Im Gespräch: Pedro Almodóvar:"Meine Schule war die Nacht"

Zu Hause kritisiert, im Ausland geliebt: Regisseur Pedro Almodóvar spricht über seinen neuen Film mit Penélope Cruz, über Drogen, Orgien in der Filmbranche und die böse Seite der Macht.

Marcus Rothe

Pedro Almodóvar ist einer der letzten richtig großen Autorenfilmer, er gelangte mit "Sprich mit ihr" (2002) und "Volver" (2006) zu Weltruhm. Mit einem kleinen Film im Film zitiert er nun in "Zerrissene Umarmungen", der in diesem Jahr im Wettbewerb von Cannes lief, "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs", mit dem er 1988 seinen internationalen Durchbruch hatte.

Im Gespräch: Pedro Almodóvar: Regisseur Pedro Almodóvar: "Die einzige wirksame Methode gegen die Migräne ist Schreiben und Drehen. Am liebsten würde ich es daher ständig machen."

Regisseur Pedro Almodóvar: "Die einzige wirksame Methode gegen die Migräne ist Schreiben und Drehen. Am liebsten würde ich es daher ständig machen."

(Foto: Foto: ap)

SZ: Sie leiden unter chronischen Kopfschmerzen, wie wirken sich diese denn auf Ihre Kreativität und Ihre Arbeit aus?

Pedro Almodóvar: Die einzige wirksame Methode gegen die Migräne ist Schreiben und Drehen. Am liebsten würde ich es daher ständig machen. Wenn man nichts tut, ist der Schmerz noch unerträglicher, und die Zeit scheint zu kriechen. Ich leide unter einer vererbbaren Migräne, die für meine Ärzte lange ein absolutes Mysterium geblieben ist. Mittlerweile aber bin ich auf eine Behandlung gestoßen, die gut anschlägt und mir ein wenig Erleichterung verschafft.

SZ: Schreiben Sie Ihre Drehbücher schon mit bestimmten Schauspielern vor Augen?

Almodóvar: Normalerweise schreibe ich eine erste Version des Drehbuchs, ohne an bestimmte Schauspieler zu denken. Erst danach fange ich an, mir die Figuren physisch vorzustellen und mir Gedanken über die Schauspieler zu machen. Selbst Schauspieler wie Carmen Maura, Antonio Banderas, Victoria Abril, Marisa Paredes, Penélope Cruz, mit denen ich schon oft gearbeitet habe, rufe ich immer erst ganz spät an, denn meine Drehbücher verändern sich bis zur letzten Fassung. Es wäre riskant, ihnen zu früh Versprechungen zu machen, oft ändere ich in der letzten Minute noch das Alter oder das Geschlecht einer Figur.

SZ: Wie erklären Sie es sich, dass der Film noir, auf den Sie sich in "Zerrissene Umarmungen" beziehen, im Kino immer wieder auftaucht?

Almodóvar: Die wichtigsten amerikanischen Thriller aus den fünfziger Jahren wurden von den Franzosen entdeckt und gewürdigt, von den Leuten, die die Nouvelle Vague begründeten - Godard, Chabrol, Rohmer, Rivette und Truffaut. Mich interessiert das Genre des Film noir, weil es am besten die böse Seite der Macht widerspiegelt, die Gesellschaft kritisiert oder vom Einzelnen in einer feindlichen Umgebung erzählt. Gleichzeitig hat der Film noir eine wunderbare Dramatik, in der sich die extremsten Gefühle entfalten und ausdrücken können. Wie jedes Genre muss auch der Film noir immer wieder neu erfunden werden; "Zerrissene Umarmungen" ist ja aber auch Drama, Thriller und Komödie.

SZ: "Volver" war Ihr bisher größter Erfolg im In- und Ausland, aber trotz verschiedener internationaler Projekte drehen Sie weiter in Spanien. Stört es Sie, wenn die Reaktion in Ihrer Heimat eher verhalten ausfällt?

Almodóvar: In der spanischen Presse habe ich für "Zerrissene Umarmungen" gute und schlechte Kritiken bekommen. Das ist nicht das erste Mal. "Sprich mit ihr" war zusammen mit Roberto Benignis "Das Leben ist schön" einer der weltweit am meisten ausgezeichneten Filme der letzten Jahre, nur in meiner Heimat ist er völlig leer ausgegangen. Vielleicht hat das Publikum in Frankreich oder Deutschland meinen Filmen gegenüber weniger Vorurteile - oft kann man jemanden aus dem Ausland eher schätzen und lieben als jemanden, der einem jeden Tag über den Weg läuft. Ich habe inzwischen gelernt, mit dieser Situation zu leben.

SZ: Wollen Sie nicht trotzdem von allen geliebt werden?

Almodóvar: Ich habe nicht das Selbstbewusstsein, zu glauben, ich sei ein so genialer Regisseur, dass ich mich um die Kritiken nicht scheren müsste. Dagegen bin ich mir ganz sicher, was ein Film für mich bedeutet. Und auf dieser Grundlage finde ich Kritiken fair oder unfair. Mein Beruf ist eben keine exakte Wissenschaft und daher kann man die Reaktion der Kritik und des Publikums nie voraussehen. Aber es gibt ein ungeschriebenes Gesetz: Ein Regisseur darf niemals schlecht über die Kritiker reden. Außerdem leben Filme länger als wir, die erste Reaktion ist nicht unbedingt ein objektives Urteil.

SZ: Warum spielen Drogen von Koks bis zu den Designerdrogen in Ihrem Film eine so große Rolle?

Almodóvar: Für Leute aus meiner Generation waren Drogen Teil des Alltags. Wir fühlten uns wie Pioniere, als wir von 1975 an losgingen. Unsere Idole, Leute wie David Bowie oder Lou Reed, waren auf der Bühne ständig high! Ich wollte David Bowie und Lou Reed in einer Person sein. Keiner von uns wusste, dass Heroin so gefährlich war, dass Koks verrückt macht. Ich habe lange gekokst, aber irgendwann kommt dann der Punkt, wo man darauf verzichten muss, wenn man weiterleben und mit einem klaren Kopf arbeiten will. In diesem Film wollte ich zeigen, wie gefährlich die neuen Designerdrogen - die wir damals nicht nahmen - sind, wenn man sie zusammen mit Alkohol nimmt. Niemand wird die Jugendlichen davon abhalten, Drogen zu nehmen, aber sie sollten wirklich alle nötigen Informationen über sie haben.

SZ: Wie sah Ihr Alltag aus während der Movida Madrileña - zu deren wichtigsten Figuren Sie gehörten - in den wilden Jahren, als nach Francos Tod die neuen Freiheiten ausgekostet wurden?

Almodóvar: Ich bin frühmorgens zur Arbeit gegangen, bei einer Telefongesellschaft, kam nachmittags gegen drei nach Hause. Meine Nachmittage, Abende und Morgen verbrachte ich damit, Drehbücher zu schreiben und Super8-Filme zu drehen, und dann gab es diese endlosen Partys ... Die Routine des Jobs, den ich zum Broterwerb hatte, hat mich vor dem völligen Absturz in den Exzess gerettet. Viele Freunde von mir hatten immer open house, dort gab es immer gigantische Orgien. Manche der berühmten Nachtclubs waren meine Universität. Ich hatte zwei wichtige Schulen im Leben - meiner Mutter und den Frauen in La Mancha beim Geschichtenerzählen zuhören war die eine. Die andere, das waren die endlosen Nächte in Madrid. Dort gab es Sex, Drugs and Rock'n'Roll in rauen Mengen. Es war ein wenig wie die Factory von Warhol. Ich genoss es in vollen Zügen ... Aber viele meiner kreativen Freunde sind aus dieser Orgie nicht mehr erwacht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: