Süddeutsche Zeitung

Im Gespräch: Alexander Kluge:Fakten, Fakten, Emotionen

"Wo richtig viel Traffic ist": Ein Gespräch mit dem Schriftsteller, Produzenten, Rechtsanwalt und Filmemacher Alexander Kluge, der nun Internet macht.

Fritz Göttler

Es war natürlich nur eine Frage der Zeit, bis Alexander Kluge im Internet auftauchte. In den Sechzigern fing er mit dem Kino und mit Büchern an, seit 21 Jahren unterwandert er mit seinen dctp-Programmen das Fernsehen, eben erst hat er eine DVD produziert, nun präsentiert er unter dctp.tv ein Programm mit diversen Themenparks, die Elemente aus seiner TV-Arbeit mit neuproduziertem Material kombinieren, zu Themen wie: "Kapitalismus ist keine Einbahnstraße" (Finanz- und andere Krisen), "150 Jahre Darwin und kein Ende", "Liebe macht hellsichtig", "Kosmos". Die Seite wird ständig aktualisiert, im Moment ist aus gegebenem Anlass ein Gespräch mit Ex-Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper im Vordergrund - aber natürlich soll jeder User kühn springen, zwischen den Aspekten eines Themas und zwischen den Themen selbst, wie es ihm nur möglich ist.

SZ: Sie nennen das Unternehmen einen Themenpark, da steckt eine topographische Vorstellung drin . . .

Alexander Kluge: Ja, die Idee des Gartens, das Bedürfnis nach Parks - das ist eine schöne Gewohnheit der Menschen, von den Gärten der Semiramis bis zum Central Park in New York. Das ist nichts, wo man arbeitet, da gehe ich umher, habe Luft, kann verschiedene Pflanzen sehen. Ich bin nicht im Dschungel, nicht auf einem Acker. Ich bin in einer zivilisierten Natur. Und das gefiel uns, weil alle bewegten Bilder eigentlich nur zu genießen sind als Garten, zum Umhergehen. Natürlich würde ich vor einem Kino nie eine Gartenanlage machen - das Kino braucht das gar nicht. Das ist eine wunderbare Höhlenlandschaft, eine Grotte von Natur aus. Wenn Äneas Dido trifft, in einer Grotte, genauso ist das im Kino. Während das Online-System ein sehr offenes Gelände ist, wo jeder sich tummelt. Ich habe großes Vergnügen an YouTube - aber auch an einem Gegenpol dazu, der Philosophie-Sammlung der Stanford University, plato.stanford. Allerdings ist mir die fast ein wenig zu gut geordnet . . .

In unserem Park sind die Pfade dafür da, dass man sie möglichst schnell wieder verlässt. Der User kann schreiben, bloggen, außerdem wechselt das dauernd.

SZ: Wie hängt dieser neue Abschnitt mit Ihrer bisherigen Arbeit zusammen?

Kluge: Es gibt einen Leitsatz, dem wir folgen: Erlöst die Tatsachen von der menschlichen Gleichgültigkeit. Also nicht Fakten, Fakten, Fakten, sondern immer ein Stück Emotion dazu. Und wenn eine Tatsache menschenfeindlich ist, den Menschen verletzt, dann leugnet er sie sogar. Das ist der sogenannte Antirealismus des Gefühls . . . Das ist eine sehr kollektive Arbeit, die wir hier machen, es gibt Stücke von ganz verschiedenen Filmemachern und Autoren, Schlingensief ist dabei. Aber alles, was ich mit dieser Organisation der dctp nun seit 21 Jahren mache, setzt eigentlich etwas fort, was mal ein Buch war, das ich mit Oskar Negt schrieb, "Öffentlichkeit und Erfahrung", 1972. Wir antworteten damit auf das, was Habermas in "Strukturwandel der Öffentlichkeit" schrieb. Uns ging es um den Erfahrungsbegriff, wie nehmen Menschen etwas auf - das mag ja so objektiv sein, wie es will, aber objektiv sind auch die Emotionen der Menschen, die Antworten. Das ist eine Öffentlichkeits-Theorie, an der ich nach wie vor sehr hänge. Dass es Öffentlichkeit geben soll, und zwar unter Anwesenden.

Wir wollen versuchen, einen Zusammenhang, einen Kontext zu schaffen - und den wollen wir dort hinstellen, wo richtig Traffic ist, wo online richtig viele Informationen durchkommen - es gibt ja nichts Erfinderisches als die Tagesnachrichten. Und die stehen dann dicht neben Themen, die sich nicht täglich ändern - also die Liebe ändert sich nicht dauernd, sie löst auch ihre Probleme nicht. Das ist das Thema Nr. 1. Das Thema Nr. 2 ist der Krieg als das Ende aller Pläne. Das gilt für Afghanistan, gilt für noch nicht ausgebrochene Kriege wie Pakistan: Wer sich um den Krieg nicht kümmert, kommt darin um . . . Wir haben jetzt im Sommer das Thema Blitzkrieg, da kann man sich Gedanken machen, was da los war vor siebzig Jahren, am 1. September. Dass Blitzkrieg nichts Neues ist, das hatte schon Hannibal bei Cannae gemacht. Es ist ihm gelungen - aber man verliert dabei den Krieg. Während zum Beispiel Alexander der Große, von dem man sagt, er hätte Blitzkrieg gemacht, das gar nicht tat - zwischen Issos und Gaugamela, seinen großen Schlachten, liegen drei Jahre. Er ist ein Städtegründer, er ist wie Keynes verschwenderisch. Was die persischen Könige an Schätzen horteten, hat er in wenigen Wochen unter die Leute gebracht. Und es gab 300 Jahre blühenden Hellenismus.

SZ: Das bedeutet, dass man die logische, unilineare Perspektive in Geschichte und Kinogeschichte auflösen muss . . .

Kluge: Was zum Beispiel Godard macht in seinen "Histoire(s) du cinéma" - dass er jetzt das ganze Kino als eine Partitur sieht und es, als wäre er Ovid, in seinen Metamorphosen vorführt, wobei er die Nebensachen miteinander verknüpft. Das ist es, was Sie machen können, wenn Sie einen Garten anlegen . . .

SZ: Wobei Godard immer noch einsam und allein gärtnert . . .

Kluge: Schade, dass er so ein Einzelgänger ist, ich wäre gern sein Gefolgsmann gewesen, habe es ihm so oft angeboten. Er ist wie die Spinnerin Arachne, die Geschichten in ihre Gewänder hineinwebt, den ganzen Trojanischen Krieg, die Heimkehr des Odysseus. Und die Göttin Athene, auch eine Künstlerin, ist neidisch und verwandelt sie in eine Spinne. Das ist unser Kennzeichen. Das ist aus den Metamorphosen des Ovid, tausendundzwei Göttergeschichten ineinander verwoben - das ist es, was man im Grunde ein Netzwerk nennt. Wir nehmen das Netz ganz wörtlich, so wie wir auch das Wort Kino ganz wörtlich nehmen - alles was sich bewegt, auf der Leinwand und im Herzen. Egal, ob es Haikus sind, unsere Dreiminutenfilme, oder zehn Stunden . . . Diese Vielfalt gab es zu Beginn des Kinos, sie wird nun mit den neuen Medien wieder wirksam. Ein Phönix verbrennt und ersteht wieder neu. Ich bin da ganz gläubig - dass die Kinogeschichte von vorn, aus der Zukunft auf uns zukommt.

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Quelle:
SZ vom 28.5.2009/rus
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