Im Gespräch: Christoph Waltz:"Der Bastard ist im Vorteil"

Seine Reaktion auf das Drehbuch zu "Inglourious Basterds": "Die haben sie nicht mehr alle!" Christoph Waltz über seine Rolle als aalglatter Nazi und den Märchenerzähler Tarantino.

Tobias Kniebe

Französische Riviera, die Terrasse des Carlton-Hotels: Hitchcock hat hier gedreht, alle Großen des Filmgeschäfts trinken hier ihren Café au lait, alle Angeber der Côte d'Azur allerdings auch. Jetzt sitzt Christoph Waltz hier im eleganten Sommeranzug, bestellt in perfektem Französisch, betrachtet das Treiben auf der Straße - und will sich von der Tatsache, dass die Jury ihn gerade zum Besten Darsteller des Filmfestivals Cannes gewählt hat, nicht verrückt machen lassen.

Im Gespräch: Christoph Waltz: Vom Theateradel zum Kino-Bastard: Für den Film "Inglourious Basterds" wurde Christoph Waltz zum Besten Darsteller des Filmfestivals Cannes gewählt.

Vom Theateradel zum Kino-Bastard: Für den Film "Inglourious Basterds" wurde Christoph Waltz zum Besten Darsteller des Filmfestivals Cannes gewählt.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Waltz, ist Bastard eigentlich ein Ehrentitel?

Christoph Waltz: Selbstverständlich, aber nicht nur das. Wenn man sich mit dem Wesen des Bastards beschäftigt, als Kreuzung, als unehelichem Kind eines hochgestellten Vaters und einer Mutter aus niedrigem Stand, dann stellt man fest: Der Bastard ist genetisch im Vorteil. Weil er flexibel ist. Weil in ihm eine hochinteressante Mischung aus Reproduktion und Veränderung stattfindet. Nur das bringt's überhaupt. Das Reinrassige hat sich in der Evolution als nachteilig erwiesen.

SZ: Dabei stammen Sie selbst aus reinrassigem Theateradel, in der soundsovielten Generation: Wien, Max-Reinhardt-Seminar, Burgtheater...

Waltz: Eben darum war das letzte Jahr so eine gewaltige Erfahrung für mich. Ich habe mich selbst zum Bastard gekreuzt. Oder ich versuche es zumindest. Denn ganz im Ernst, dieser genetisch-evolutionäre Aspekt ist interessant. Der Bastard, der genetisch im Vorteil ist, hat in der Erbfolge einen Nachteil. Deshalb nimmt er sich, was ihm verwehrt wird, mit einem Coup. Nicht zuletzt Shakespeare hat ja daraus einen bedeutenden Teil seiner Inspiration gezogen - wie der Bastard seinen Nachteil in einen Vorteil verwandelt.

SZ: Alles begann im letzten August, als plötzlich das Drehbuch eines echten Bastards auf Ihrem Tisch lag...

Waltz: Allerdings. Quentin Tarantino ist der Oberbastard! Der Vater aller Bastarde. Und jeder Film, den er zeugt, wird ein Vollblutbastard.

SZ: Wie war Ihre Reaktion, als Sie das Skript von "Inglourious Basterds" lasen?

Waltz: Ich habe gedacht: Die haben sie nicht mehr alle!

SZ: Da werden Hakenkreuze in Soldatenstirnen graviert, Nazischädel skalpiert, und SS-Offiziere dürfen einen dämonischen Charme entfalten...

Waltz: Ein Schock! Aber das war nur meine alte Stammbaum-Konditionierung. Da musste ich erst einmal diesen Ast des Stammbaums, auf dem ich sitze, absägen. Und als ich dann unten aufgeschlagen war, konnte ich auch schon das Grandiose an der Sache sehen.

SZ: Weil man sich den inneren Bastard erst erarbeiten muss?

Waltz: Wie viele wunderbare Dinge, die man nicht so einfach konsumieren kann, die ein bisschen mehr Aufwand verlangen. Wenn man das nur aus Konsumgewohnheit liest, ist man völlig auf dem falschen Dampfer. Ich musste die Perspektive total verschieben, ich musste mir das noch einmal ganz neu vorstellen: als Quentin-Tarantino-Film. Das war der erste Schritt in die Bastardwelt, in die ich dann eingetreten bin.

SZ: Recht schnell war dann klar, dass Sie die interessanteste Figur überhaupt spielen sollten - den SS-Standartenführer Hans Landa, der im besetzten Frankreich nur als der "Judenjäger" bekannt ist. Eine Mission, die er mit geradezu perversem Erfolg betreibt...

Waltz: Beim Vorsprechen war mir, ehrlich gesagt, noch gar nicht klar, dass ich dieser Landa sein könnte. Es stand zwar auf der Einladung, aber das habe ich nicht ernstgenommen. Ich dachte, die lassen mich eine Rolle lesen, die ein bisschen was hergibt. Diese Figur, geschrieben von einem der talentiertesten Filmemacher der Gegenwart... - das war einfach nicht ganz meine Prominenz-Liga.

SZ: Was jemandem wie Tarantino allerdings vollkommen wurscht ist.

Waltz: Wie sich gezeigt hat.

Lesen Sie auf Seite 2, wie es ist, ein SS-Offizier zu sein, und warum historische Authentizität ein kapitaler Holzweg ist.

Schmäh muss man haben

SZ: Die "Inglourious Basterds" sind jüdische Guerillakämpfer, die hinter den deutschen Linien möglichst viele Gegner töten. Aber Landa, ihr großer Gegenspieler - ist der dann auch ein Bastard?

Christoph Waltz

Ein waschechter Bastard: Christoph Waltz als Oberst Hans Landa

(Foto: Screenshot: filmstarts.de)

Waltz: Absolut, völlig klar! Ein waschechter Bastard. Ich würde mal annehmen, dass der seinen Vater nicht kennt. Nicht einmal die Herkunft seines Vaters. Er ist seit frühester Kindheit gewohnt, sich, nun ja... flexibel zu verhalten.

SZ: Dieser Landa sagt Sätze wie: "Falls man ermitteln wollte, welche Attribute der Jude mit dem Tier teilt, wären es die einer Ratte."

Waltz: Die nächste Herausforderung war, diese Person nicht zu beurteilen. Es ging ganz klar darum, keine Meinung zu haben. Vor allem für mich, der ich permanent zu allem eine Meinung habe. Es ging nicht einmal um die Frage: Wie würde dieser SS-Offizier empfinden? Solche Ansätze verstehe ich nicht. Diese klugen Schauspieler-Dinge. Sondern: Einfach keine Meinung zu haben, nur das Drehbuch anzusehen: Was macht er, was sagt er? Dann stellt sich sofort das Vergnügen ein.

SZ: Eine Befreiung.

Waltz: Ja. Eine Meinung zu haben, ist ehrlich gesagt - obwohl ich sehr vorurteils- und meinungsbezogen bin - kein Vergnügen. Aber keine zu haben, da kriegt man plötzlich leichte Füße. Und das war für diese Figur notwendig.

SZ: Viele Schauspieler spielen allerdings weniger eine Figur als ihre Meinung über sie. Die meist natürlich sehr vorteilhaft ist...

Waltz: ...und betroffen und ergriffen, und zwar von sich selbst. Ich habe mir diese moralischen Fragen nicht gestellt.

SZ: Sie sagen das so mit Bastard-Grinsen.

Waltz: Weil mir das offenbar liegt und auch Spaß macht. Also eine Sache völlig der Beurteilung entziehen und so der wahren Aktion Platz machen. Grandios!

SZ: Wurden Sie also geboren, um diese Rolle zu spielen?

Waltz: Da ich sie gespielt habe und auch geboren wurde, muss es da schon einen Zusammenhang geben. Aber eine unmittelbare Kausalkette würde ich jetzt nicht annehmen.

SZ: Dieser Landa ist ja laut Drehbuch auch noch Österreicher. Wie Sie.

Waltz: Das kommt in der Tat in einem Halbsatz vor.

SZ: Als habe Tarantino nach den dämonischsten Attributen gesucht und gesagt: Der muss Schmäh haben!

Waltz: Das Wissen um Schmäh - also was wirklich Schmäh ist, nicht das, was sich der Bundesdeutsche allgemein so darunter vorstellt - hat meinem Verständnis der Rolle sehr geholfen. Landa redet auch viel in seiner Muttersprache, im Original sieht man das mit englischen Untertiteln. Das hat Tarantino ausdrücklich so gewollt. Und in diesen Passagen war es wirklich frappierend zu sehen, wie sehr ein leichter österreichischer Einschlag alles verändert hat - die Sprache ist plötzlich einen Quantensprung näher an Tarantinos Rhythmus herangerückt. Weil sie sehr umgangssprachlich ist. Und grammatikalisch nicht korrekt.

SZ: Tarantino ist nicht nur ein Bastard, sondern im Herzen auch noch Österreicher?

Waltz: Er hat eben Rhythmus. Selbst wenn seine Helden die unglaublichsten Dinge diskutieren: Es swingt immer. Und es ist einfach so, dass das Österreichische als Idiom mehr swingt. Es hat etwas Musikalisches. Wenn etwas swingt, erschließt es sich auch anders. Also der Zugang zu dieser Figur war durchaus auch über ein musikalisches Element möglich.

SZ: War es wichtig, ein möglichst authentischer Nazi zu werden?

Waltz: Ich glaube ehrlich gesagt, dass diese vermeintliche historische Authentizität ein kapitaler Holzweg ist. Aber deswegen heißt es ja bei Tarantino auch schon im Vorspann: "Once upon a time, in Nazi-occupied France..."

SZ: Eine Märchenformel.

Waltz: Es war einmal. Ist das nicht im Grunde der beste Ansatz, im Spielfilm mit Geschichte umzugehen? Wesentlich besser jedenfalls, als darauf zu beharren, dass ein Porträt von Friedrich dem Großen an der richtigen Stelle im Führerbunker hängt. Das ist doch so was von wurscht. Und ob der Führer Spaghetti lieber hatte als Hasenbraten.

SZ: Aber tut dem Spielfilm, der sich sowieso gern alle Unwahrscheinlichkeiten herausnimmt, eine gewisse Selbstbeschränkung nicht gut?

Waltz: Da komme ich in die allergrößte Bedrängnis, wenn ich so was höre! Als ob die Aufarbeitung des Stauffenberg-Themas schon durch elektronisch wegretuschierte Hände geleistet wäre...Aber gut, das behauptet ja auch keiner. Tarantinos Anliegen ist nicht die historische Unbedenklichkeit im Detail. Das Ding muss als Kunstwerk stimmen. Und diese Stimmigkeit spielt sich hinter dem Augenschein der historischen Faktentreue ab. Der Rest ist Kunstgewerbe.

SZ: Sich sklavisch an die historische Wirklichkeit halten, zwingt zum Kunstgewerbe?

Waltz: Interessante Überlegung. Möglicherweise schon.

SZ: Hätte es nicht auch eine künstlerische Klarheit, wenn man sagt, man macht mal einen Nazifilm nur mit Szenen, die wissenschaftlich dokumentiert sind?

Waltz: Selbst wenn dieser Film dann zu hundert Prozent dokumentiert wäre - das Ganze wäre doch immer noch von vorne bis hinten ein Fake! Das liegt in der Natur der Sache. Sonst müsste ich ja auch behaupten, das ist der echte Hitler, den man da sieht. Es ist aber nicht der echte Hitler. Selbst ein Dokumentarfilm bildet nicht die Realität ab. Es ist nur ein Blick auf die Realität. Aber nicht ein Blick, den die Realität auf sich selber wirft - sondern den Blick wirft der, der durch die Linse der Kamera guckt. Wenn der jetzt sagt: Ich habe keinen Blick, das ist die Realität, die ich da durch meine Linse sehe - dann stimmt etwas nicht.

SZ: Früher hieß es immer in den Programmzeitschriften, Sie wären "erste Wahl für Psychopathen und Bösewichter". Waren Sie schon der Bastard des deutschen Fernsehens?

Waltz: Aber nein, im Gegenteil. Da war ich ein reines Zuchtprodukt, hingetrimmt auf Brauchbarkeit und Vermarktbarkeit. Das Pferdl ist gerannt, schon klar. Aber es war doch hingezüchtet, selektiert im Sinne des Nützlichen und Wiedererkennbaren. Auch wenn ein Pferd so gezüchtet ist, dass es schnell über die Rennbahn galoppiert - viel lieber würde es doch wild über die Wiese rennen. Zusammen mit den anderen Pferden.

SZ: Weshalb Sie dann auch lieber mal bockig im Stall geblieben sind, statt Schrott abzuliefern?

Waltz: Heldenhafte Verweigerung, meinen Sie? Nein, nein. Obwohl es natürlich reizvoll wäre. Ich äuge schon immer mit unlauterem Verlangen auf diese Jackpot-Plakate am Straßenrand: Ach, zehn Millionen Euro! Dann könnte ich, dann würde ich... Da fällt mir auch schon der Wortlaut ein, mit dem ich diese oder jene Absage durchgeben würde. Das ist fertig formuliert in meinem Kopf. Käme wie aus der Pistole geschossen.

SZ: Ihr Darstellerpreis in Cannes, Ihr neuer Agent in den USA, Hymnen der internationalen Filmkritik - ist das nicht auch eine Art Jackpot? Werden Sie jetzt vielleicht richtig unausstehlich?

Waltz: Die Rache des Bastards? Also um bei Shakespeare zu bleiben, diese Rache schlägt ja meistens fehl. Nein, der Bastard ist aufgefordert, etwas klüger zu sein. Vorsicht ist ja eine seiner Eigenschaften - auch weil er keinen verlässlichen Genpool hinter sich weiß. Er darf auch nicht vergessen, dass ihm gerade eine Jahrhundertrolle geschenkt wurde. Wo doch das Kino selbst kaum mehr als hundert Jahre alt ist.

SZ: Ein Gedanke, der einen beim Spielen selbst allerdings schwer aus der Bahn werfen kann, nehme ich an?

Waltz: Klar. Da darf ich mir kurz selbst auf die Schulter klopfen, diesbezüglich. Dass es mir wirklich gelungen ist, die Dimension dieser Rolle zu verdrängen. Anders geht es auch gar nicht.

SZ: Dabei erzählen Sie gern, dass der große Hollywood-Agent Paul Kohner Sie einmal sehr vor Nazi-Rollen gewarnt hat.

Waltz: Richtig. Reizender Mann. Auch ein Wiener, übrigens. Als junger Schauspieler kam ich mal zu ihm, da hat er gefragt: Wollen Sie Ihr Leben lang durch den Hintergrund laufen und "Heil Hitler" schreien?

SZ: Sie wollten nicht. Und jetzt das.

Waltz: Das nächste Nazi-Angebot wird sich nun möglicherweise nicht verhindern lassen. Und es wäre sicher klug, das nicht anzunehmen. Das wird dann so gewisse Zentrifugalkräfte auf das Rückgrat ausüben.

SZ: Am Ende sollte man noch sagen, dass dieser "Judenjäger" Landa im Film zwar das Böse verkörpert, aber das Gute schafft. Der Zweite Weltkrieg verkürzt sich auf einmal ganz enorm.

Waltz: Es sind lauter Bastarde am Werk, die dann aber etwas sehr Reines zustande bringen. Das gilt im Übrigen auch für den Autor und Regisseur. Wir erleben den wunderbaren Vorgang, dass der Bastard am Ende den Weg zur Eindeutigkeit weist.

SZ: Haben Sie in Wahrheit also einen großen Humanisten dargestellt?

Waltz: Bitte erlauben Sie mir, diese Frage nicht zu beantworten.

SZ: Aber warum? Weil es zu persönlich ist? Oder weil es ein Geheimnis bleiben sollte?

Waltz: Ich habe da etwas versucht. Und es würde mich interessieren, ob die Zuschauer das am Ende, ganz unvoreingenommen, auch mitbekommen.

Christoph Waltz, 1956 in Wien geboren, wurde im Mai in Cannes mit der Palme für den Besten Darsteller ausgezeichnet. "Er reißt den Film vollständig an sich", urteilt die Branchenbibel Variety über seine Rolle als dämonischer SS-Standartenführer in Quentin Tarantinos Kriegsfilm "Inglourious Basterds", der am 20. August in die Kinos kommt. Hierzulande weiß man es schon länger: Waltz, der aus einer Theaterfamilie stammt und am Max-Reinhardt-Seminar ausgebildet wurde, gehört zu den besten Schauspielern seiner Generation. Wie es das Schicksal wollte, hat er seine größten Erfolge bisher aber im Fernsehen erzielt - unter anderem als brillanter Oetker-Entführer in "Tanz mit dem Teufel". Er hat vier Kinder und lebt in London und Berlin.

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