Süddeutsche Zeitung

Iggy Pop:Der erste Virtuose des Stage-Divings

Er ist der große Derwisch des Rock, der Punk-Pionier. Seine Auftritte waren die ganz großen Exzesse, was man dabei erlebte, war rohe Kraft. Jetzt wird Iggy Pop 70.

Von Jens-Christian Rabe

Das wacklige Video, das vor einem knappen Jahr im Netz auftauchte, zeigte einen stolzen, aber auch tragischen Helden. Mit der seinem Berufsstand eigenen, kühlen Hartnäckigkeit begleitet darin ein Paparazzo Iggy Pop über den Flughafen von Los Angeles. Pop hat eine weiße Hose an und eine kurze enge Lederjacke, in deren Taschen er seine Hände vergraben hat, und erträgt die ungebetene Eskorte mit stoischer Ignoranz. Er humpelt aber auch stark, und seine zunächst unbeugsam aufrecht wirkende Haltung erweist sich als notwendige Ausgleichsbewegung. Deutlich bemerkt man bald nämlich auch den medizinischen Klumpschuh am rechten Fuß. Ja, die extrem körperlichen Exzesse, die ihn berühmt und berüchtigt gemacht haben, sind an diesem noch immer ziemlich drahtigen Körper nicht spurlos vorübergegangen. Und doch blieb auch ein seltsam vitaler, energischer Eindruck zurück. Und der passte so gar nicht zu dem Bild des angeschlagenen 69-jährigen Überlebenden, den man dem Boulevard zum Fraß vorwerfen wollte.

Das Bild, das der alte Rock-Held da am Flughafen abgab, schien, genau besehen, eher vor allem einfach irrsinnig stimmig zu sein. Der souveräne, aufrechte Gentleman, der weise, formvollendet würdevolle Herr, den sein alter Freund David Bowie in seinen letzten Jahren gegeben hatte, sähe an ihm irgendwie seltsam aus. An ihm, dem großen Derwisch des Rock, dem Punk-Pionier mit dem auf der Bühne ewig entblößten Oberkörper, dem ersten Virtuosen des Stage-Divings.

Spätestens mit Iggy Pop und seinen Stooges war Rock ganz am Ende der Sechziger ja eine Erfahrung geworden, die man auf der Bühne in all ihrer nihilistischen Radikalität auch sehen können sollte. Seine Auftritte waren eher Anfälle, bei denen Iggy Pop nicht tanzte oder lief, sondern sich über die Bühne warf. "Raw Power", so hieß 1973 nach der wegweisenden unbetitelten ersten Platte (1969) und "Fun House" (1970) das dritte und letzte Stooges-Album. Und exakt das war es, was man bekam, rohe Kraft. Auch später noch, nach den ganz großen Exzessen, bei leichteren Solo-Geniestreichen wie "The Idiot" oder "Lust For Life" oder bei einem erstaunlichen Spätwerk wie dem im vergangenen Jahr erschienenen Album "Post Pop Depression".

"Wir brauchen mehr Rockstars, die willens sind, sich zum Deppen zu machen ."

Nicht zuletzt deshalb passt aber auch der tattrige Greis nicht zu Iggy Pop. Was natürlich irgendwann ein kleines Dilemma sein könnte, weil man diesem Schicksal als Überlebender unglücklicherweise nur sehr, sehr schwer entkommt. Aber noch soll das sein Problem nicht sein. Und noch ist für alle anderen, besonders an diesem 21. April, dem 70. Geburtstag dieses Mannes, viel interessanter, warum es nicht passt. Es hat damit zu tun, dass die rohe Kraft bei ihm eben kein Mittel zu einem Zweck war, über den allenfalls - wie später bei den Sex Pistols - irgendein Band-Manager Bescheid wusste. Sondern schon ziemlich gut überlegt. Oder wie der Popkritiker Lester Bangs 1970 schrieb in dem Text mit dem unschlagbaren Titel "Ein Programm zur Befreiung der Massen in Form einer Stooges-Rezension": "Iggy Pop ist ein gottverdammter Depp. Wir brauchen mehr Rockstars, die willens sind, sich zum Deppen zu machen, alle Grenzen zu überschreiten und das Publikum notfalls dazu zu bringen, sich für sie zu schämen, bis auch nicht das kleinste Fitzelchen ihrer Würde oder mystischen Aura mehr übrig ist." Denn dann endlich, so Bangs' Hoffnung, würde das pompöse Gebäude dieser überaus lächerlichen Rock'n'Roll-Industrie endlich zusammenbrechen.

Da es leider bislang nur einen Iggy Pop gegeben hat und das Gebäude der Musikindustrie längst eher eine Megacity ist, können die Schlussworte dieses Artikels natürlich nur heißen: Lang lebe Iggy!

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SZ vom 21.04.2017
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