Fall gelöst: Identitätsklau im Buchmarkt:Bücherdieb ertappt

Fall gelöst: Identitätsklau im Buchmarkt: New York City ist so etwas wie das Zentrum der amerikanischen Publishing Industry - und damit der Buchbranche weltweit.

New York City ist so etwas wie das Zentrum der amerikanischen Publishing Industry - und damit der Buchbranche weltweit.

(Foto: mauritius images / Alamy / FredP)

Jahrelang hielt ein Unbekannter die amerikanische Verlagswelt in Atem, der mit geklauten Identitäten unveröffentlichte Manuskripte erschlich. Jetzt ist der Mann gefasst, aber seine Motive bleiben rätselhaft.

Von Philipp Bovermann

Die Welt der Verlage und Literaturagenten ist klein. Man kennt und vertraut sich. Dieses Vertrauen ist in den vergangenen Jahren erodiert, weil besonders in der amerikanischen Buchbranche und unter ihren internationalen Geschäftspartnern ein Gespenst umging.

Ein geheimnisvoller Akteur schickte E-Mails an Leute, von denen er wusste, dass sie Zugang zu unveröffentlichten Büchern haben. Dabei gab er sich jeweils als eine bekannte Person aus, mit der man an der Veröffentlichung und dem Verkauf frischer Stoffe hätte arbeiten können. Die Schriftart, die Signatur, die branchenüblichen Abkürzungen, alles stimmte in den gefälschten E-Mails. Man musste schon sehr genau hingucken, um zu bemerken, dass ein Absender beispielsweise auf @penguinrandornhouse.com statt auf @penguinrandomhouse.com endete. Diesen Identitätsklau beging er zu einem Zweck: um gezielt nach bestimmten Manuskript zu fragen.

Hunderte Menschen erhielten von 2016 an solche Emails, sandten Manuskripte und hörten nie wieder davon. So steht es nun in einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft des Southern District von New York - denn das Gespenst ist offenbar gefasst: Die Behörde beschuldigt den Italiener Filippo Bernardini, hinter den Attacken zu stecken. Er soll laut seinem LinkedIn-Profil für die Londoner Niederlassung des amerikanischen Großverlags Simon & Schuster gearbeitet haben. Ein Kollege also, wie vielfach vermutet worden war, weil er sich gut ausgekannt haben musste im Geschäft. Die zentrale Frage aber klärt die Anklageschrift nicht auf - nämlich was er mit all den Manuskripten wollte, und was er damit gemacht hat. Was das alles sollte, dieser Hackerangriff auf eine ganze Branche.

Das Gerücht ging um, es handle sich um kriminelle Hacker in der Ausbildung

Um Geld ging es offenbar nicht. Gestohlene Manuskripte können, je nach den erwarteten Ergebnissen der Auktionen um Vorschüsse und Honorare, zwischen einigen tausend und mehreren Millionen Euro wert sein. Existenzen können daran hängen, weil viele in der Branche auf eigene Rechnung arbeiten und das finanzielle Risiko von Buch-Deals zunächst persönlich tragen. Der Angreifer bekam auch Titel in die Hände, für die die bestohlenen Verlage wohl einiges gezahlt hätten, um ihre Exklusivität zu sichern; ein Margaret-Atwood-Manuskript etwa soll, neben denen zahlreicher Autoren aus der zweiten und dritten Reihe, darunter sein. Aber es kamen nie Lösegeldforderungen. Die Manuskripte erschienen auch nicht im Internet, wie es etwa 2014 mit dem Drehbuch von Quentin Tarantinos "The Hateful Eight" passiert ist. Sie waren einfach weg.

Die wildesten Spekulationen blühten deshalb über die Jahre. "Wir dachten, es seien die Russen", sagte eine schwedische Verlagsmitarbeiterin dem New York Magazin, "aber wir sind die Verlagsindustrie. Es ist nicht so, dass wir hier Gold schürfen oder Impfstoffe herstellen." Zwar deuteten die Kenntnisse von Beziehungen und Abläufen in der Branche darauf hin, dass der Täter aus dem eigenen Kreis stammte, andererseits blieben bei den Angriffen zunächst keine verwertbaren elektronischen Spuren zurück. Das Gerücht ging um, es handle sich möglicherweise um kriminelle Hacker in der Ausbildung, die sich die Branche als leicht zu knackendes Trainingsziel herausgesucht hatten.

Bernardini setzte laut der Anklageschrift auch mindestens eine sogenannte Phishing-Seite auf, die der einer New Yorker Literatur-Scouting-Agentur zum Verwechseln ähnlich sah, um die Anmeldeinformationen von deren Mitarbeitern abzugreifen. So soll er Zugang zu einer Datenbank voller Notizen über geplante Titel erhalten haben. In dieser speziellen Sparte der Literaturbranche, der Welt der Literaturscouts, vermuteten viele den Angreifer. Scouts bemühen sich, Informationen über unveröffentlichte Bücher zu bekommen, damit ausländische Verlage und Filmstudios sich frühzeitig um die Rechte bemühen können. Sie sind, wenn man so will, die Spione der Literaturwelt. Die Angriffe befeuerten die Fantasie über diesen Berufsstand - und waren deshalb für die vielen unabhängig arbeitenden Scouts besonders bedrohlich.

Die Branche hat Bernardini verändert: man wusste lange Zeit nie, wer mitliest

Welchen Vorteil aber sollte Bernardini, ein niederer Angestellter eines großen Verlags im Rechtevertrieb, für sich daraus gezogen haben, an all diese unveröffentlichten literarischen Texte zu kommen? Der stellvertretende Direktor des New Yorker FBI-Büros Michael Driscoll scheint in ihm eine traurige Gestalt, einen gescheiterten Schriftsteller zu sehen: "Herr Bernardini soll die Ideen anderer Leute gestohlen haben, aber er war nicht kreativ genug, damit durchzukommen", sagt er. Ähnlich munter klingt der Fall aus dem Mund des US-Staatsanwaltes Damian Williams, der die Aufdeckung des Falles einen "plot twist" nennt.

Die Branche indes hat Bernardini verändert. Geheimhaltungsverträge werden seither auch bei kleineren Titeln geschlossen, Kontakte wurden abgebrochen, Kooperationen beendet. Schließlich wusste man nie, ob der Angreifer mitliest, vielleicht gar mit am Tisch sitzt. Ob Bernardini im Auftrag von jemandem arbeitete, was mit den Manuskripten passiert ist, bleibt ungeklärt. Am Freitag kam er gegen eine Kaution von 300 000 US-Dollar frei.

Zur SZ-Startseite

Richard Ovenden: "Bedrohte Bücher"
:Fette Beute

Der Historiker Richard Ovenden zeigt in "Bedrohte Bücher", welche zerstörerischen Mächte sich gegen Bibliotheken richten. Eine unangenehme Wahrheit über die Bewahrer des Wissens schätzt er dabei zu gering.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: