"Ich und Kaminski" im Kino:Schlecht gelaunt im Morgenrock

Lesezeit: 4 Min.

Wolfgang Becker drehte den Kultfilm "Good Bye, Lenin" - dann brauchte er zwölf Jahre für sein nächstes Werk. Doch das Warten hat sich gelohnt: "Ich und Kaminski" ist ein herrliches Schelmenstück geworden.

Von David Steinitz

Von all den irren, größenwahnsinnigen und selbstverliebten Filmfieslingen, die das Kino so bevölkern, setzt dieser Film einer bislang sträflich vernachlässigten Spezies Bösewicht ein wunderbares Denkmal: dem zynischen Kulturjournalisten Anfang dreißig.

Gespielt wird dieses Musterexemplar seiner Zunft in der Tragikomödie "Ich und Kaminski" von Daniel Brühl, und das in absoluter Bestform: Er legt den Kunstjournalisten Sebastian Zöllner, der weder Kunst noch Journalismus mag, als fiese Karikatur all der Medien-Jungmenschen an, die in sanfter Selbstüberschätzung die Karriere dem Ego anpassen wollen, anstatt umgekehrt.

Zöllner drängt sich jedem auf und macht sich nicht mal mehr die Mühe, wenigstens so zu tun, als würde er den Mädchen nicht in den Ausschnitt glotzen. Mit seiner Kettenraucherei beschleunigt er sein eigenes Aussterben schneller, als es die diffizile Situation des Printjournalismus jemals könnte.

"Ich und Kaminski" basiert auf einem klugen, kleinen und gemeinen Roman des Schriftstellers Daniel Kehlmann, erschienen 2003. Darin erzählt er die Geschichte dieses Sebastian Zöllner, der endlich zu Ruhm kommen und den verblödeten Spießern in seiner Zeitung eine Festanstellung abringen will. Dazu möchte er eine Biografie des blinden Malers Manuel Kaminski schreiben, von deren Bestseller-Potenzial er fest überzeugt ist.

Kaminski (Jesper Christensen), Schüler von Matisse, Freund von Picasso und einer der letzten lebenden Vertreter der Klassischen Moderne, wurde durch ein Missverständnis berühmt: In den Sechzigern landete sein Werk "Painted by a Blind Man" in einer New Yorker Pop-Art-Ausstellung, wo es wirklich überhaupt nichts zu suchen hatte. Aber: Warhol hatte seine Finger im Spiel, Publikum und Presse waren begeistert - ein blinder Maler!

Zwei Irre im Mittelpunkt des Geschehens

Nur hat Kaminski für Pop Art so viel übrig wie Sebastian Zöllner für Journalismus - und ob er wirklich blind ist, weiß auch kein Mensch so genau. Jetzt ist er Mitte achtzig und hat sich in ein kleines Chalet in den Schweizer Alpen verkrochen, wo er im roten Morgenrock mit seinem klug kalkulierten Blindentheater jeden terrorisiert, der ihm zwischen die tastenden Finger gerät. "Ich und Kaminski" hat also, da müssen wir nicht drum herum reden, zwei absolute Riesenarschnasen als Protagonisten.

Was sich in Romanform dem Leser noch halbwegs verkaufen lässt, gilt im Kino seit jeher als Sakrileg: kein eherner Held, mit dem der Zuschauer sich identifizieren kann? Schwierig. Aber gleich zwei Irre im Mittelpunkt des Geschehens? Unmöglich!

Vor allem, wenn man Produzenten und Redakteure überzeugen muss, denen das klassische dramaturgische Prinzip der Heldenreise in Filmhochschulseminaren so lang ins Hirn geprügelt wurde, bis für freies Denken und emotionale Anarchie leider kein Platz mehr übrig war.

Diese Erfahrung musste sehr leidvoll der Regisseur Wolfgang Becker machen. 2003 kam sein Überhit "Good Bye, Lenin!" in die Kinos, durch den Daniel Brühl und er zu den neuen Superstars des deutschen Kinos ausgerufen wurden.

Seitdem allerdings, und das ist immerhin zwölf Jahre her, hat der heute 61-Jährige keinen einzigen Spielfilm gedreht, abgesehen von einem Beitrag für den Episodenfilm "Deutschland '09". Schuld an dieser überlangen Zwangspause war nicht zuletzt der komplizierte Finanzierungsprozess für "Ich und Kaminski", der sich über Jahre zog, weil Finanziers ob dieser beiden kruden Hauptfiguren kalte Füße bekamen.

Die Qualen der Vorproduktion haben sich aber gelohnt: Die Verfilmung von "Ich und Kaminski" ist ein melancholisches und lustiges Schelmenstück über Kunst, Liebe und deren Verwechslung mit Selbstverliebtheit geworden, das mindestens genauso gut funktioniert wie die Romanvorlage.

Nach einem sehr unterhaltsamen Einstands-Tohuwabohu, in dem der Journalist Zöllner im zerknitterten Anzug schlecht gelaunt und Kette rauchend durchs Schweizer Bergidyll stapft, stehen er und der Maler Kaminski vor einem Problem.

Beide sind knallvoll mit Verachtung für den jeweils anderen, haben aber das Gefühl, dass sie einander nützlich sein könnten. Also handeln sie einen Pakt aus, durch den der Film von einer Alpengroteske hin zum Roadmovie expandieren kann. Zöllner hat Kaminskis große Jugendliebe ausfindig gemacht, die, wie das bei Jugendlieben so üblich ist, bis heute alle anderen Frauen in seinem Leben überstrahlt.

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Er willigt ein, den renitenten Maler zu ihr zu bringen, nach Belgien ans Meer. Dafür tut Kaminski so, als würde er nicht merken, dass der Journalist ihm Gemälde aus dem Keller klaut, und lässt die Möglichkeit einer biografischen Zusammenarbeit zumindest offen.

Verzicht auf die Katharsis

Dem Schreiber, der kürzlich von seiner Freundin vor die Tür gesetzt wurde und deshalb ohnehin gezwungen ist, in egozentrischer Obdachlosigkeit zu existieren, reicht das als Zugeständnis. Was dann passiert, ist wirklich ganz herrlich, weil Becker nicht nur die Nummer mit den beiden grundunsympathischen Helden eisern durchzieht, sondern weil er auch stoisch auf deren Katharsis verzichtet.

Auf jenen dramaturgischen Kniff also, der gerade in Roadmovies das vielfach missbrauchte Schmiermittel fürs Happy End ist. Becker, dessen Komödie "Good Bye, Lenin!" schon eine bittersüße Melancholie durchwehte, die nur sehr wenige Regisseure so zärtlich und lebensschlau inszenieren können, entscheidet sich lieber für emotionale Ratlosigkeit.

Das Problem seiner beiden Jungs ist, dass sich hinter ihrem Weißweinschorlen-Vernissage-Weltekel zwei zutiefst romantisch veranlagte Geister verbergen, die ihre Ego-Show vor allem zum Selbstschutz brauchen.

Erotische Schockstarre

Und beide fallen ordentlich auf die Schnauze. Kaminski wegen seiner alten Liebe, die in einer wunderbaren Gastrolle von Geraldine Chaplin gespielt wird und die ihn beim Wiedersehen nach all den Jahrzehnten in eine erotische Schockstarre versetzt. Denn natürlich hat diese Frau mit dem Mädchen von einst und dem Zauber, mit dem sie ihn verhext hat, nichts mehr zu tun.

Und Journalist Zöllner bekommt als Lehre aus diesem bizarren Trip lediglich geboten, dass es leider nicht immer eine Lehre gibt. Sondern nur die Möglichkeit, ab und an etwas von all dem egozentrischen, melancholischen Erinnerungsmüll aus dem Kopf zu räumen, der sich dort stapelt.

Ich und Kaminski , Deutschland 2015 - Regie: Wolfgang Becker. Buch: Thomas Wendrich, Wolfgang Becker, nach dem Roman von Daniel Kehlmann. Kamera: Jürgen Jürges. Mit: Daniel Brühl, Jesper Christensen, Geraldine Chaplin. X Filme, 123 Minuten.

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© SZ vom 16.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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