"Ich und Kaminski" im Kino:Die Qualen haben sich gelohnt

Seitdem allerdings, und das ist immerhin zwölf Jahre her, hat der heute 61-Jährige keinen einzigen Spielfilm gedreht, abgesehen von einem Beitrag für den Episodenfilm "Deutschland '09". Schuld an dieser überlangen Zwangspause war nicht zuletzt der komplizierte Finanzierungsprozess für "Ich und Kaminski", der sich über Jahre zog, weil Finanziers ob dieser beiden kruden Hauptfiguren kalte Füße bekamen.

Die Qualen der Vorproduktion haben sich aber gelohnt: Die Verfilmung von "Ich und Kaminski" ist ein melancholisches und lustiges Schelmenstück über Kunst, Liebe und deren Verwechslung mit Selbstverliebtheit geworden, das mindestens genauso gut funktioniert wie die Romanvorlage.

Nach einem sehr unterhaltsamen Einstands-Tohuwabohu, in dem der Journalist Zöllner im zerknitterten Anzug schlecht gelaunt und Kette rauchend durchs Schweizer Bergidyll stapft, stehen er und der Maler Kaminski vor einem Problem.

Beide sind knallvoll mit Verachtung für den jeweils anderen, haben aber das Gefühl, dass sie einander nützlich sein könnten. Also handeln sie einen Pakt aus, durch den der Film von einer Alpengroteske hin zum Roadmovie expandieren kann. Zöllner hat Kaminskis große Jugendliebe ausfindig gemacht, die, wie das bei Jugendlieben so üblich ist, bis heute alle anderen Frauen in seinem Leben überstrahlt.

Er willigt ein, den renitenten Maler zu ihr zu bringen, nach Belgien ans Meer. Dafür tut Kaminski so, als würde er nicht merken, dass der Journalist ihm Gemälde aus dem Keller klaut, und lässt die Möglichkeit einer biografischen Zusammenarbeit zumindest offen.

Verzicht auf die Katharsis

Dem Schreiber, der kürzlich von seiner Freundin vor die Tür gesetzt wurde und deshalb ohnehin gezwungen ist, in egozentrischer Obdachlosigkeit zu existieren, reicht das als Zugeständnis. Was dann passiert, ist wirklich ganz herrlich, weil Becker nicht nur die Nummer mit den beiden grundunsympathischen Helden eisern durchzieht, sondern weil er auch stoisch auf deren Katharsis verzichtet.

Auf jenen dramaturgischen Kniff also, der gerade in Roadmovies das vielfach missbrauchte Schmiermittel fürs Happy End ist. Becker, dessen Komödie "Good Bye, Lenin!" schon eine bittersüße Melancholie durchwehte, die nur sehr wenige Regisseure so zärtlich und lebensschlau inszenieren können, entscheidet sich lieber für emotionale Ratlosigkeit.

Das Problem seiner beiden Jungs ist, dass sich hinter ihrem Weißweinschorlen-Vernissage-Weltekel zwei zutiefst romantisch veranlagte Geister verbergen, die ihre Ego-Show vor allem zum Selbstschutz brauchen.

Erotische Schockstarre

Und beide fallen ordentlich auf die Schnauze. Kaminski wegen seiner alten Liebe, die in einer wunderbaren Gastrolle von Geraldine Chaplin gespielt wird und die ihn beim Wiedersehen nach all den Jahrzehnten in eine erotische Schockstarre versetzt. Denn natürlich hat diese Frau mit dem Mädchen von einst und dem Zauber, mit dem sie ihn verhext hat, nichts mehr zu tun.

Und Journalist Zöllner bekommt als Lehre aus diesem bizarren Trip lediglich geboten, dass es leider nicht immer eine Lehre gibt. Sondern nur die Möglichkeit, ab und an etwas von all dem egozentrischen, melancholischen Erinnerungsmüll aus dem Kopf zu räumen, der sich dort stapelt.

Ich und Kaminski, Deutschland 2015 - Regie: Wolfgang Becker. Buch: Thomas Wendrich, Wolfgang Becker, nach dem Roman von Daniel Kehlmann. Kamera: Jürgen Jürges. Mit: Daniel Brühl, Jesper Christensen, Geraldine Chaplin. X Filme, 123 Minuten.

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