Internationaler Ibsen-Preis 2022:"Aufregend und verstörend"

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Der hoch dotierte Ibsen-Preis geht an das australische Back to Back Theatre, ein weltweit gefeiertes inklusives Ensemble.

Von Christine Dössel

Der Internationale Ibsen-Preis ist so etwas wie der Nobelpreis des Theaters, vergeben alle zwei Jahre vom norwegischen Staat und dotiert mit 2,5 Millionen Kronen, umgerechnet knapp 260 000 Euro. In diesem Jahr wird das australische Back to Back Theatre damit ausgezeichnet. Die inklusive Theaterkompanie ist in Geelong in der Nähe von Melbourne beheimatet, tourt mit ihren innovativen, humanistischen, hochgelobten Produktionen weltweit und zeigt sie bei den wichtigsten Theaterfestivals. Dass der 2007 ins Leben gerufene Ibsen-Preis nicht euro-zentriert ist, zeigte sich schon bei der letzten Vergabe 2020, als der US-amerikanische Dramatiker und Performancekünstler Taylor Mac damit geehrt wurde. Die Preisträger zuvor waren berühmte europäische Regie-, Musiktheater- und Autorenpersönlichkeiten: Peter Brook, Ariane Mnouchkine, Jon Fosse, Heiner Goebbels, Peter Handke, Christoph Marthaler und die britische Theatergruppe Forced Entertainment - ja, tatsächlich ist darunter nur eine einzige Frau.

Das 1987 gegründete Back to Back Theatre (BtBT) ist ein neurodiverses Ensemble unter der künstlerischen Leitung von Bruce Gladwin. Es setzt sich hauptsächlich aus Menschen zusammen, die, wie sie es selber formulieren, "als behindert wahrgenommen werden". In der Jury-Begründung für den Ibsen-Preis heißt es, die Arbeit des Kollektivs "ist aufregend, verstörend und regt zum Nachdenken an". Das BtBT gebe sozialen und politischen Anliegen eine Stimme. Es inspiriere uns, "bessere Künstler und bessere Menschen zu sein".

Zu den gefeierten Produktionen des BtBT gehört seit vielen Jahren die Live-Art-Performance "Small Metal Objects", in der sich die Schauspieler im öffentlichen Raum unter Passanten mischen, während die Zuschauer die Szenerie mit Kopfhörern verfolgen. Dabei verwischt die Grenze zwischen Realität und Theatralität, und die Wahrnehmung gerät auf den Prüfstand. Oder "Ganesh Versus the Third Reich": Darin reist der elefantenköpfige Hindu-Gott Ganesh nach Nazi-Deutschland, um sich dort die Swastika, das von den Nazis zweckentfremdete Hakenkreuz, zurückzuholen. Gleichzeitig erzählen die Schauspieler auch das Making-of dieser Geschichte und thematisieren sich darin selbst mit ihrer Behinderung.

Der Ibsen-Preis wird im September im Nationaltheater Oslo verliehen.

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