Süddeutsche Zeitung

Im Gespräch: Quentin Tarantino:"Ich bin ja kein Nazi"

Quentin Tarantino spricht über Glückskinder, Goebbels als Studioboss und die Macht der Bilder in "Inglourious Basterds".

Susan Vahabzadeh

Man hätte sich denken können, dass vom Dritten Reich nicht viel übrig bleibt, wenn der amerikanische Filmemacher Quentin Tarantino es sich vornimmt. Sein neuer Film "Inglourious Basterds", der diese Woche startet, schickt einen erbarmungslosen Trupp jüdischer amerikanischer Soldaten unter Führung von Brad Pitt auf Nazi-Jagd durchs besetzte Frankreich, wo sie auf einen ebenbürtigen Gegner stoßen, den SS-Standartenführer Landa - für die Rolle wurde Christoph Waltz in Cannes als bester Akteur ausgezeichnet. Gedreht wurde der Film - in Berlin - tatsächlich auf Deutsch, Französisch, Englisch, mit ein paar Sprengseln von zweifelhaftem Italienisch.

SZ: War das nicht eigentlich eine bizarre Erfahrung, als Regisseur Dialoge zu inszenieren in Sprachen, die Sie doch gar nicht sprechen?

Quentin Tarantino: Ich benutze gerne schlüpfrige Adjektive . . . Also muss man halt nach dem richtigen schlüpfrigen Ausdruck auf Deutsch suchen. Aber wenn die Szene gespielt wird - da können Sie Diane Krüger fragen oder jeden der deutschen Schauspieler -, da merke ich genau, wenn im deutschen Dialog ein Wort fehlt oder was nicht läuft. Diane hat dann gefragt: Woher willst du das denn wissen? Nun, solange es mein eigenes Drehbuch ist, weiß ich es einfach. Jetzt habe ich tatsächlich ein ziemlich großes deutsches Vokabular, ich müsste eigentlich nur noch lernen, die Wörter, die ich kenne, auch zu Sätzen zusammenzusetzen. Die deutsche Übersetzung habe ich mit Tom Tykwer gemacht, aber es gab auch Momente, wo die Schauspieler kleine Änderungen vorschlugen.

SZ: Ein Freund des Improvisationstheaters am Set sind Sie ja nicht - oder dürfen Schauspieler an Ihren Text ran?

Tarantino: Normalerweise würde ich in einem Interview sagen: Ich mag es nicht, aber ich bin ja kein Nazi, wenn es um Textänderungen geht - aber das passt hier wohl nicht, oder? Mal im Ernst: Ich möchte, dass meine Dialoge so gesprochen werden, wie ich sie schreibe. Wenn ein Schauspieler sich mit einem Wort nicht wohl fühlt, kann man drüber reden. Aber ich stecke verdammt viel Arbeit in meine Drehbücher. Ich spiele sehr viel mit Worten; das ist wie Musik komponieren. Und wenn jemand an einer falschen Stelle "aber" sagt, wird es wahrscheinlich mit etwas kollidieren, was ich zwei Sätze später geschrieben habe.

SZ: Was war für dieses Buch der Ausgangspunkt, Enzo Castellaris Film "Inglorious Bastards" oder das Dritte Reich?

Tarantino: Ich wusste, dass Nazis darin vorkommen werden und eine Soldatentruppe auf einer Mission. Bei den meisten meiner Geschichten sind es Kleinigkeiten dieser Art, die mich dazu bringen, mich hinzusetzen und zu schreiben. Ich wusste: "Reservoir Dogs" wird ein heist movie. Ich wusste, dass "Kill Bill" von weiblichen Kämpferinnen handelt. Und erst im Schreiben wird es dann immer größer, und manchmal wird ganz etwas anderes daraus.

SZ: Eine Rachephantasie, in diesem Fall . . .

Tarantino: Ein wenig davon steckte von Anfang an darin, ich wusste immer, dass ich von einer Gruppe jüdischer Soldaten hinter den feindlichen Linien erzähle. Aber wie es sich dann entwickelt, der Anschlag auf das Kino in Paris - das habe ich erst später herausgefunden. Was mich dann wirklich zu interessieren begann, war die deutsche Filmindustrie im Dritten Reich. Das zog mich rein - Goebbels nicht wie üblich als giftiges Genie zu zeigen, als Architekten des Dritten Reichs, sondern in seinem Job als Studioboss.

SZ: Schließt Ihre Cinephilie seine Produktionen mit ein? Kannten Sie diese Filme sowieso?

Tarantino: Oh, aber ja! Viele habe ich sogar als Kopie, manche aber nur auf 16mm. Mein liebster Film aus dieser Zeit ist "Glückskinder" mit Lilian Harvey und Willy Fritsch - die Antwort auf Capras "It Happened One Night" - ein wahnsinnig komischer Film, und Lilian Harvey ist so zauberhaft darin.

SZ: Im Fall der von Ihnen verehrten Leni Riefenstahl spielt vor allem der Respekt vor ihren immensen Fähigkeiten als Regisseurin eine Rolle. Aber können Sie sich alle Filme aus dieser Zeit wirklich ganz unschuldig anschauen?

Tarantino: Die meisten Leute in Amerika denken, alle Filme, die in Deutschland damals gemacht wurden, seien wie "Jud Süß" und total antisemitisch. Ich denke, das ist doch ein völlig untergeordneter Aspekt. Meistens wollte Goebbels Entertainment, Comedies, Operetten, Musicals. Man sieht dort ja auch Nazis, die sich relativ aufgeschlossen benehmen, ganz anders als in den amerikanischen Filmen dieser Zeit.

SZ: Dass es eine Macht der Bilder gibt, spielt in "Inglourious Basterds" eine zentrale Rolle - das Kino selbst zerstört das Dritte Reich, und das nicht mal nur im metaphorischen Sinne.

Tarantino: Was mir daran so gut gefällt - dass es beides ist. Einerseits ist es eine schöne Metapher; und andererseits passiert es einfach wirklich: Ein paar hundert Kopien Nitrofilm fackeln das Dritte Reich ab. Man hat als Autor seine Eureka-Momente - und als mir das einfiel, dachte ich: Oh mein Gott, das ist großartig! Aber es steckt tatsächlich etwas Metaphorisches darin: Dieser Haufen Filme, den man da sieht . . . sind es Filme, die die Nazis verboten haben? Ist Lubitsch dabei, etwa Chaplin? Oder Georg Wilhelm Pabst? Sind die Marx Brothers, ist Jean Renoirs "La grande illusion" dabei? Das gefällt mir - Papa Jean höchstselbst jagt das Dritte Reich in die Luft.

SZ: Dass Sie für jeden Film sehr ungewöhnliche, starke weibliche Charaktere erfinden, hat ja auch einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Frauen im Allgemeinen, jenseits des Kinos.

Tarantino: Ja, aber ich kann diese Frauenfiguren nicht dazu bringen, dass sie tun, was ich will. Ich lasse sie nie durch brennende Reifen springen, ich dressiere sie nicht. Wenn ich mit ihnen Verbindung aufgenommen habe und es gut läuft, treffen sie ihre eigenen Entscheidungen, und ich bin nur der Protokollführer. So war das mit Shosanna (Mélanie Laurent) in "Inglourious Basterds": Ich habe sie auf den Weg gebracht, aber ich konnte sie nie irgendwo hinschicken. Wenn ich eine Vorstellung davon hatte, wo sie hin soll, und sie kam dort nie an, dann hat sie mir damit eben gesagt, dass ich mich geirrt habe - dann hatte ich eine blöde Idee, und sie hat mich vor ihr bewahrt.

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Quelle:
SZ vom 17.8.2009/jeder
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