Süddeutsche Zeitung

"Huhn mit Pflaumen" im Kino:Zauberhafter Galgenhumor in Teheran

Nach "Persepolis" sind die Erwartungen riesig: Ein neues Meisterwerk voller Aufmüpfigkeit und Subversivität? Doch Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud gehen in "Huhn mit Pflaumen" in eine ganz andere Richtung. Der Film ist ein surreales Melodram, ein wunderbares.

Susan Vahabzadeh

Man muss eines vorwegschieben: Essen ist für einen durchschnittlichen Perser eine große Sache, und wenn einer nicht mal mehr mit seinem Leibgericht aus seiner düsteren Stimmung herauszubringen ist, dann ist er todunglücklich. Nasser Ali Khan (Mathieu Amalric), der traurige Held im neuen Film der "Persepolis"-Schöpferin Marjane Satrapi (wieder in Zusammenarbeit mit Vincent Paronnaud), sieht seit dem Verlust seiner Geige im Leben keinen Sinn mehr.

Erst versucht er, ein vergleichbares Instrument aufzutreiben, als ihm das nicht gelingt, erscheint seine Reaktion ziemlich drastisch - er beschließt zu sterben. Das ist der Ausgangspunkt von "Huhn mit Pflaumen", der Rest ist eine Analyse des Unglücks, eine märchenhaft melancholische Erklärung dafür, warum es Menschen gibt, die eines Tages vom Leben genug haben.

Huhn mit Pflaumen" nimmt uns mit auf eine Reise nach Teheran in der Schah-Zeit, und und der Film sieht aus wie das Kino jener Zeit, die sich Satrapi hier ausmalt - und fühlt sich auch so an: wie ein Douglas-Sirk-Melo auf persisch, mit einem surrealen Touch, geheimnisvollen Antiquitätenhändlern, Todesengeln und ziemlich viel schwarzem Humor. Vielleicht sogar wie eine Sirk-Fassung der "fabelhaften Welt der Amélie", voller kleiner Vignetten und Ideen.

Da gibt es beispielsweise einen kleinen Ausflug in die Zukunft von Nassers Kindern: Die Tochter ist eine rauchende Lebefrau, der Sohn lebt in der amerikanischen Provinz, und die Beobachtung über diese Entwicklungen im Exil, wie die beiden hinter der Kultur verschwinden, in der sie gelandet sind, wären Stoff für einen ganz anderen Film - eher eine Komödie.

Aber Satrapi will das Traurigsein auskosten, sie setzt diverse Schichten zusammen, eine emotionale, eine gesellschaftliche, eine politische, die Hoffnungen der Fünfziger in Iran - ganz anders als in Europa, wo man die Nachkriegszeit eher mit Enge und Biedersinn verknüpft. Marjane Satrapi hat zwar keinen Geiger in der Ahnenreihe - Nasser Ali Khan ist Violinist, ein gefeierter sogar -, aber allzu weit hat sie sich auch diesmal nicht wegbewegt von ihrer Biographie, hat sich aus dem Anekdotenschatz ihrer Familie bedient und Erinnerungen weitergesponnen.

So wird nach und nach das Drama von Nassers Leben aufgerollt, wie er mit großem Erfolg gescheitert ist. Der Bruder hat als der begabtere gegolten, die Mutter hat ihn gegängelt, und Irâne, die große Liebe seines Lebens - gespielt von Golshifteh Farahani, einer der wenigen Iraner(innen) in diesem Film - hat er nicht heiraten können. Darum geht es natürlich eigentlich, um die eine Frau, die er nicht vergessen kann, den Ursprung allen Glücks und allen Übels - wir sind nur vor der Liebe gleich, sagt Marjane Satrapi, auch den Tod kann man mit Geld umgestalten, aber nicht die Liebe.

Nassers Mutter hat ihn dazu gedrängt, dann doch die falsche Frau zu heiraten, Faranguisse (Maria de Medeiros) - und der kann er, vom Leibgericht abgesehen, nicht viel abgewinnen. Sie hat im Streit, aus Eifersucht, seine Geige zerbrochen...

Nasser geht slapstickartig alle gängigen Todesarten durch, befindet alle als eklig oder entwürdigend und beschließt dann, sich in sein Zimmer zurückzuziehen und dort binnen acht Tagen einfach zu sterben. Jeden Tag tauchen wir mit ihm ab in die Vergangenheit, jeden Tag geht es um andere Menschen und um einen anderen emotionalen Fehlschlag.

"Huhn mit Pflaumen" basiert, wie der autobiographische Trickfilm "Persepolis" über ihre Jugend in Iran und im frühen Exil, auf einer von Satrapis Graphic Novels; das Animations-Universum mit seinen geisterhaften Nebelschwaden bahnt sich hier den Weg in den Realfilm. Trotzdem gab es bei der Premiere im Wettbewerb in Venedig im Herbst etwas Enttäuschung - man erwartet von Marjane Satrapi eben erst mal subversive Sprüche und politische Aufmüpfigkeit.

Dabei hatten Satrapi und Paronnaud schon lang bevor sie mit der Arbeit an ihrem zweiten gemeinsamen Film begannen, verkündet, diesmal werde alles ganz anders werden als bei "Persepolis". Und in vielerlei Hinsicht ist das richtig, weil es eben kein Zeichentrickfilm ist, weil es sich um eine ganz andere Epoche Irans handelt, weil hier nicht so offen politisiert wird.

Aber die Art der Erzählung, dieser zauberhafte Galgenhumor, wie Reales und Übersinnliches ineinanderfließen - das haben beide Filme auf jeden Fall gemein. "Huhn mit Pflaumen" ist weniger zielgerichtet, er ist ein Märchengeflecht, entsteht aus ineinander verwobenen Geschichten aus Nassers Leben. Diese labyrinthische Struktur ist aber sicherlich intendiert: Wenn man schon einer Todessehnsucht auf den Grund zu gehen versucht, dann braucht man mit Vereinfachungen gar nicht erst anzufangen.

Und im Übrigen: Letzten Endes ist "Huhn mit Pflaumen" eine Ode an den freien Willen. Nassers Leben kreist um die Frage, wie erbärmlich klein die Belohnung sein darf, für die man sich fügt. Und so unpolitisch ist diese Frage nun wieder nicht.

POULET AUX PRUNES, F 2011 - Regie und Buch : Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud. Kamera: Christophe Beaucarne. Mit: Mathieu Amalric, Maria de Medeiros, Golshifteh Farahani, Chiara Mastroianni, Isabella Rossellini, Jamel Debbouze. Prokino, 93 Minuten.

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SZ vom 05.01.2012/gr
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