Illegaler Antikenhandel:Die Narben der Antonia

Illegaler Antikenhandel: Die Büste der Antonia Minor mit den charakteristischen Schäden im Gesicht.

Die Büste der Antonia Minor mit den charakteristischen Schäden im Gesicht.

(Foto: Renate Kühling/Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek)

Unbekannte stehlen in Spanien eine Marmorbüste. Später taucht sie in München wieder auf. Über das Versagen von Behörden, Auktionshäusern und Museen.

Von Nina Bovensiepen und Karin Janker

Die Einkerbung auf der linken Wange, wie eine verwachsene Narbe, dazu die platt abgebrochene Nase, die ihrem Gesicht einen beleidigten Ausdruck gibt. "Das muss sie sein", sagte sich José Beltrán. Doch er sah zur Sicherheit noch einmal in den Notizen nach, die er sich vor Jahren gemacht hatte. Dann erst rief er die spanische Polizei an. "Ich sagte ihnen, dass ich vermutete, die Antonia Minor wiedergefunden zu haben und dass ich wusste, wo sie war."

Eigentlich hatte Beltrán, Archäologieprofessor in Sevilla, im Sommer 2018 im Internet nach Abbildungen für ein Fachbuch gesucht. Er stieß auf Fotos, die Museumsbesucher in München von einem antiken Marmorkopf gemacht hatten. Beltrán erkannte in ihm jene Büste der Antonia Minor wieder, die in Spanien seit acht Jahren als gestohlen galt. Ihr Schätzwert: 50 000 Euro. Ihr neuer Standort: die Münchner Glyptothek. Wie war sie dorthin gelangt?

"Es gibt nur wenige Porträts von Antonia", sagt José Beltrán. Der 61-Jährige hat gerade einen Fachartikel über sie veröffentlicht. Antonia die Jüngere war die Tochter des Marcus Antonius, Nichte von Kaiser Augustus, sie war die Großmutter des Tyrannen Caligula und die Urgroßmutter von Kaiser Nero, der als Brandstifter Roms in die Geschichte eingegangen ist. "Antonia war eine zentrale Figur in der römischen Herrscherdynastie", sagt Beltrán. Und die gestohlene Büste ein einzigartiges Stück, das in Spanien etwa 50 nach Christus, noch zu Lebzeiten ihres Sohnes Claudius gefertigt wurde. Ausgegraben wurde die Büste in den 1960er Jahren in der Nähe der spanischen Stadt Bornos, einem Ort ganz im Südwesten des Landes. Die Büste der Antonia stellte man in einem Palacio aus dem 16. Jahrhundert aus, direkt neben dem Rathaus.

In München ahnten die Museumsbesucher nichts von der Odyssee der Büste

José Beltrán stammt aus der Gegend, er ist seit Studienzeiten fasziniert von den Fundstücken römischer Kultur. Umso härter traf ihn die Nachricht, dass die Büste der Antonia Minor im Sommer 2010 aus Bornos gestohlen wurde. "Das stand damals in allen Zeitungen, ich hoffte, dass man die Täter schnell findet, aber leider wurden die Ermittlungen bald eingestellt", sagt Beltrán. Keine neuen Indizien, sagte die Guardia Civil. Doch dann führte der Zufall Beltrán selbst zu ihr. Denn nichts als purer Zufall war es, der den Professor vor zwei Jahren die Fotos im Netz finden ließ. 2400 Kilometer entfernt wurde die Antonia Minor in München zur gleichen Zeit von Menschen bewundert, die von ihrer Odyssee nichts ahnten.

"Der Fall der Antonia ist symptomatisch", sagt Michael Müller-Karpe, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Er bezeichnet den Antikenhandel als "illegales Massengeschäft". Raubgrabungen und Plünderungen archäologischer Stätten in allen Regionen der Welt würden durch eine enorme Nachfrage und den geduldeten Handel mit geraubten Kulturgütern befördert. Experten schätzen, dass nur mit Drogen und Waffen mehr illegales Geld gemacht wird.

Symptomatisch ist für Müller-Karpe zum Beispiel der Weg, den die Antonia nach dem Diebstahl nahm. Schon ein Jahr später, im Juni 2011, tauchte die Büste wieder auf. Sie wurde in einer Versteigerung des Münchner Auktionshauses Gorny und Mosch angeboten, Interessenten fanden sie im Auktionskatalog. In der SZ hieß es in jener Woche auf der Kunstmarkt-Seite, auf der die Versteigerung angekündigt wurde: "Der Höhepunkt der Auktion wird mit einem klassizistischen Kopf der Antonia Minor aufgerufen, der Mutter des Kaisers Claudius, die eine hoch gerühmte Frauengestalt der römischen Kaiserzeit war (60 000 Euro)".

Gibt es die Sammlung Lee Hunt überhaupt?

Interessant ist die Herkunftsangabe im Katalog von Gorny und Mosch. "Provenienz: Aus der Slg. Lee Hunt, Großbritannien, späte 60er - Anfang 70er Jahre." Wer sich auf die Suche nach dieser Sammlung macht, wird nicht fündig werden, keine Spur, nicht einmal im im Netz. Gibt es die Slg. Lee Hunt womöglich gar nicht?

Auf Anfrage der SZ widerspricht Hans-Christoph von Mosch diesem Verdacht. Es gebe weltweit Millionen von Privatsammlungen, "die weder publiziert noch digitalisiert sind", so der Geschäftsführer des Auktionshauses. Einen Kontakt zu der Sammlung könne man mit Blick auf den Datenschutz und Verschwiegenheitsklauseln nicht vermitteln. Gleiches gelte für Informationen zum Einlieferer, der sei aber mit der "offiziellen Software Sanscreen im Hinblick auf Geldwäsche und kriminelle Vereinigungen" überprüft worden. Zudem sei die Büste in der Datenbank von Interpol gecheckt worden - dort war sie nicht als gestohlen gemeldet, weil die Spanier dies offenbar versäumt hatten. Auch sonst habe man keine Hinweise auf einen "unrechtmäßigen Vorgang" gehabt, so Mosch.

Bei Experten wecken solche Darstellungen Zweifel. Es ist typisch bei illegalem Handel mit Antiken, dass die Herkunft von Objekten verwischt wird. Die Provenienz-Angaben in deutschen Auktionshäusern seien häufig "pure Fiktion", heißt es in Ermittlerkreisen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Häuser selbst sie fälschen. Aber die Objekte gelangen über Vermittler A zu Vermittler B und vielleicht noch zu Vermittler C. Irgendwann wird die Kette der Mittelsmänner so lang, dass keiner mehr prüft.

Immer wieder führt Kunstkriminalität zur Mafia, zu Drogenhändlern und Terrororganisationen

In der Glyptothek war die Antonia Minor Teil der Ausstellung "Charakterköpfe". "Wir hatten allen Grund zur Annahme, dass es sich um ein sauberes Stück handelt", sagt Florian Knauß, Direktor der Staatlichen Antikensammlung und Glyptothek München. Man habe die Büste wie üblich im Art-Loss-Register eingegeben, dort sei sie nicht als gestohlen gemeldet gewesen, so der Archäologe. Das Art-Loss-Register ist die größte privatbetriebene Datenbank gestohlener Kunstgegenstände, es listet mittlerweile mehr als 700 000 Objekte auf.

Die Ausstellung umfasste eigene Stücke der Glyptothek sowie Leihgaben von öffentlichen Museen und Privatsammlern. "Die Antonia Minor wurde uns von einem Privatsammler angeboten, der gut beleumundet war", sagt Museumsdirektor Florian Knauß. Es war jener Mann, der sie zuvor im Auktionshaus Gorny und Mosch erworben hatte. Er habe in gutem Glauben gehandelt, sagt Knauß, ebenso wie die Glyptothek selbst. Doch dann bekam das Museum einen Anruf von der Polizei.

Die spanischen Behörden hatten die Anzeige von Archäologieprofessor José Beltrán weitergeleitet. Ein europäischer Ermittlungsbefehl war beantragt worden. Dann ging alles relativ schnell: Der Verkauf wurde rückabgewickelt, der Privatsammler bekam sein Geld zurück. Und die Büste kam in die Obhut der Behörden. Ob jemals restlos aufgeklärt wird, wie sie von Bornos außer Landes gelangte, ist fraglich. "Immer wieder sieht man, dass Kunstkriminalität zur Mafia, zu Drogenhändlern und Terrororganisationen führt", sagt Arthur Brand. Der Niederländer ist Kunstdetektiv, er fahndet nach gestohlenen und illegal gehandelten Werken. Die spanischen Behörden hätten sich an ihn gewandt. "Ohne mein Mittun wäre der Kopf noch immer nicht zurück", sagt er über die Antonia Minor.

Auch Brand nennt den Fall typisch: "In vielen Ländern hat Kunstkriminalität einfach keine Priorität." Das liege daran, dass die Dimensionen unterschätzt würden. Zudem sei die Beweislage oft schwierig. Und die Kulturschutzgesetze der Länder sind höchst unterschiedlich. Bis sich Behörden über Länder- und Sprachgrenzen verständigen, sind Raubgut und Täter häufig verschwunden.

München gilt als "Hotspot" : zahlungskräftige Kunden und viele Auktionshäuser

Nicht selten führen die Spuren in solchen Fällen nach München. Die Stadt sei "deutschlandweit ein Hotspot für den Kunsthandel", heißt es bei der Staatsanwaltschaft München I dazu, es gebe viele zahlungskräftige Kunden und zahlreiche Auktionshäuser. Die Abgrenzung zwischen legalem und illegalem Kunsthandel sei dabei sehr schwierig, "es gibt einen großen Graubereich und oft widersprüchliche Expertenmeinungen".

Für Auktionshändler Hans-Christoph von Mosch etwa ist der illegale Antikenhandel "weitgehend ein moderner Mythos". Er räumt aber ein, dass sich auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden lasse, dass Diebesgut in den Kunsthandel kommt. Während viele Experten ein strengeres Kulturschutzgesetz und vor allem härtere Strafverfolgung fordern, sieht Mosch in öffentlichen Auktionen das "beste Mittel, einem eventuellen illegalen Antikenhandel einen legalen Handel mit Kunst der Antike entgegenzusetzen".

Im Falle der Antonia Minor ist sich am Ende niemand einer Schuld bewusst: nicht die Stadt Bornos, aus der sie entwendet werden konnte, nicht die spanischen Behörden, die ihre Verfolgung alsbald einstellten; das Auktionshaus, das sie verkaufte, ebenso wenig wie das Museum, das sie ausstellte. In der Pressemitteilung, die das bayerische Landeskriminalamt zur feierlichen Übergabe der Antonia Minor im spanischen Generalkonsulat in München verschickte, sollte alles nach vorbildlicher Kooperation klingen. Dabei ist die Rückkehr der Antonia Minor in ihre spanische Heimat wohl vor allem dem Zufall zu verdanken - und den guten Augen von José Beltrán, der jeden Makel in ihrem Gesicht kennt.

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Gotha

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