Howard Carter und Tutanchamun:Vom wahren Fluch des Pharao

Zu seinem 138. Geburtstag feierten viele Medien am Mittwoch Howard Carter völlig unkritisch. Weil er als der großartige Entdecker des Grabes von Tutanchamun gilt, dem kindlichen ägyptischen Pharao. Dabei war Carter womöglich nicht nur als Entdecker unterwegs, sondern auch als Räuber.

Ruth Schneeberger

Das Google Doodle, mit dem die Suchmaschine des US-Konzerns ihre Webseite an diesem Mittwoch schmückte, ist einigermaßen hübsch anzuschauen: In erdfarbenen Tönen gehalten, zeigt die Grafik Howard Carter, den berühmten Entdecker des überreich gefüllten Grabes von Tutanchamun, wie er die von ihm katalogisierten ägyptischen Schätze bestaunt.

Google Doodle für Howard Carter

Google Doodle für Howard Carter zum 138. Geburtstag: Damit ziert die Suchmaschine an diesem Mittwoch ihre Homepage - und viele Medien greifen den Anlass auf. Allerdings völlig unkritisch.

(Foto: Screenshot: Google)

Carter hatte 1922 das Grab des ägyptischen Königs entdeckt, damit den wohl ersten Medienhype ausgelöst und Tutanchamun, einen kindlichen und im alten Ägypten eher unbedeutenden König (seine Regentschaft wird auf etwa 1332 bis 1323 v. Chr. datiert), zu höchstem Weltruhm gebracht.

Nie zuvor war es - unter dem Mitfiebern der Weltöffentlichkeit - gelungen, das Grab eines ägyptischen Königs in nahezu jungfräulichem Zustand zu öffnen, nämlich auf den ersten Blick so gut wie unbeschadet von Grabraub, Zeit und (womöglich eingestürztem) Raum - und das mehr als 3000 Jahre nach Grablegung. Dachte man.

Eine Weltsensation, die bis heute gefeiert wird: Während Tutanchamun zu seiner Zeit nur im Kindesalter und bis zu seinem 18. oder 20. Geburtstag regierte, bevor er durch bisher ungeklärte Umstände zu Tode kam (Jagdunfall, Blutkrankheit, ein Tumor oder doch ein Schlag auf den Kopf, also Mord, darüber streiten sich die Gelehrten immer noch), währenddessen ist seine durch Howard Carter entfesselte Berühmtheit nun schon seit fast 90 Jahren ungebrochen: Die berühmte Totenmaske kennt heute fast jedes Kind; zahlreiche weltweite Ausstellungen und auch Wissenschaftler beschäftigen sich immer wieder und nach wie vor mit dem Kindkönig und seinen Hinterlassenschaften.

Howard Carter fand einen wahren Schatz

Seine Grabbeilagen waren aber auch zu prächtig: Neben Särgen, Schreinen, Möbeln, gleich sechs Jagdwägen, einem goldenen Thron und diversen Götterfiguren fand man mehr Alltagsgegenstände als bei jedem anderen Pharao in seiner letzten Ruhestätte. Howard Carter selbst schrieb von "unerhörten Reichtümern" und "Überfluss ohne Ende". Als "Traum aus Jaspis, Lapislazuli und Türkis" wurde der Fund beschrieben, und sehr viel Gold war wohl auch dabei.

Doch wieviel genau, und was im einzelnen daraus wurde, das ist noch immer nicht sicher - und vor allem gilt als zumindest umstritten, ob wir den mündlichen und schriftlichen Äußerungen von Howard Carter noch glauben können. Oder ob er sich nicht selbst an den Grabschätzen bereichert, seinen Auftraggeber hinters Licht geführt und sogar die Geschichtsschreibung und Archäologie mit falschen Darstellungen der Abläufe rund um den Grabesfund getäuscht hat.

Von diesen schweren Vorwürfen aber findet sich nichts in den aktuellen Berichten rund um die Google-Doodle-Howard-Carter-Geburtstagsfeierlichkeiten - allseits ist nun wieder von dem "berühmten Archäologen" und seinen "großen Verdiensten" die Rede.

Unbestritten: Der Fund war eine Sensation und eine Bereicherung für Nachwelt und Archäologie, die zum größten Teil Howard Carter in persona zuzuschreiben ist. Was bei dieser Schilderung aber nicht zu vernachlässigen sein dürfte, ist das gar nicht so kleine Detail seiner Umstrittenheit - und die Folgen, die sich daraus für die gesamte Geschichte rund um den Schatz ergeben.

Ungereimtheiten rund um den Grabesfund

Der Spiegel schrieb schon 2010 ausführlich darüber, dass der Grabesfund durch Howard Carter eher einem Raubzug geglichen habe und dass die Verherrlichung seiner Person aus heutiger Sicht einer Prüfung kaum noch standhalten würde.

Howard Carter, Google Doodle

Howard Carter bei der Arbeit: Tutanchamuns mumifizierter Körper wurde dabei beschädigt - aber immerhin gefunden. Inzwischen liegt der Pharao wieder in seinem Grab.

(Foto: AP)

Der Brite Carter (1874 - 1939), der eigentlich Zeichner war und kein ausgebildeter Archäologe, habe sich nicht nur selbst an dem Grabschatz bedient (so tauchen zum Beispiel immer wieder einzelne Schätze auf der ganzen Welt auf, die Tutanchamun zugeordnet werden können und deren Historie meist zu Carter selbst, seiner Sekretärin oder etwa einem von ihm beschenkten US-Ölbaron führt), sondern, um das zu vertuschen und den Schatz zur Hälfte nach England ausliefern zu dürfen, die Mär davon errichtet, schon vor ihm seien Grabräuber bei Tutanchamun gewesen. Er sei nicht der erste gewesen, der das Grab entdeckt habe, es sei bereits im Altertum mehrfach geplündert worden.

Von dieser Überlieferung Carters ist die Wissenschaft lange ausgegangen, und auch die Medien feiern ihn - nun wieder - als denjenigen, der die Schätze des Pharaonenkönigs der Nachwelt geschenkt habe. Dass er sich dabei selbst bereichert und die Öffentlichkeit darüber womöglich gezielt getäuscht hat, um für sich selbst und das britische Königreich Gewinn zu erzielen, wird dabei ausgeklammert.

Howard Carter beim Siegen und Scheitern

Es war womöglich ein versuchter Clou: Im Falle eines bereits beraubten Grabes wäre der Schatz - nach damaligem Recht - nur zur Hälfte in Ägypten geblieben. Die andere Hälfte hätten Carter und sein Team in ihre britische Heimat mitnehmen dürfen, um sie dort öffentlich auszustellen. Wohl deshalb, wie kritische Wissenschaftler inzwischen annehmen, habe Carter ausführlichst beschrieben, die Türen seien schon geöffnet, das Grab bereits zu großen Teilen geplündert gewesen. Um das geltende Recht auszutricksen.

Es gibt Hinweise darauf, dass er selbst seine Arbeiter weggeschickt und auch seinen Auftraggeber darüber falsch in Kenntnis gesetzt habe, er habe die Tür zwar gefunden, werde sie aber nicht öffnen, bis der britische Lord Carnavon nach Ägypten gereist sei. Es spricht inzwischen einiges dafür, dass Howard Carter - zwischendurch, zuvor oder bei der offiziellen ersten Grabbegehung und/oder auch noch später höchstselbst einige der Schätze eingesteckt, weggeschafft, selbst behalten und weiterverschenkt hat.

Der womögliche Versuch jedenfalls, über seine verkündete Theorie von einem früheren Raub die Hälfte des Schatzes in seine Heimat transportieren, schlug fehl: Tutanchamun und seine Schätze blieben ganz in Ägypten. Zumindest offiziell - und bis auf die Teile, die man inzwischen anderswo gefunden hat. Wobei auch deren genaue Herkunft bisher nie eindeutig bewiesen wurde. Und es ist auch möglich, dass es Kritiker gibt, denen der Sohn eines Tiermalers und nicht ausgebildete Archäologe Carter, der Zeit seines Lebens ein Problem mit den akademischen Kollegen hatte, immer schon ein Dorn im Auge war. Unter anderem deshalb, weil sie selbst diesen Sensationsfund gerne gemacht hätten. Und die ihm deshalb - rückwirkend - an den Karren fahren und Zweifel an seiner Seriosität und Integrität anmelden. Klar ist nur, dass vieles an dieser Geschichte immer noch sehr unklar ist.

Dass das Leben und Sterben des altägyptischen Pharaos bis heute Rätsel aufgibt, muss nicht weiter verwundern. Schließlich ist die Archäologie eine Wissenschaft, die sich nicht nur mit uralten, sondern auch mit mikroskopisch kleinen Beweismitteln und Belegen behelfen muss aus Zeiten, deren Umstände wir heute nur erahnen. Und auf Quellen zurückgreifen muss, die bis heute nicht vollständig entschlüsselt werden können. Dass aber das Leben und Wirken seines Entdeckers Howard Carter bis heute so vage bleibt, obwohl es im Vergleich nur eine kurze Zeitspanne zurück liegt, verwundert dann doch, zumindest einen Teil der Wissenschaft. War es Carter selbst, der die Schätze verschwinden ließ, waren Teile seines Teams beteiligt, wusste sein Auftraggeber davon - und warum wissen wir darüber bis heute so wenig?

Der Ägyptologe Christian Loeben erklärte sich im Spiegel diese Ungereimtheiten so: "Über derlei unschöne Dinge redet keiner gern", so der Forscher. Es passe vielen besser ins Bild, Howard Carter als strahlenden Widerpart von Heinrich Schliemann zu feiern - und die wohl in Teilen durchaus berechtigte Kritik und die Probleme unter den Tisch fallen zu lassen.

Ein Google Doodle und ein Happy Birthday

So auch nun, zu seinem 138. Geburtstag, wenn Google ihn mit einem Doodle ehrt. So harmlos wie die Grafik sind auch die Berichte, die sich - ob aus USA oder Deutschland - nur mit Howard Carter als strahlendem Beispiel für Archäologie beschäftigen. Und anstelle der Kritik lieber die Geschichte vom "Fluch des Pharao" weitertragen, der bis zu 30 Beteiligte, darunter auch Lord Carnavon, seinen Hund und seinen Kanarienvogel, kläglich dahingerafft habe.

Dabei fand sich für die Existenz einer Tontafel mit der angeblichen Grabesinschrift "Der Tod soll den mit seinen Schwingen erschlagen, der die Ruhe des Pharao stört" bisher kein wissenschaftlicher Beweis - und man geht längst davon aus, dass es viel eher Schimmelpilzsporen in der Grabkammer waren, die die Grabenden befallen hätten. Im Falle des englischen Lords war wohl ein Moskitostich die Todesursache. Und statistische Untersuchungen sollen inzwischen sogar ein höheres Durchschnittslebensalter aller angeblichen Opfer ergeben haben.

Auch dies also eine Mär - wie womöglich ein Teil der Geschichte rund um Howard Carter und Tutanchamuns Grabschatz. Aber zum Geburtstag darf man wohl - scheint es - gleich mehrere Augen zudrücken, und nur in schönen oder märchenhaften Erinnerungen schwelgen.

Der Leiter des Griffith Instituts in Oxford jedenfalls, in dem Carters Schriften und Dokumentationen aufbewahrt werden, also seinerseits Wächter über Carters Gedankenschatz, verteidigte Howard Carter gegen die Kritik: Man dürfe ihn nicht als "Dieb" bezeichnen - weil er schließlich nie versucht hätte, Gegenstände aus dem Grab zu verkaufen. Wem das ausreicht: Happy Birthday!

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