bühne sah. Und "Pagliacci" von Ruggiero Leoncavallo - eben mit Placido Domingo in der New Yorker Met. Ich war überwältigt von der Intensität, mit der er spielte. Danach wusste ich: Menschen so vollkommen in eine andere Welt zu führen und in ihnen hervorzurufen, was ich gerade empfunden hatte - genau das wollte ich auch.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Villazón peinlich ist.

SZ: Schon mal versucht, das Herz einer Frau durch Singen zu gewinnen?

Villazón: Natürlich, das meiner Frau! Als 16-Jähriger tauchte ich um drei Uhr morgens vor ihrem Fenster auf und sang - mit einem mexikanischen Mariachi-Ensemble im Rücken!

SZ: Im Ernst? Ist das in Ihrer Heimat die übliche Art, Frauen zu imponieren?

Villazón: Es war meine Art! Und sie hat ja funktioniert. Auch hier in Paris singe ich heute noch für sie.

SZ: Hatten Sie eigentlich auch schon ein paar peinliche Momente auf der Bühne?

Villazón: Da gibt es einige. Einmal riss während "Les Contes d'Hoffmann" meine Hose. Darunter trug ich rote Boxershorts mit einem Muster aus kleinen Robotern. Ganz toll, in Kombination mit einem historischen Kostüm! Ein anderes Mal, ich weiß nicht mehr, in welcher Oper es war, jedenfalls gab es diese Szene, in der mein Gegenspieler mich aufhalten musste. Wir fielen dabei versehentlich zu Boden. Das Publikum kicherte da schon. Wir rappelten uns wieder auf, ich versuchte, mein Schwert zu ziehen . . .

SZ: Es war wohl eine dramatische Szene?

Villazón: Es sollte eigentlich eine sein! Aber irgendwie hatte das Schwert sich verbogen, und ich bekam es nicht aus der Hülle. Ich zog und zog. Schließlich ging ich ohne Schwert auf meinen Gegner los. Das Schwert indes hatte sich so verkrümmt, dass es hinter meinem Rücken hoch stand. Mit meinem Mantel, der darüber hing, sah ich aus wie ein komisches Tier mit einem langen Schwanz. Die anderen auf der Bühne konnten sich kaum mehr einkriegen vor Lachen. Das Publikum hielt sich auch den Bauch.

SZ: Und Sie?

Villazón: Ich bemerkte als Letzter, was los war.

SZ: Letzte Frage: Findet Ihre Frau Sie heute, nach 14 Jahren Analyse, eigentlich weniger chaotisch?

Villazón: Sie würde wahrscheinlich sagen, dass ich so chaotisch bin wie am ersten Tag - aber dass ich viel besser damit umgehen kann.

Rolando Villazón wurde 1972 in Mexiko City geboren, wo er mit 11 Jahren seine musische Ausbildung begann. 1999 wurde er bei Placido Domingos Gesangswettbewerb "Operalia" mehrfach ausgezeichnet. Sein Europa-Debüt gab der Ausnahme-Tenor im gleichen Jahr in Massenets "Manon" in Genua. Villazón ist heute einer der berühmtesten Opernsänger der Welt. Er und Anna Netrebko, mit der er 2005 bei den Salzburger Festspielen in "La Traviata" auftrat, gelten als das Traumpaar der Opernszene. Unverwechselbar, heißt es über Villazón, sei er wegen seiner künstlerischen Intelligenz, seiner Spiellaune, Leidenschaft, belcantistischer Eloquenz - "und gewiss auch wegen seines Latin-Lover-Image und der Erotik seiner Augenbrauen". Villazón lebt mit seiner Frau, einer Psychologin, und ihren Söhnen Dario und Mattheo in Paris. Gerade ist sein Album "Rolando Villazón - Händel" (Deutsche Grammophon) erschienen. Zusammen mit dem Gabrieli Consort tritt er am 30.4. in Berlin (Philharmonie) und am 8.5. in Hamburg (Laeiszhalle) auf.

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Quelle:
SZ vom 21.03.2009/irup
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