Neu auf Amazon Prime: "I'm Your Woman":Odyssee einer grotesk passiven Frau

Lesezeit: 3 min

Fliehen ist nicht ihr Ding, schießen kann sie auch nicht, und doch ist sie die Heldin eines Gangsterfilms: Rachel Brosnahan in "I'm Your Woman", mit Frankie Faison. (Foto: Amazon Prime/Amazon Prime)

Julia Harts "I'm Your Woman" ist ein kluger Gangsterfilm, der einmal nicht Gewalt und Testosteron folgt. Das führt in ganz neue Gebiete.

Von Annett Scheffel

Erst mal wirkt alles ganz vertraut. Ein Krimi-Drama, angesiedelt in den Siebzigerjahren, gedreht im Stil von Klassikern dieser Zeit. Dazu das gewöhnliche Repertoire aus Schießereien, Verstecken, Geldtaschen und viel Polyester. Auch die Handlung kennen wir so oder so ähnlich schon: Irgendein Berufsverbrecher hat wieder Mist gebaut, weswegen finstere Typen hinter ihm her sind und - um den Einsatz zu erhöhen - auch Ehefrau und Sohn bedrohen.

Dass "I'm Your Woman" ein so kluger Genrefilm geworden ist, liegt an einer ungewöhnlichen Entscheidung der Filmemacherin Julia Hart: Die Kamera folgt nicht den Männern, die die dramatischen Geschehnisse in Gang setzen und das gewalttätige Umfeld prägen, sondern der unbeteiligten Ehefrau. Hart hat das Drehbuch für den Film gemeinsam mit dem Produzenten Jordan Horowitz ("La La Land") geschrieben. Dabei habe sie die Frage umgetrieben, was aus Diane Keatons Figur in "Der Pate" geworden wäre, oder aus der von Tuesday Weld in Michael Manns "Der Einzelgänger"- spannende, komplexe Frauencharaktere, die aber eben nicht im Zentrum stehen.

Für einen Gangsterfilm ist die von Rachel Brosnahan gespielte Jean eine ganz und gar ungewöhnliche Hauptfigur. Blass und zögerlich ist sie, kann weder mit einer Waffe umgehen noch mit ein bisschen Adrenalin. Als wir sie das erste Mal sehen, im Garten ihres Vorstadthauses, rauchend und in einen hauchdünnen Hausmantel gehüllt, wirkt sie fast gewichtlos, ein kristallines Wesen, das sofort zerbricht, wenn man es seinem Hausfrauen-Habitat aus Wohlstand und Ennui herausholt. Auf jeden Fall ist Jean alles andere als geschaffen für ein Leben auf der Flucht, sogar fürs Eierbraten ist sie zu ungeschickt. Und mit Baby Harry meistens überfordert.

Das ruhige Vorstadtleben findet ein jähes Ende, als eines Nachts Cal vor der Tür steht, der sich als Kollege ihres Ehemanns Eddie vorstellt und sie auffordert, ihre Sachen zu packen und mit ihm unterzutauchen. Jean fügt sich genauso, wie sie sich in ihr bisheriges Leben gefügt hat, in dem Eddie alles bestimmt hat - von ihren Dessous bis zur Wahl des Nachwuchses. Tatsächlich beginnt "I'm Your Woman" damit, dass Eddie mit einer Überraschung nach Hause kommt: Nach vergeblichen Versuchen, ein eigenes Kind zu bekommen, hat er ihr einfach eines besorgt. Woher, das will er nicht sagen, aber das Baby gehöre jetzt ihr, sie könne auch den Namen aussuchen, hier, bitteschön.

Jean ist perplex, wagt aber keinerlei Widerspruch gegen das Geschenk und seine absurden Umstände. Wie benommen steht sie in der sonnendurchfluteten, khaki-braun tapezierten Küche und nimmt das Kind entgegen. Nach dieser kurzen Begegnung weiß man alles über die groteske Passivität der Hauptfigur, was man wissen muss. Julia Hart ist eine Meisterin solcher Szenen, die nie übertrieben oder lang gezogen werden und mit erstaunlich wenig Dialog funktionieren. Aber auch Rachel Brosnahan ist sehr überzeugend in dieser Rolle, die ihrer bisher berühmtesten - als unbeirrbare Serientitelheldin Mrs. Maisel - diametral entgegengesetzt ist.

Der Film ist dann natürlich auch eine Emanzipationsgeschichte. Aber Julia Hart lässt sich sehr viel Zeit, um mit eleganten Bildern und präzisen Beobachtungen von der Entwicklung dieser unselbständigen Frau hin zum handelnden Wesen zu erzählen. Der Regisseurin ist damit eine scharfsinnige Kreuzung aus Thriller und sensibler Charakterstudie gelungen. Jean wird aus ihrer Wattewelt hinaus in ein Leben geworfen, in dem sie sich erst ganz am Ende des zweistündigen Films allmählich zurechtfindet.

Zwischendurch wird sie hadern und vor Angst zittern, wird von Motel zu Motel fliehen, in ein leeres Reihenhaus und schließlich in eine Waldhütte, sie wird anfangen Fragen zu stellen. Ein paar Antworten bekommen, aber nie recht erfahren, was eigentlich passiert oder wer genau hinter ihr her ist - genauso wenig wie die Zuschauer. Die Hintergrundgeschichte bleibt vage. Das Einzige, was man weiß: Es könnte jederzeit irgendwas passieren. Diese Spannung hält Julia Hart bis zum Schluss.

All die großen Themenfelder, die hier mitschwingen, werden nur in Nuancen und kleinen Momenten miterzählt. Die Bedeutung der Siebzigerjahre für die Realität von Frauen zum Beispiel: das Jahrzehnt der flammenden feministischen Debatten, in dem in den USA aber erst das Recht auf ein eigenes Bankkonto erstritten werden musste. Oder die rassistischen Konflikte, die sich in der Figur des Fluchthelfers Cal spiegeln.

Julia Hart macht weder den Fehler, diese Themen für eine moderne Feminismus- oder Bürgerrechtsparabel groß herauszukehren, noch ignoriert sie sie. Geschlecht und Hautfarbe beeinflussen die Dynamik zwischen den Figuren. Die Spannungen werden aber knapp unter der Oberfläche gehalten. "I'm Your Woman" genügt sich selbst und erzählt die Geschichte einer Frau, die langsam lernt, auf eigenen Beinen zu stehen, wackelig zwar, aber aufrecht. An Eddie denkt da schon lange keiner mehr.

USA 2020 - Regie: Julia Hart. Buch: Julia Hart, Jordan Horowitz. Kamera: Bryce Fortner. Schnitt: Tracey Wadmore-Smith, Shayar Bhansali. Mit: Rachel Brosnahan, Arinzé Kene, Marsha Stephanie Blake, Frankie Faison, Bill Heck, Marceline Hugot. Mehr Credits auf imdb . Auf Amazon Prime, 120 Min.

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