Süddeutsche Zeitung

Hugo von Hofmannsthals sämtliche Werke:Ein philologisches Großprojekt

55 Jahre, 40 Bände, 1100 Werke: In Fankfurt wurde die Kritische Ausgabe Sämtlicher Werke Hugo von Hofmannsthals vorgestellt.

Von Christoph Bartmann

Ein Ziegelstein von 1478 Seiten markiert den Abschluss eines der langwierigsten und auch umstrittensten Editionsprojekte der deutschsprachigen Literatur. 55 Jahre nach ihrem Start und 47 Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes findet die Frankfurter "Kritische Ausgabe" sämtlicher Werke Hugo von Hofmannsthals ihr Ende mit Band XXXV, den Reden und Aufsätzen der Jahre 1920 - 1929. Ein Ende, das ein Abschluss ist: Das kann man nicht von jeder Werkausgabe sagen.

Manche Edition scheitert auf offener Strecke, wenn die Finanzierung versiegt, die Verlage das Interesse verlieren oder der editorische Elan beim Wechsel der Herausgeber-Generationen zum Erliegen kommt. Schon deshalb mutet die Fertigstellung der mitunter als philologisches Glasperlenspiel geschmähten Hofmannsthal-Ausgabe historisch an. Immer wieder stand die Edition auf der Kippe, vor allem als 2008, nach 39-jähriger Unterstützung die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihre Förderung einstellte.

So fehlte dann die DFG auch bei der digitalen Feierstunde in Frankfurt am Dienstagabend, obwohl ihr Beitrag zum Gelingen der Ausgabe sicher von zentraler Bedeutung war. Als die DFG absprang, musste sich das Freie Deutsche Hochstift, Veranstalter der Ausgabe, nach neuen Partnern umsehen und fand sie in der S.-Fischer-Stiftung und einer Reihe von institutionellen und privaten Sponsoren. Monika Schoeller, die langjährige, 2019 verstorbene Fischer-Verlegerin, erwies sich dabei als treibende Kraft.

Nicht die schiere Dauer des Projekts sorgte bisweilen für Irritationen

Aber wie hatte es überhaupt angefangen mit Frankfurt und Hofmannsthal? Die Frankfurter Finissage bot in dieser Frage einigen Aufschluss. Hofmannsthal war dem Haus Samuel Fischers schon früh verbunden gewesen. Als er 1929 starb, sprach schon am Todestag des Dichters sein Freund Rudolf Borchardt von der Notwendigkeit einer Werkausgabe. Der beträchtliche Nachlass ging dann mit Hofmannsthals Familie 1938 ins Exil und liegt in Teilen noch heute in der Houghton Library der Harvard University.

Der deutsch-jüdische Verleger und Kunstwissenschaftler Rudolf Hirsch, Verehrer Hofmannsthals schon seit den Zwanzigerjahren, brachte dann als Mitglied der Geschäftsführung des S.-Fischer-Verlags in den Fünfzigerjahren die erste Hofmannsthal-Ausgabe auf dem Weg. 1964 gründete er dann im Freien Deutschen Hochstift das Hugo-von-Hofmannsthal-Archiv mit dem Ziel der großen, kritischen Werkausgabe. Das war, wie es Anne Bohnenkamp-Renken, die Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, jetzt formulierte, der Auftakt für eine "große philologische Kraftanstrengung".

Nicht die schiere Dauer des Projekts sorgte bisweilen für Irritationen, sondern, vor allem in der Anfangsphase, der Wille zum philologischen Exzess. Dass beispielsweise Hofmannsthals unvollendete Komödie "Timon von Athen", ein Text von eben 30 Seiten, eines 634 Seiten umfassenden Kommentars einschließlich aller Text-Vorstufen bedurfte, leuchtete beim Erscheinen 1975 nicht einmal den Herausgebern selbst ganz ein. "Verheerend" seien damals die Reaktionen gewesen, erinnerte sich jetzt Heinz Rölleke, einer der Hauptherausgeber von Beginn an.

Man sei dann dazu übergegangen, die Editionsrichtlinien den Einzelband-Herausgeberinnen und -Herausgebern zu überlassen. Aber der editorische Aufwand blieb weiter hoch, die Bände blieben dick und die Überzeugung stabil, dass ohne erschöpfende Varianten, Erläuterungen und Zeugnisse die Forschung keinen sicheren Text-Boden unter die Füße bekommt. Ob das nun für Hofmannsthal ganz besonders gilt oder ob vergleichbare Mammutvorhaben als noch unerfüllte Desiderate der Editionsphilologie anzusehen sind, ließ der Frankfurter Abend offen.

Schon aus Kostengründen dürften Projekte dieser Dimension künftig noch schwieriger werden. Man braucht wohl Mäzene wie seinerzeit den mächtigen Frankfurter Großbankier und Kunstfreund Hermann Josef Abs. Ob sich in der Geldwelt heutzutage ähnliche Gönner fänden, ist fraglich. Dabei gibt es in der heutigen geisteswissenschaftlichen Forschungslandschaft sicher kurzatmigere Projekte als diese so überaus gründliche, zünftige und liebevolle Hofmannsthal-Ausgabe.

Und was hat nun Abschluss-Band XXXV zu bieten? Vor 1000 Seiten Kommentar gibt es knapp 500 Seiten Text, aus einer Epoche seines Schaffens, in der Hofmannsthal, wie es der Germanist Richard Alewyn ausdrückte, "im Schatten seines frühen Ruhms weiterlebte". Vom Ruhm, den er mit einem fulminanten Frühwerk als Lyriker, dann als Verfasser des Chandos-Briefes, später als Dramatiker, Erzähler und Librettist erworben hatte, zehrt Hofmannsthal in seinem letzten Lebensjahrzehnt in anderen Rollen, als Festspiel- und Zeitschriftenmacher, als Publizist und öffentlicher Redner.

Seine Texte wenden sich gerne den hohen Gegenständen zu: Beethoven und Napoleon, die Salzburger Festspielidee, der "Geistige Zustand Europas" und "Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation". Wer Hofmannsthal kennenlernen will, muss nicht unbedingt mit dem vornehm-restaurativen Humanismus dieser späten Arbeiten beginnen. Aber es stehen ja viele weitere Bände zur Auswahl.

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