Idi Amins Propaganda-Archiv:Du sollst dir kein Bildnis machen

vieren "The Unseen Archive of Idi Amin" Copyright: Prestel-Verlag

Viele Stars und Politiker gingen Idi Amin auf den Leim. Hier posiert er mit dem US-Bürgerrechtsaktivisten Roy Innis und Louis Farrakhan von der "Nation of Islam".

(Foto: Prestel Verlag)

Kann man die Lügen offenlegen, indem man sie präsentiert? Ein Bildband mit offiziellen Aufnahmen aus Ugandas dunkelster Epoche zeigt, wie das geht.

Von Alex Rühle

Als sich Idi Amin 1971 in Uganda an die Macht putschte, rief er ein "Government of Action" aus. Er tourte durchs Land, ließ sich täglich neu feiern und versprach das Blaue vom Himmel runter, die Französische Revolution war nur eine Art fader Vorlauf für das gerechte und brüderliche Zeitalter, das unter seiner Ägide anbrechen sollte. Das Informationsministerium erweiterte seine Photographic Section, zehn Mann hatten allein in der Hauptstadt Kampala das Regime permanent ins rechte Licht zu rücken, indem sie jede Fabrikeröffnung, Rede, Jubelfeier dokumentierten.

Zum Ruhme des ersten Jahrestags der Machtergreifung wurde ein Buch in Auftrag gegeben mit dem Titel "The First 366 Days", für das die Photographic Section aus allen offiziellen Aufnahmen dieses Jahres eine beeindruckende Schau zusammenstellen sollte. Ein beigestellter Text pries den allgewaltigen Herrscher, Befreier und Freund aller Völker, der freilich längst willkürlich morden ließ, seine Feinde genauso wie treue Untergebene: Als eine kurze Filmsequenz, die Amin beim Händeschütteln mit einem arabischen Würdenträger zeigte, aus Versehen spiegelverkehrt im Fernsehen gelaufen war, ließ er umgehend den Kameramann umbringen. Die Herausgeber des Jubiläumsbuchs hatten solche Angst, aus den zigtausend Propagandafotos ein falsches Motiv für das Cover zu wählen - ein Soldat? Das könnte Amin als kritischen Hinweis auf seinen gewaltsamen Putsch deuten! Amin selbst? Das könnte er als Kritik am Personenkult deuten! -, dass sie am Ende gar kein Foto wählten, sondern eine allegorische Zeichnung anfertigen ließen.

Es geht um die Macht der Fotografie im Reich der Paranoia

Nach der Flugzeugentführung von Entebbe im Juli 1976, bei der israelische Sicherheitskräfte die einwöchige Entführung eines Air-France-Flugzeugs durch palästinensische und deutsche Terroristen beendeten, gelangten dann ugandische Fotos des zerstörten Flughafens von Kampala nach Südafrika. Amin ordnete die Ermordung des Mannes an, der die Bilder nach Südafrika vermittelt hatte (der Fotograf war geflohen), und er ließ sein eigenes komplettes Propagandaarchiv nach unliebsamen Aufnahmen durchforsten.

Idi Amins eigene Fotografen hatten danach endgültig solche Angst davor, für irgendwelche Bilder oder Motive mit dem Leben zu zahlen, dass sie ihr riesiges Archiv abschlossen und für die restliche Herrschaftszeit kaum noch Fotos veröffentlichten, stattdessen hielten sie alle Events nur noch zum Ruhme Amins für die Nachwelt fest - eine so absurde wie gleichnishafte Anekdote aus dem Reich der Paranoia: Man produziert ausnahmslos Lügenbilder der Macht, aber weiß dabei nicht mehr, welche Lügen überhaupt noch genehm sind. Das führte bizarrerweise dazu, dass das komplette Propagandaarchiv aus Amins Terrorzeit überlebt hat. 70 000 Negative, die erst im Jahr 2015 von einem Archivar wiederentdeckt wurden.

Wie aber kann man Propagandabilder für die historische Forschung nutzbar machen, ohne dem Verherrlichungsnarrativ des jeweils darin gezeigten Herrschers auf den Leim zu gehen? Während Idi Amins achtjähriger Schreckensherrschaft wurden zwischen 300 000 und 500 000 Menschen umgebracht. Derek R. Peterson, US-Professor für afrikanische Geschichte, und der australische Anthropologe Richard Vokes geben mit ihrem Buch "The Unseen Archive of Idi Amin" (Prestel Verlag, München 2021, 160 Seiten, 40 Euro) eine interessante Antwort auf diese Frage: Sie haben eine Auswahl der Fotos nach Schwerpunkten sortiert und jeweils mit ergänzenden, dekonstruierenden Texten versehen.

vieren "The Unseen Archive of Idi Amin" Copyright: Prestel-Verlag

Inszenierung eines Verbrechens: Ein indischstämmiger Ugander muss als angeblicher Geldwäscher posieren.

(Foto: Prestel Verlag)

So kann man hier der Propaganda bei der Arbeit zusehen: 1972 erklärte Amin einen "ökonomischen Krieg", enteignete alle 80 000 Asiaten und warf sie aus dem Land. Dafür müssten natürlich Gründe konstruiert werden. Eine Fotoserie zeigt einen indischstämmigen Mann, der sich angeblich der Geldwäsche schuldig gemacht hat. Die Staatsfotografen scheinen sich nicht sicher zu sein, wie sie ihn schäbiger dastehen lassen: Mal drapieren sie Hunderte einzelner Banknoten um den stummen Mann, mal zwingen sie ihn dazu, riesige Geldbündel in Händen zu halten, zuletzt setzen sie ihn vor ziegeldicke Banknotenhaufen.

Größenwahn, Schreckensherrschaft und ein Verbot von Miniröcken

Amin inszenierte sich natürlich auch als Vorreiter der Dekolonisierung, britische Statuen wurden gestürzt, Seen umbenannt, Miniröcke genauso wie Perücken verboten (die wurden aus den Haaren getöteter Vietcong hergestellt!). Viele westliche Politiker und Stars gingen ihm auf den Leim, die südafrikanische Sängerin und Anti-Apartheid-Aktivistin Miriam Makeba kam auf Konzertreise, der Black-Panther-Aktivist Stokely Carmichael tourte genauso durchs Land wie der amerikanische Bürgerrechtler Roy Innis, der dabei den US-Imperialismus anprangerte und erzählte, wie stolz die amerikanischen Schwarzen auf ihren politischen Vorkämpfer Idi Amin seien.

Dessen bizarrer Größenwahn - er forderte die Verlegung der Vereinten Nationen nach Kampala, bot sich großzügig an, Queen Elizabeth den Vorsitz über den Commonwealth abzunehmen und nannte sich, als Großbritannien die diplomatischen Beziehungen abbrach, "Bezwinger des Britischen Weltreichs in ganz Afrika und besonders in Uganda"- dieser Größenwahn also zahlte sich insofern aus, als ihn alle Despoten seiner Zeit besuchten, es gibt reihenweise Fotos mit Anwar Sadat, Gaddafi oder Mobutu. Nachdem er sich mit Israel überworfen hatte, wollte Idi Amin Adolf Hitler am Viktoriasee ein Denkmal errichten.

vieren "The Unseen Archive of Idi Amin" Copyright: Prestel-Verlag

Die einzige Ermordung, die dokumentiert wurde: Die Exekution des Sergeant Baru, inklusive Arzt im weißen Kittel. Von den 300 000 bis 500 000 Folter- und Mordopfern gibt es keinerlei Aufnahmen.

(Foto: Prestel)

Am interessantesten ist, was die Bilder nicht zeigen. So gibt es beispielsweise keine Aufnahmen vom 10. September 1977, einem Tag, an dem mitten in Kampala fünfzehn Männer öffentlich hingerichtet wurden, inklusive großer Ankündigungen im Radio. Es ist überhaupt nichts zu sehen von der Gewalt, den Toten und der Trauer um sie. Nur Amins schrecklichster Schlächter, Isaac Maliyamungu, der sich damit brüstete, seine Opfer auszuweiden, ist auf einem der Bilder als Trauernder zu sehen, nachdem eines seiner Kinder gestorben war. Und die standrechtliche Erschießung eines Sergeants, inklusive Arzt, der mit seinem Stethoskop den Tod des Mannes feststellte. Peterson und Vokes vermuten, dass diese ordnungsgemäße Erschießung ein Gegenbild abgeben sollte zu all dem sonstigen, völlig unkontrollierten Morden und Foltern, das bereits 1972 eingesetzt hatte.

Und es gibt Bilder von Prozessen gegen vermeintliche Schmuggler und Wirtschaftskriminelle, Menschen, die in großer Not Lebensmittel gestohlen hatten. Es sind jeweils die letzten Aufnahmen, die von diesen Menschen existieren, allein im Gerichtssaal, einige stolz, andere weinend, alle ahnend, dass sie vermutlich sterben werden.

Der Band schließt mit Bildern der Folterkeller, aufgenommen ein Jahr nach dem Sturz des Regimes, menschenleere dunkle Zellen voller Flecken. Idi Amin, der 1979 abgesetzt wurde, starb unbehelligt im saudi-arabischen Exil, seine Tochter fährt heute durch Kampala mit einem Bildnis ihres Vaters, darunter der Satz: "You will praise me when I'm gone." Das ist die Hoffnung aller Bild-Propaganda: Ihr werdet mich preisen, wenn ich nicht mehr da bin.

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