Nachruf auf Ilya Kabakov:Unermüdlicher Visionär

Nachruf auf Ilya Kabakov: In Moskau arbeitete er undercover, im Westen machte der Furore: Der russische Konzeptionskünstler Ilya Kabakov.

In Moskau arbeitete er undercover, im Westen machte der Furore: Der russische Konzeptionskünstler Ilya Kabakov.

(Foto: IMAGO/Heritage Images)

Ilya Kabakov floh aus der Sowjetunion nach New York und entwickelte dort das Potential der russischen Avantgarde weiter. Nun ist er mit 89 Jahren gestorben.

Von Till Briegleb

Auf der Zeche Zollverein in Essen steht in einer riesigen Halle eine filigrane Tempelschnecke als Mahnmal gegen den Pragmatismus. Architektonisch eine Mischung aus Tatlins Denkmal für die Revolution und barockem Folly ist der "Palast der Ideen und Träume" konzipiert als Schule für Utopie. Ilya und Emilia Kabakov hatten zum Jahrtausendwechsel diese Akademie mit 61 Tischen eingerichtet zwischen Modellen, Materialien und Engelwesen als Leitfiguren. Wer immer erschöpft ist von Rechthaberei, gekränkter Politik, bürokratischer Verkrustung und den Schäden des Egoismus, sollte hier die Ruhe finden, neue Kraft der Vorstellungen zu tanken.

Eine Zeichnung Kabakovs von 1984 wurde der Prophetie des russischen Einmarschs

Dieser Palast ist die Essenz des Werkes der Kabakovs, die seit ihrer Flucht aus dem Sowjetstaat 1988 in New York das Potential der russischen Avantgarden weiterentwickelt haben. Ilja Kabakov, der in Moskau einer Undercover-Gruppe von Konzeptkünstlern angehörte, machte im Westen zunächst Furore mit rätselhaften Installationen, die den tristen sozialistischen Alltag (im Gegensatz zum sozialistischen "Realismus") einfingen. Später verband er die Ikonografie propagandistischer Versprechungen mit absurder Komik und einem befreienden Sinn für das Fantastische. Aus dieser Kombination entstand ein reiches, von geistesgeschichtlichen Bezügen erfülltes Werk, das ihn zu einem der bedeutendsten Künstler der Gegenwart machte.

Die ewige Wiederkehr alter Muster war immer das bedrohliche Feindbild, gegen das die im ukrainischen Dnjepropetrowsk geboren Kabakovs - die zunehmend gemeinsam arbeiteten - ihre verführerische und einladende Kunst entwickelten. Eine Zeichnung Kabakovs mit Kriegsschiffen vor dem Schriftzug "Go Fuck yourself" von 1984 wurde in ihrem prophetischen Gehalt dann auch zum Meme dieser Wiederkehr nach dem russischen Einmarsch. Nun ist der unermüdliche Visionär neuer Muster im Alter von 89 Jahren gestorben. Seine Träume und Ideen leben aber weiter, etwa in dem Essener Palast einer utopischen Republik.

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