Huldigung an Verleger Siegfried Unseld:Vom jungen Hund

Siegfried Unseld, 1999

Siegfried Unseld auf einem Archivbild aus dem Jahr 1999

(Foto: DPA)

Kaufmann, Geistesgröße, Literaturliebhaber, Übervater: Zum 90. Geburtstag widmet der Suhrkamp Verlag Siegfried Unseld ein Erinnerungsbuch, das auch eine überraschende Firmengeschichte erzählt.

Von Lothar Müller

Es ist ein aufschlussreiches Bild, entstanden 1957 im Chiemgau in den Bergen. Der Dichter Rudolf Alexander Schröder, der dort lebte, steht mit Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld auf der Wiese, wohl nah bei seinem Haus. Suhrkamp soll damals Unseld mit den Worten "ein junger Hund" als seinen Nachfolger vorgestellt haben.

Aufschlussreich ist dieses Bild, weil es eine Seite des Suhrkamp Verlags zeigt, die in der öffentlichen Wahrnehmung später in dem Maß in den Schatten geriet, in dem die zurückgekehrten deutsch-jüdischen Emigranten wie Theodor W. Adorno und Ernst Bloch, das "Kursbuch" und die Regenbogenfarben der edition suhrkamp mit ihrer Ausstrahlung in die Studentenbewegung hinein den Horizont des Begriffs "Suhrkamp-Kultur" bestimmten.

Schröder entstammte der alten "Insel"-Welt, nicht der noch jungen Bundesrepublik, war Briefpartner Rudolf Borchardts, politisch wie ästhetisch konservativer Vergil-Übersetzer, und eben deshalb gehört er für Peter Suhrkamp als Komplementärfigur zu Hermann Hesse mit einer Werkausgabe in den Verlag hinein.

Als Funker bei der Kriegsmarine

Siegfried Unseld ist am 28. September 1924 in Ulm geboren und im Oktober 2002 in Frankfurt am Main gestorben. In dem Erinnerungsbuch "Siegfried Unseld. Sein Leben in Texten und Bildern", das ihm sein Verlag jetzt zum 90. Geburtstag widmet, stößt man zu Beginn auf Stadtansichten des mit nationalsozialistischen Flaggen geschmückten und des zerstörten Ulm, und vom Leuchtturm am Cap Chersones auf der Krim fällt der Blick auf das Schwarze Meer, in dem sich der junge Unseld, Funker bei der Kriegsmarine, Anfang Mai 1945, mehrere Stunden lang schwimmend, auf ein Räumungsschiff rettete.

Es folgen nicht nur Fotografien und Texte von und über Unseld, sondern auch amtliche Dokumente zum Studium in Tübingen, zur Berufslaufbahn als Buchhändler und Mitarbeiter bei Mohr und Siebeck in Tübingen, wo 1949 erstmals Adornos "Philosophie der Neuen Musik" erschien, handschriftliche Manuskripte wie das bewegende Testament Peter Suhrkamps, Flugblätter, Briefe, Zeitungssauschnitte, Buchumschläge, der Proustsche Fragebogen, den Unseld 1980 ausfüllte - "Ihr Motto? In magnis voluisse sat (Properz)" -, Typoskripte aus dem Verlagsalltag, Werbematerialien: Unseld kam ebenso sehr aus dem Vertrieb wie aus der deutschen Geisteswelt von Goethe bis Hesse.

Das Zerwürfnis mit dem Sohn

Wie alle bei Suhrkamp in den letzten Jahren erschienenen Briefwechsel Siegfried Unselds mit seinen Autoren, deren Briefwechsel untereinander, die Chroniken der Turbulenzen um 1970, die Reiseberichte des Verlegers ist auch diese Bild-Text-Collage ein Stück Firmengeschichtsschreibung aus der Hausperspektive. Die Herausgeber, Raimund Fellinger und Matthias Reiner, arbeiten seit Jahrzehnten im Suhrkamp Verlag. Wenn sie am Ende juristische Dokumente zur Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung einblenden, ist das auch ein Beitrag zur Selbstbehauptung in den aktuellen Auseinandersetzungen mit dem Minderheitsgesellschafter Hans Barlach.

Und das Zerwürfnis zwischen Siegfried Unseld und seinem Sohn Joachim Unseld, hier aus der Perspektive des Vaters dokumentiert, ist eine private und verlagsgeschichtliche Trennungsgeschichte. Sie handelt vom Scheitern einer dynastischen Nachfolgeregelung. Ihr Nachbarkapitel, hier ausgespart, wäre das der Kronprinzen, die dann doch nicht zum Zuge kamen.

Siegfried Unseld

Im Haus des Verlegers Siegfried Unseld, am 24. April 1983: Rainald Goetz liest vor Verlagsvertretern aus dem in Produktion befindlichen Roman "Irre".

(Foto: Suhrkamp)

Jahre nach Siegfried Unselds Tod ist der Verlag von Frankfurt am Main nach Berlin gezogen, und es klingt wie eine Antwort auf die häufig gestellte Frage, ob das im Sinne Unselds war, wenn die Herausgeber nun auszugsweise einen Brief Siegfried Unselds an Frank Schirrmacher aus dem Frühjahr 2002 zitieren, in dem der Adressat den Umzug des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach Berlin plante: "Was Berlin heute vielleicht noch nicht ist, wird es in Zukunft werden: der entscheidende Mittelpunkt deutscher Kultur in allen Bereichen. Ich kann Ihnen gestehen, daß auch ich mir überlegt habe, ob ich mit dem Suhrkamp Verlag einen Umzug wagen sollte . . ." Das Ende der Überlegung bleibt freilich offen.

Schirrmacher sollte das Vorwort schreiben

Übrigens ist dieses opulente Huldigungsbuch an Siegfried Unseld, das ihn auch als Autor würdigt, ohne ein Vorwort erschienen. Frank Schirrmacher hätte es verfassen sollen, er starb aber im Juni diesen Jahres. Die Leerstelle wurde von den Herausgebern bewusst nicht gefüllt. In diesem Band ist zu lesen, dass Unseld ihm im Jahr 1994 "die Nachfolge als alleinverantwortlicher Verleger und damit auch eine Beteiligung an der Suhrkamp GmbH & Co. KG" angeboten hatte, Schirrmacher es aber im selben Jahr vorzog, in das Herausgebergremium der FAZ einzutreten.

Auf den Fotografien von der Beerdigung Siegfried Unselds am 2. November 2002 auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main sind dann viele noch einmal zu sehen, etwas älter geworden, die schon zuvor in diesem Band begegneten: von Imre Kertész bis zu Durs Grünbein und Rainald Goetz, von Alexander Kluge über Volker Braun und Adolf Muschg bis Hans Magnus Enzensberger, von Amos Oz bis Cees Nooteboom. Oft steht Unseld in diesem Buch am Rednerpult, nimmt als Person des öffentlichen Lebens an Veranstaltungen teil. Zum wichtigsten Bildtypus haben aber die Herausgeber diesen gemacht: der Verleger inmitten der Autoren des Verlags, oder mit einem allein. Nicht alle blieben.

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