Im Gespräch: Krimi-Autor Henning Mankell:Das wache Bewusstsein für erwartbare Katastrophen

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Ein Moralist mit Haut und Haaren: Der Krimiautor Henning Mankell über Gewinnsucht, das Gefühl der Wut und die Presse- und Meinungsfreiheit.

Thomas Steinfeld

In diesen Tagen ist "Kennedys Hirn" erschienen, das jüngste Buch von Henning Mankell. Darin verknüpft der Autor zum ersten Mal die beiden wichtigsten Elemente seines Werks: die schwedische Kriminalgeschichte und die Aufklärung über Lebensbedingungen und Gesellschaft in Schwarzafrika.

"Was mich an dieser Geschichte so empört, ist die Bosheit." (Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Mankell, Ihr jüngster Roman spielt in Griechenland, in Stockholm, in Barcelona, Australien und Mocambique. Aus Ihrem Nachwort geht hervor, dass Sie ihn größtenteils auf Fårö geschrieben haben. Wie sieht denn die Welt aus, von einer kleinen Insel mitten in der Ostsee betrachtet? Henning Mankell: Ich glaube, dass die Distanz ein Gestaltungsmittel ist. Schreiben ist Malen, manchmal muss man sehr nah an das Bild herangehen, manchmal muss man es aus großem Abstand betrachten. Und ich war in Australien, um mir die Schauplätze anzusehen, und in Maputo bin ich nach wie vor sehr oft.

SZ: Sie haben "Kennedys Hirn" eine Struktur gegeben, die man aus der Literatur kennt. Das Buch gleicht, wie Dantes Reise mit Vergil, wie Joseph Conrads "Herz der Finsternis", einer Höllenfahrt, und am Ende führt kein Weg hinaus. Es ist Ihr finsterstes Buch. Mankell: Das sehe ich ein wenig anders. Wenn ich morgens beim Frühstück sitze oder die Zeitung lesen, packt mich die Wut. Die Wut darüber, dass es auf dieser Welt so entsetzlich viel Leid gibt und dass der größte Teil dieses Leids völlig unnötig ist. Denken wir nur an die Malaria: Sie ist medizinisch beherrschbar, die Medikamente sind da, sie sind nicht einmal teuer, und trotzdem sterben vor allem in Afrika die Menschen massenhaft an dieser Krankheit. Das liegt nur daran, dass die Medizin als Geschäft betrieben wird. Die Wut darüber ist immer da.

SZ: Die Krankheit als Geschäft haben Sie auch zum Thema von "Kennedys Hirn" gemacht. Mankell: Wüsste ich, wie man Aids erfolgreich bekämpft und hätte ich das Patent auf das entsprechende Medikament, ich würde zum reichsten Menschen der Welt. In diesen Forschungen liegt unglaublich viel Geld. Und gewisse Menschen würden alles, buchstäblich alles, dafür tun, um von diesem Geld möglichst viel zu bekommen. Ein großer Teil meines Buchs beruht auf Fakten, und was erfunden ist, da bin ich sicher, kann mit Leichtigkeit wahr werden. So versuche ich, mit der Wut umzugehen.

SZ: Sie haben der Höllenfahrt eine christologische Struktur gegeben. Das fängt bei den Wundmalen an und hört beim Märtyrertum nicht auf. Mankell: Ja, so hatte ich mir das gedacht, und es ist auch kein Zufall, dass die Heldin als Archäologin arbeitet - sie versucht, aus Trümmern ein Ganzes herzustellen. Aber diese Hölle ist ein wanderndes, ein flüchtiges Gebilde.

SZ: Und das Heilsversprechen? Mankell: Es stellt sich nicht ein. Ich bin mit diesem Buch ein Risiko eingegangen, indem ich mich gegen eine auch am Ende geschlossene Erzählung entschieden habe. Vielleicht hatte ich die Hoffnung, die Unruhe weitertragen zu können, sie als Irritationsmoment zu behalten. Dieses Buch handelt von einer realen Bedrohung, und diese hört nicht auf, wenn das Buch zu Ende ist.

SZ: Glauben Sie tatsächlich, dass Sie mit einem solchen Buch das Bewusstsein für das Elend dieser Welt schärfen? Mankell: Nicht wirklich. Der größte Teil Afrikas ist nach wie vor in der Apartheid befangen, und selbst wenn sie nicht mehr in Form öffentlichen Rechts existiert, so lebt sie in den Köpfen der Menschen weiter. Das wird noch lange andauern, Generationen vielleicht. Sie ist einer der wichtigsten Gründe für die Lähmung des ganzen Kontinents. Hinzu kommt, dass ich der Überzeugung bin, dass es keinswegs ausgeschlossen ist, dass eines Tages mit uns Dinge geschehen, wie sie gegenwärtig vor allem in Afrika passieren. Nein, es gilt, das Bewusstsein wach zu halten für all diese Katastrophen, die schon geschehenen wie die noch zu erwartenden.

SZ: Im Unterschied zu den Einwohnern Mocambiques sind die islamistischen Bürger der arabischen Welt offenbar durchaus in der Lage, sich öffentlich zu empören, ja Aufstände zu machen. Mankell: Gut, dass Sie darauf noch zu sprechen kommen. Gewiss, wir sind uns sofort darüber einig, dass die Presse- und Meinungsfreiheit zu den höchsten Gütern der zivilisierten Welt gehört. Und trotzdem ist das, was jetzt in Dänemark geschehn ist, so vollständig unberaten, so töricht, dass es einem die Sprache verschlägt. Wer immer entschieden hat, diese Bilder zu veröffentlichen, muss gewusst haben, welches Leid er über Millionen Menschen bringt, wie viel Schaden er anrichtet. Und das gilt auch für den oder die Zeichner: Es ist ja keineswegs unbekannt, was für ein Vergehen für einen gläubigen Muslim ein Bildnis des Propheten darstellt. Was mich an dieser Geschichte so empört, ist die Bosheit, von der sie ihren Ausgang nahm. Und diesen Aspekt, den Aspekt der Vernunft, der Menschlichkeit, des guten Urteils, muss man getrennt von den Belangen der Presse- und Meinungsfreiheit sehen - und auch davon, in welchem Maße die islamistische Politik diese Ereignisse jetzt zu eigenen Zwecken benutzt.

© SZ vom 8.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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