"Hyde Park am Hudson" im Kino:Freiluftpolitik unter blauem Himmel

Bill Murray in "Hyde Park am Hudson", Kino

Bill Murray als Präsident Franklin D. Roosevelt in "Hyde Park am Hudson".

(Foto: dpa)

Er kann kaum stehen und wenig gehen, doch er ist ein Charmeur und hat politisch, menschlich, sexuell alles im Griff. Nach "Lincoln" kommt ein zweiter Präsidentenfilm ins Kino: Bill Murray gibt in "Hyde Park am Hudson" Franklin D. Roosevelt, den fröhlichen Vater des New Deal.

Von Fritz Göttler

Als Charmeur kommt er daher, als Schwerenöter, Franklin Delano Roosevelt, der 32. Präsident der USA, verkörpert von Bill Murray. Frauen sind um ihn, die harsche, ein wenig virile Ehefrau Eleanor, die Sekretärin, auch die Mutter. Eines Tages gegen Ende der dreißiger Jahre lässt er Daisy holen, seine Cousine welchen Grades auch immer, nach Hyde Park am Hudson, seine Sommerresidenz, sie soll ihm die Tage dort verschönern, womit auch immer. Erst mal zeigt er ihr seine Briefmarkensammlung, das geht immer, erklärt er, wenn man mit einer Frau anfängt.

Manchmal sitzen sie nur beisammen, gern nimmt er sie im offenen Wagen mit, er ist speziell für Handbetrieb umgebaut - der Präsident leidet an den Folgen von Polio, kann kaum stehen und wenig gehen. Aber er hat - politisch, menschlich, sexuell - alles im Griff. Mit Daisy (Laura Linney) geht es durch Felder und Wiesen, dann ein lässiger Wink mit der linken Hand, und der Begleitschutzwagen biegt ab. Sanft legt ihm Daisy die Hand auf den Oberschenkel, und wahrscheinlich wird sie sie noch ein wenig weiterschieben. Im Wald wartet ein kleines Haus, Top Cottage.

"Hyde Park am Hudson" von Roger Michell, Drehbuch Richard Nelson, ist der zweite Präsidentenfilm, der dieser Tage in unseren Kinos läuft, und natürlich sieht man ihn unwillkürlich als ein Gegenstück zu Spielbergs strengem, ein wenig oberlehrerhaftem "Lincoln". Später im Sommer wird es zwei weitere Präsidentenfilme geben, Actionthriller, mit fiktiven Präsidenten und sensationellen Manövern, "Olympus Has Fallen" von Antoine Fuqua - Präsident Aaron Eckhart, von Terroristen im Weißen Haus gefangen, gerettet von Gerard Butler - und "White House Down" von Roland Emmerich - Präsident Jamie Foxx, gerettet von Geheimdienstler Channing Tatum. Präsidenten sind alles andere als tabu im amerikanischen Kino, im Gegensatz zu Europa - die Würde des Amtes, die da gern angeführt wird, soll aber nur kaschieren, wie langweilig Politiker hier sind, bürokratisch und duckmäuserisch, und wenn sie mal auf den Putz hauen, dann so dummdreist wie Berlusconi.

Fast kapriziös

In Hollywood scheut man sich nicht, die Präsidenten hart anzugehen - das Land ist pragmatisch ausgerichtet, hat ein gesundes Misstrauen gegen Führerpersönlichkeiten und Ikonen. Man weiß sehr wohl um die Repräsentativität seiner Repräsentanten. Lincoln führt die Topliste der Kinopräsidenten an - Lincoln spielen, erinnerte sich Henry Fonda, der 1939 "Young Mr. Lincoln" verkörperte, das war Gott spielen -, er bringt es auf überwältigende 130 Filme, Roosevelt ist eher solides Mittelmaß, mit 28, nach den modernen Präsidenten Kennedy, Nixon und Bush. Große Akteure haben Präsidenten verkörpert, oft auch fiktive, Jeff Bridges oder John Travolta, Harrison Ford hat einen in "Air Force One" zum glorreichen Actionkämpfer gemacht, Lincoln tauchte unlängst als Vampirjäger auf. Einige der Filmpräsidenten sind lächerlich und unsympathisch, Jack Nicholson oder Gene Hackman, und auch eine gewisse Schamlosigkeit ist gar nicht selten, wie bei Bill Murray.

"Hyde Park" stellt manchmal akkurat klassische Fotografien nach, aber natürlich hat Bill Murray nur sehr bedingt Ähnlichkeit mit dem kantigen Roosevelt - was dem Film eine angenehme Lässigkeit verleiht. Murray spielt den Mann, der kraftvoll den New Deal durchsetzte und an Amerikas weltpolitischem Engagement festhielt, mit Zwicker und Zigarettenspitze, fast kapriziös. Vom ersten Coup gegen den Isolationismus, der sich im ganzen Land breit machte, erzählt der Film - als im Juni 1939 das britische Königspaar Amerika besuchte, das sich bereits von den Eroberungsplänen der Nazis bedroht sah - jener König George VI., den seit "The King's Speech" die ganze Welt kennt. Er muss, ein wenig zögerlich, aber gar nicht indigniert, auf der Party in einen amerikanischen Hot Dog beißen und kann danach der amerikanischen Solidarität versichert sein.

Roosevelt und Lincoln, die zwei Ikonen der amerikanischen Geschichte. Es ist nicht ausgemacht, dass man sich in einen Präsidenten so intensiv hineinarbeiten muss, wie Daniel Day-Lewis es getan hat - und wofür er natürlich mit einem Oscar belohnt wurde. Er wunderte sich, wie dunkel im Grunde das Weiße Haus war, hat Tony Kushner, Drehbuchautor von "Lincoln" gesagt, Steven Spielberg habe ein richtiges Phantomhaus daraus gemacht. Das Sommerhaus am Hudson ist dagegen sonnig hell, Freiluftpolitik unter blauem Himmel, mit einem Großpicknick wie bei Renoir.

Obama ähnelt mehr dem knittrigen Lincoln

Politikfilme in Hollywood sind meistens Theaterfilme, im Spiel zwischen Mystifizierung und Demystifizierung. Kino, so könnte man einen bekannten Satz abwandeln, das ist, dem Mythos bei der Arbeit zuschauen. Und der Mythos erfasst nicht nur die Politik, sondern zieht weiter in den Celebrity-Bereich, zu Marilyn und Grace Kelly und Hitchcock - im neuen Film "Hitchcock" sieht man ihn seinen genialen Schocker-Coup mit "Psycho" durchziehen, und folgt seinen tricks of the trade mit dem gleichen Vergnügen wie Spielbergs Lincoln oder Murrays Roosevelt.

Bei allem Sinn für die Showeffekte des Amtes, am Ende ähnelt Obama heute mehr dem knittrigen Lincoln als Murrays fröhlichem Roosevelt - der eher auf Clinton verweist. Die müden Augen, die eingefallenen Wangen, die hagere Gestalt, wenn er übers Schlachtfeld von Petersburg reitet, hat das etwas von Don Quijote: Some weariness has bit at my bones, sagt er zu seinem Oberbefehlshaber, General Ulysses S. Grant, Präsident in spe.

Aber dieser Müdigkeit, schrieb David Thomson in seiner Kritik, widerspräche die Lebhaftigkeit, die Hoffnung in den Augen. Ein Lincoln, der sich schon in den Geschichtsbüchern sah. Ein Akteur, der sich sehnt nach einem dritten Oscar. "In den Augen der Lincoln-Photos damals gibt es noch etwas darüber hinaus, eine ruhige Gewissheit, dass der Job ihn umbringt. Man kann die gleichen Augen sehen bei FDR auf Jalta, Anfang 1945." Man hat diesen Roosevelt am Ende seiner Kräfte, am Ende eines brutalen Krieges womöglich im Hinterkopf, wenn man den heiteren Murray in "Hyde Park" sieht.

Fröhliche einverständige Aktion

Die Wirklichkeit der Geschichte ist immer eine andere als die Wirklichkeit des Kinos. In Präsidentenfilmen treffen zwei Performances aufeinander, die der Politiker und die der Akteure, werden ineinander gespiegelt, heben sich gegenseitig auf. Als Akteure sind die Politiker durchtriebene Schmierenkomödianten, als politische Regisseure die reinen Minimalisten - Lincoln in seinem Arbeitszimmer, während im Abgeordnetenhaus über den 13. Zusatz zur Verfassung abgestimmt wird. Er bleibt hinter den Kulissen, das Stück läuft von allein.

Bei Roosevelt fand der Szenenumbau oft bei offenem Vorhang statt, er konnte seiner Krankheit wegen nicht viel gehen, wurde für öffentliche Auftritt von seinen Mitarbeitern auf die vorbereiteten Stühle oder auf den Sitz seines Autos placiert - dann wurde ein Zeichen gegeben und die Reporter hoben die so lange gesenkten Apparate und schossen ihre Fotos. Kein Trauerspiel, eine fröhliche einverständige Aktion.

In John Fords "Young Mr. Lincoln", im Hyde-Park-Jahr 1939 entstanden, gab es eine geschnittene Szene, da ritt Jung Lincoln auf einem Maultier in die Stadt, studierte ein Theaterplakat. "This poor ape", sagte Ford im Gespräch mit Peter Bogdanovich, "hätte er nur das Geld, um Hamlet zu sehen!" Als er dann die Fahnen des Gesprächs las, bat er, die Stelle zu ändern, "he said he didn't much like 'the idea of calling Mr. Lincoln a poor ape'" .

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