Illustrator:Meister der leeren Fläche

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Wolf Erlbruch trug die ästhetischen Revolutionen der Moderne ins Kinderbuch. Jetzt wird der Maler, Erzähler und Designer siebzig Jahre alt.

Von Jens Thiele

Als Wolf Erlbruch Mitte der 1980er Jahre auf der Bilderbuchbühne erschien, waren verschiedene Bereiche der visuellen Kultur bereits in Bewegung geraten. Bildende Kunst, Film, Fotografie und Design durchdrangen einander auf so vielfältige Weise wie nie zuvor. Illustratoren wie Wolf Erlbruch trugen vor dem Hintergrund postmoderner Entgrenzungen solche Entwicklungen der visuellen Kultur in das Bilderbuch hinein. Sie machten sichtbar, welche ästhetische und literarische Vielfalt in diesem wichtigen Medium für Kinder stecken kann.

Bevor er seine ersten Bilderbücher im Hammer Verlag veröffentlichte, arbeitete Erlbruch für die internationale Werbebranche, für Transatlantic, für Twen, GQ und den Stern. Ausgebildet als Grafik-Designer an der Folkwang-Schule in Essen, unterrichtete er ab 1990 an der Fachhochschule in Düsseldorf und von 1997 bis 2012 an der Universität in Wuppertal und vermittelte seinen speziellen Blick auf die Illustration. Seine Bilder markierten einen grundlegenden künstlerischen Wechsel: weg von der stilistisch einheitlichen, geschlossenen Illustration hin zum heterogenen, offenen Bild. Bildtechnisch zeigte sich dieser Wandel durch die Einbeziehung und Weiterbearbeitung vorgefundener Materialien und die Zusammenführung von Malerei, Zeichnung und Collage.

Wolf Erlbruch hat die Collage, seit gut 100 Jahren die bildnerische Technik der Verfremdung und Irritation schlechthin, für die Kinderbuchillustration ganz neu gedacht, indem er auf eine unverwechselbare Weise die Poesie des Materiellen sichtbar gemacht hat. Gedruckte Tabellen auf altem Papier, Zahlenreihen und Musterungen aus vergangenen Tagen prägen die Bilderzählungen und beginnen selbst zu erzählen; sie tragen bereits Geschichten von Orten und Zeiten in sich, in denen diese Materialien einst ihre Bedeutung und Funktion hatten.

Erlbruch ist immer ein Erzähler geblieben, einer freilich, der nicht ausschmückt, sondern verknappt. Seine Figuren, ob in seinem Bilderbuch "Der kleine Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat", der liebe Gott in "Am Anfang" oder der Tod in "Ente, Tod und Tulpe" - sie alle sind auf wenige charakterisierende Merkmale reduziert. Sie bewegen sich auf leeren Flächen und besitzen dennoch, oder gerade deswegen, einen emotionalen, anrührenden Ausdruck. Erlbruch setzt die monochrome, "leere" Fläche als bewusstes Gestaltungselement und als narratives Moment in seinen Erzählungen ein.

Seine Bücher sind getragen von einer großen Sympathie für Kinder und ihre Art, die Welt zu sehen, zu deuten und zu verstehen. In dem kleinen Buch "Nachts" öffnet er uns auf eine humorvolle und zugleich bildnerisch bewundernswerte Weise die Augen für die kindliche Fantasiewelt und deren surreale Szenerien.

Wolf Erlbruch, der Zeichner, Illustrator, Maler, Collagekünstler und Erzähler, der bereits alle wichtigen internationalen Preise der Kinder- und Jugendliteratur erhalten hat, meinte im vergangenen Jahr, als er als erster deutscher Künstler den schwedischen "Astrid-Lindgren-Award", erhielt: "Ich bin immer skeptisch. Ich bin ein freundlicher Skeptiker auch gegen mich selbst". Morgen wird er siebzig Jahre alt.

© SZ vom 29.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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