Clint Eastwood und Nelson Mandela, das ist eine nicht ganz selbstverständliche Paarung. Zusammengebracht wird sie durch Morgan Freeman, der Mandela spielt in Eastwoods "Invictus", der nächste Woche bei uns anlaufen wird.
SZ: Als Henry Fonda die Rolle des jungen Lincoln von John Ford angeboten wurde, fühlte er sich der Aufgabe nicht gewachsen. Bei Ihnen war das so: Als Nelson Mandela gefragt wurde, wer ihn in einer Verfilmung seines Lebens je spielen solle, antwortete er: Morgan Freeman. Wie haben Sie damals reagiert?
Morgan Freeman: Das klingt arrogant ... Es klingt immer arrogant, wenn ich auf diese Frage antworte.
SZ: Jetzt bin ich gespannt.
Freeman: Damals sagte ich: Wer sonst? Ich weiß, das klingt aufgeblasen. Vor allem, wenn man's gedruckt liest. Aber das war meine erste Reaktion. Wer sonst soll ihn spielen?
SZ: Das Projekt wurde von Ihrer eigenen Produktionsgesellschaft initiiert. Wie ging das vor sich?
Freeman: Vor drei Jahren schlug man uns die Story vor. Wir haben das Buch optioniert und Tony Peckham fürs Drehbuch angeheuert. Er schrieb eine erste Fassung, die wir mit Kritik und Kommentaren versahen. Die zweite Fassung war perfekt. Ich nahm den Hörer in die Hand, rief Clint an und sagte: "Hey. Hab' ein gutes Skript ..." Clint las, mochte es, und das war's dann.
SZ: Eastwood wusste, dass Sie mit Mandela seit Jahren Kontakt hatten, Ihre Recherchen zu diesem Film so gut wie abgeschlossen waren?
Freeman: Abgeschlossen? Nein, kann ich nicht behaupten. Ich hatte ihn Jahre zuvor kennengelernt. Es ging gleich um eine Verfilmung. Aber wenn Leute mich heute fragen: Wie dachte Mandela über dieses oder jenes? - da muss ich passen. Ich habe "Long Walk to Freedom" nie gelesen. Ich weiß, dass er noch vor seiner Entlassung sicher war, dass er, mit dem Ende der Apartheid, Präsident werden würde. Das hat er mir gesagt. Aber ich erinnere mich weniger an die Gespräche mit ihm.
SZ: Erinnern Sie sich an die erste Begegnung?
Freeman: Die verlief seltsam. Es war an einem Morgen. Ich kam mit meiner Frau, man führte uns in Mandelas Büro. Wir setzten uns auf eine Couch - es hieß, wir sollten mit ihm frühstücken. Die Tür ging auf, Mandela trat ein. Er setzte sich ebenfalls. Stille. Dann wurde uns Tee eingeschenkt. Alles blieb still. Es war, als wüssten wir nicht, worüber reden. Schließlich sage ich: "Wenn ich Sie jemals spielen soll, muss ich Zugang zu Ihnen haben." Mandela sieht mich an, fährt sich mit seiner Rechten übers Gesicht und sagt: "Oh, yes." Ich dachte: Das war's dann? Aber so einfach geht's doch nicht, denke ich und sage nochmals: "Das hieße also, ich brauche die Erlaubnis, in Ihrer Nähe zu sein, Ihr Händchen zu halten, Sie genau zu beobachten." Mandela sieht mich an, fährt sich mit der Rechten übers Gesicht und sagt: "Do that." Das war's. Und so haben wir's die ganzen Jahre hindurch gehalten.
SZ: Ich hörte, Sie hatten Schwierigkeiten mit seinem südafrikanischen Akzent.
Freeman: Ich habe kein Talent für Akzente, tue mich schwer damit. Als der Beginn der Dreharbeiten zu "Invictus" immer näher rückte, war's wie vor jeder Prüfung. Man fängt erst in der Vorwoche zu büffeln an. Ich ließ mir jede Menge Dokumentarmaterial kommen, saß vor dem Monitor, drückte Play, Rewind, Play ... und übte, bis ich nicht mehr konnte. Es ging mir vor allem um die Nuancen, die kleinen Eigenheiten, die erst bei näherem Hinsehen sichtbar werden. Zum Beispiel benutzt er seine linke Hand so gut wie nie. Was mir sehr passte: Meine Linke ist immer noch von einem Autounfall, den ich vorletztes Jahr hatte, lädiert. Aber das sind - für mich als Schauspieler - die eigentlichen Einstiegspunkte in so eine Rolle. Sehen Sie sich Jamie Foxx an, wie er Ray Charles spielt, oder Robert De Niro als Jake LaMotta. Oder Meryl Streep als Julia Child. Klar, das ist Meryl, sagt man. Aber eben das vergisst man nach fünf Minuten. Wir bürden uns solche Rollen auf - und werden dann endlos an der Erfüllung der Nuancen gemessen. Deshalb sind diese Rollen die schwersten, letztlich die undankbarsten.
SZ: Im Film sieht man, wie Mandela die Rugby-WM nutzt, sein Land zu einen. War das Instinkt, Berechnung ...?
Freeman: Im Film erzählt er ja, wie er 1992 zu den Olympischen Spielen nach Barcelona ging und was er dort erlebte. Mandela hat als Jugendlicher geboxt. Ich weiß nicht, ob er je als Profi in den Ring trat, aber ich glaube, das hat seinen Instinkt bestärkt, dass der Sport Mittel der Einigung sein kann, die Massen einigermaßen friedlich im Erlebnis verbindet.
Lesen sie auf der zweiten Seite, warum Morgan Freeman und Clint Eastwood wortlos harmonieren und weshalb der kommende Präsident Südafrikas ein Weißer sein soll.
SZ: Er konnte seinen Feinden vergeben - nicht aus Berechnung, sondern aus Einsicht heraus. Sehen Sie das auch so?
Freeman: Mandela verbrachte 27 Jahre im Gefängnis. Er wusste von Anfang an, dass er seine Wächter für sich gewinnen musste. War das Berechnung? "Sie werden mich als ,Mister' anreden", hat er gesagt. Jedenfalls gab es seiner Meinung nach keine andere Möglichkeit, gegen das System anzukommen. Wenn er im Gefängnis erfuhr, dass ein Wächter ein krankes Kind hatte oder eine Frau, der's nicht gut ging, dann prägte er sich das ein und fragte die Wachen stets danach. Verstehen Sie: da unterscheiden sich Berechnung und praktisches Vergeben noch nicht. Aber Sie sahen ja im Film, wie er sich am Tag seines Amtsantritts den Weißen gegenüber verhielt. Das war mehr als bewundernswert; schon fast ein Wunder, eines, das heilende Wirkung hatte. Kann ich das nachvollziehen? Ich selbst kann durchaus vergeben. Vergessen - das fällt mir schwer.
SZ: Schleicht sich nach Unforgiven - das ist ja schon 17 Jahre her - und Million Dollar Baby bei Ihrer Zusammenarbeit mit Eastwood eine Art Routine ein?
Freeman: Kann ich Ihnen genau sagen. Das geht so: Morgan erscheint pünktlich am Drehort. Eastwood fragt: "Wie geht's?" Ich sage: "Okay." Er sagt: "Okay, dann weiß du ja, was das ist." Dabei deutet er auf eine Szene im Script. Ich antworte: "Weiß ich." Clint sagt: "Dann lass uns drehen." Wir filmen die Szene, und Clint ruft: "Stop. Okay, die nehmen wir." Sie sehen, wir machen nicht viel Worte.
SZ: Und so lief's zwischen Eastwood und Morgan schon immer?
Freeman: Nein. Erst seit Million Dollar Baby. Anfangs ... - mein Gott, er ist ja immerhin Clint Eastwood! -, anfangs hab ich wohl versucht, ihn auf meinen Hausaltar zu hieven. Aber da wollte er nicht rauf. Clint ist keiner, der sich von Mitarbeitern vergöttern lässt. Als ich das endlich kapiert hatte, lief alles problemlos. Wir juxten viel rum zwischen den Takes. Ich hielt wegen des Unfalls die Linke in den Himmel, um die Schwellung zu lindern. Damit zog er mich endlos auf.
SZ: Hatten Sie den Arm gebrochen?
Freeman: Stammt vom August 2008. Da verlor ich die Kontrolle über den Wagen. Ich war am Steuer eingeschlafen, oder hatte kurz das Bewusstsein verloren, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls überschlug sich der verdammte Wagen mehrere Male in verschiedene Richtungen und beschädigte vor allem die linke Körperhälfte. Aber das war damals. Reden wir von jetzt. Reden wir vom Film.
SZ: Nelson Mandela erhielt 1993 den Nobelpreis. Obama nahm ihn letzten Dezember entgegen ...
Freeman: Das läuft auf eine politische Frage raus. Sie werden mich in Schwierigkeiten bringen. Ich bin nur ein Wanderschauspieler und sollte mich in der Öffentlichkeit politischer Urteile enthalten.
SZ: Dabei haben Sie Kollegen, die beide - Mandela und Obama - vergleichen.
Freeman: Na, hören Sie mal: da enden alle Vergleiche. Die Mandelas der Weltgeschichte kann man an einer Hand abzählen. Mahatma Gandhi fällt mir, wenn ich zurückdenke, als Nächster ein. Wir reden von Menschen, die die Welt nicht mit Gewalt, sondern kraft ihrer Persönlichkeit verändert haben. Über Obama ist in dieser Hinsicht noch nicht zu urteilen. Ich glaube, man gab ihm den Nobelpreis für seine Absichten, seine Gesinnung. Nicht für errungene Taten. Uns bleibt nur zu hoffen, dass er den Kurs hält.
SZ: Sie kennen Südafrika gut. Was ist aus Mandelas Vermächtnis geworden?
Freeman: Dieses Erbe lebt - und es besitzt immer noch Wirkung, bringt die Menschen zusammen. Ich selbst habe inzwischen meinen eigenen Traum, was Südafrika angeht.
SZ: Und der wäre?
Freeman: Ein weißer Präsident. Damit würde sich der Kreis schließen. Jemand, der ganz Südafrika davon überzeugen könnte, dass er der richtige Mann ist. Wie es hier, in Amerika, geschehen ist.
Im Video: Tausende haben in Kapstadt mit einem symbolischen Marsch den 20. Jahrestag von Nelson Mandelas Freilassung aus dem Gefängnis wiederholt.