Die große Leidenschaft des Kunsthistorikers Horst Bredekamp gilt der Wunderkammer. Sie stellt für ihn nicht nur die Vergangenheit der Institution Museum dar, sondern auch ein Modell für deren interdisziplinäre Zukunft. Das Humboldt-Forum erträumte er sich als ein solches Museum der Zukunft. Und weil die Kunstkammer der preußischen Könige im Schloss untergebracht war, bevor sie als Gründungsgeschenk an die Humboldt-Universität ging, gebe es dafür keinen besseren Ort.
Nun ist das "Humboldt-Labor" fertig, der Raum, in dem die Universität das Thema Wissenschaft behandeln sollte. Dass er der kleinste im Schloss ist, hätte ja passen können zu der Wunderkammer-Idee. In den Dutzenden Vitrinen, die von der Decke hängen, sind denn auch viele wundersame Dinge aus der Sammlung der Universität zu sehen: Fotos "bekannter körperbehinderter Persönlichkeiten", der Blinddarm von Friedrich Ebert und die Porzellan-Äpfel des "Arnoldi'schen Obst-Cabinets". Was ist das eigentlich: Sammeln als wissenschaftliche Praxis, als Lebenspraxis? Was wird gesammelt und was nicht? Wie politisch ist Sammeln? Das wären lohnende Fragen gewesen, gerade hier.
Doch der Kurator Gorch Pieken und Bredekamp wollten mehr. Inspiration war Leibniz' Idee einer "um verschiedene Sammlungen herum organisierten Denkmaschine", eines "Theaters der Natur und Kunst". Die Gestalter bauten Vitrinen, die sich überallhin bewegen lassen und eine 25 Meter breite "Forschungswand", einen interaktiven Mega-Screen. Nur: Die Vitrinen können nicht denken und die Wand nicht forschen. Was sie überwältigend gut kann, ist Videos zeigen: die Nahaufnahme eines brennenden Urwalds, eine Kamerafahrt über das Wurstregal eines amerikanischen Supermarkts, jeweils gefolgt von Wissenschaftlern, die das einordnen. Berliner Wissenschaftlern.
"Nach der Natur" lautet der Titel der Ausstellung. Es geht um den Klimawandel und das Anthropozän. Seltsam ist aber, dass hier auch ein ganz anderes Thema verhandelt wird: die Krise der Demokratie und das Erstarken antiliberaler Gesellschaftsformen. Es dauert etwas, bis man versteht: Beides sind Gegenstände zweier Berliner Exzellenzcluster, also jener besonders üppig geförderten Forschungsprojekte. Junge Wissenschaftler träumen davon, ihnen anzugehören, Rektoren träumen davon, sie an ihren Unis anzusiedeln. Nur: Die allermeisten Besucher werden sich für Ideen, für Erkenntnis interessieren, nicht für irgendwelche Cluster.
Entweder war den Verantwortlichen das nicht bewusst, oder sie fanden, es müsse sich dringend ändern. Deshalb nutzen sie diese 1000 Quadratmeter, auf denen eigentlich Wissenschaft und Forschung selbst zum Thema gemacht werden sollte, als Showcase für die Sammlungen der Humboldt-Universität und ihre Erfolge in der Spitzenforschung. Hier stehen Stapel alter Computer, um für das "Computer Museum of the Center for Applied Statistics and Economics (CASE)" der HU zu werben. Hier kann man durch das Archiv des schillernden Afrika-Forschers Janheinz Jahn blättern, das die Uni 2005 erworben hat. Für sich ist vieles faszinierend, doch was soll es dem Besucher sagen?