Im Gespräch: Ralf König:"Bei der Kirche empfinde ich fast Ekel"

Wie kann man schwul sein und katholisch? Ralf König, Erfinder des "Bewegten Mannes", wird 50. Ein Gespräch mit dem Comic-Zeichner über die Heuchelei der Kirche und letzte heterosexuelle Bastionen.

K. Riehl

Die Comics seien ihm ein Ventil gewesen, sagte der schwule Künstler Ralf König einmal über seine Zeichnungen. Seit gut 30 Jahren veröffentlicht der gebürtige Westfale kleine Bilder von Herren mit großen Nasen - zunächst meist Geschichten aus dem Alltag von Schwulen. Berühmt wurde König spätestens mit dem Buch Der bewegte Mann und noch berühmter mit Sönke Wortmanns Verfilmung aus dem Jahr 1994 mit Til Schwieger in der Hauptrolle. In den vergangenen Jahren hat König seine Thematik ein wenig verändert, in den Büchern Prototyp und Archetyp setzt er sich mit zwei Geschichten des Alten Testaments auseinander.

Am 8. August wird Ralf König 50 Jahre alt, das Schwule Museum Berlin zeigt deshalb noch bis Oktober eine Retrospektive, im Herbst erscheint sein neues Buch Antityp. Ein Gespräch über katholische Sexualmoral und die letzte Bastion wahrer Männlichkeit: den Fußball.

sueddeutsche.de: Herr König, in den vergangenen Jahren haben Sie vor allem religionskritische Comics gezeichnet und die kirchliche Sexualmoral immer wieder angegriffen. Haben Sie die Enthüllungen im Missbrauchsskandal überrascht?

Ralf König: Nein, das hat mich gar nicht überrascht. Dass bei der Sexualmoral immer innerkirchlich fromm unter den Teppich gekehrt wurde, lag auf der Hand. Überrascht hat mich viel mehr, dass die Medien endlich mal richtig draufhauen.

sueddeutsche.de: Weil die Medien sonst zu unkritisch mit der Kirche umgehen?

König: Es gibt vor kirchlichen Instanzen immer noch einen größeren Respekt als anderswo. Aber zum Glück wurde diesmal die ganze Kloake von unten nach oben geholt, diese ganze Heuchelei. Ich empfinde dabei fast Ekel. Diese Scheinheiligen, die ihren Lämmern predigen, wie sie mit ihrer Sexualität umzugehen haben (nämlich am besten gar nicht) und dann Kinder und Jugendliche begrabschen.

sueddeutsche.de: Sie haben immer wieder vor einer Renaissance der Religion gewarnt. Wenn nun die Kirche so viel Gegenwind bekommt, ist dieser Trend dann rückläufig?

König: Es gab eine erneute Welle von Kirchenaustritten, andererseits gibt es derzeit auch ein verstärktes Interesse an Religion, aber auch an der Philosophie: Es ist eine Zeit der Sinnsuche. Das steht zu befürchten, wenn angesichts der Wirtschaftskrisen und Naturzerstörung die Not größer wird, dann schreien die Menschen reflexartig zu ihren Göttern und finden auch wieder ihre Sündenböcke. Ich bin pessimistisch, was die Aufklärung angeht. In meinem kommenden Buch Antityp geht es auch um den Apostel Paulus, dem wir diese verkrampfte Sexualmoral vor allem zu verdanken haben.

sueddeutsche.de: Mit Comics wie dem Kondom des Grauens, dem Penis-beißenden Killer-Kondom, scheint das alles nur noch wenig zu tun zu haben.

König: Von schwulen Lesern höre ich öfter, früher hätte ich so lustige, freche, schwule Sachen gemacht und nun nur noch Religion. Aber für mich ist das gar kein großer Themenwechsel. Aus religiöser Ecke wurde immer gegen Homosexualität gehetzt, man lese nur den katholischen Katechismus zum Thema. Wir in Deutschland neigen ja dazu, den Popanz Popanz sein zu lassen, aber in Polen, Italien, Russland und auch in den USA sieht das anders aus.

sueddeutsche.de: Sind denn Homosexuelle für die Kirche immer noch so ein rotes Tuch, dass es noch notwendig ist, diese Institution zu bekämpfen?

König: Es gibt in Europa keine Scheiterhaufen mehr, aber jede Menge Leute, die immer noch zündeln. Allein der Glaube, dass es nicht von Gott gewollt ist, wenn Mann und Mann es miteinander tun, weil dabei ja keine Kinder rauskommen - das ist so eine einfache Gleichung. Und es steht in der Bibel, im Alten Testament und bei Paulus. Das hat sehr viel Leid gebracht.

Die homosexuelle Verschwörung

sueddeutsche.de: Ist das auch ein Thema Ihrer Kindheit? Sind Sie religiös aufgewachsen?

Ausstellung 'Ich komm mir vor wie 'ne Witzfigur! 50 Jahre Ralf Koenig'

Wir Schwulen müssen mehr die Zähne fletschen: Ralf König wird 50 und bekommt zum Geburtstag eine Ausstellung im Schwulen Museum Berlin. 

(Foto: ddp)

König: Ich komme aus einem katholischen Dorf in Westfalen, aber meine Eltern haben mich zum Glück damit in Ruhe gelassen. Es hing zwar ein Kruzifix an der Wand im Schlafzimmer meiner Eltern, das musste ich immer abnehmen, wenn ich die Super-8-Pornofilme gucken wollte, die ich bei meinem Vater im Schrank gefunden habe. Das zur Religion. Trotzdem: Ich fand es schon als Kind befremdlich, wie die Leute da an Himmelfahrt auf Knien zur Marienstatue robbten. Diese Skepsis wuchs, als ich in die Pubertät kam - und merkte, dass ich schwul bin.

sueddeutsche.de: Weil Schwulsein und Glauben sich ausschließen?

König: Ich habe nichts gegen Glauben, ich suche ja auch meinen Sinn im Leben, halte mich für einen spirituellen Menschen. Ich habe ein Problem mit kirchlichen Institutionen, weil die immer im Recht sind, weil sie Gott auf ihrer Seite wähnen. Und ich habe ein Problem mit heiligen Schriften. Diese Texte sind von Menschen geschrieben, die in völlig anderen Lebensumständen gelebt haben als wir. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man diese Geschichten für historisch wahr halten kann. Und ich verstehe nicht, wie man schwul sein kann und katholisch.

sueddeutsche.de: Aber manche können das.

König: Ja, indem sie sich diese Mythen irgendwie vorteilhaft zurechtbiegen. Dass Paulus ja gar nicht die Homosexualität gemeint habe, sondern nur die Tempelprostitution. Da wird dann verzweifelt versucht, das eigene Leben mit dieser Heiligen Schrift in Einklang zu bringen, nur um zu glauben. Die Haltung der Kirchen zur Homosexualität ist eindeutig - ich habe mich klar gegen Schuldgefühle entschieden.

sueddeutsche.de: Sind Kirche und Fußball also die letzten Lebensbereiche, in denen Homosexualität nicht akzeptiert wird? Immerhin haben wir inzwischen einen schwulen Außenminister.

König: Die derzeitige Diskussion im Fußball ist wirklich absurd. Da schreibt einer irgendwas von einer "homosexuellen Verschwörung", weil die Fußballer so "tänzelnd" gespielt haben ...

sueddeutsche.de: ... also müssen die praktisch schwul sein.

König: Das ist so dumm, dass es schreit. Und auch entlarvend: Dass ein deutscher Fußballer, und dann auch noch in der Nationalmannschaft, schwul sein könnte, das geht gar nicht! Fussball ist wohl das letzte Heiligtum, die letzte Kultstätte des unangefochtenen Männertums.

sueddeutsche.de: Und ist Ihnen das genauso fremd wie die Religion?

König: Vor 30 Jahren hielt ich Fussball für eine heterosexuelle Unsitte. Das war eben dieses Männerding, laut, grob, nicht weiter von Interesse. Es mag auch damals Schwule gegeben haben, die Fussball guckten, aber beim doofen Grand Prix de la Chanson war die Begeisterung deutlich größer.

sueddeutsche.de: Und heute?

König: Auch in meinem Freundeskreis wurde die WM verfolgt und es gibt schwule Fußballer. Die Zeiten ändern sich. Irgendwann wird ein Fußballstar offen seinen Freund umarmen - und dann muss auch hier umgedacht werden. Hauptsache, er knallt das Ding ins Tor. Dann darf er auch tänzeln.

"Ich komm mir vor wie 'ne Witzfigur! 50 Jahre Ralf König" - Ausstellung Schwules Museum Berlin bis zum 4. Oktober.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: