"Hotel Ruanda"-Held in der Kritik:Zynisches Geschäft mit dem Völkermord

Geld, Autos und Häuser gegen Essen und Trinken: Im Film "Hotel Ruanda" wird ein Geschäftsmann als Held und Menschenretter gefeiert, weil er 1268 Menschen in seinem Hotel Zuflucht gewährt. Doch nun mehren sich Stimmen, die ihn für alles andere als einen Held halten. Paul Rusesabagina soll am Völkermord in Ruanda vor allem gut verdient haben.

Leo Lagercrantz

Helden, gibt's die? Der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg, der ungarische Juden vor dem Holocaust rettete, wäre in diesem Jahr hundert geworden, wenn er noch lebte (und man muss wohl davon ausgehen, dass er nicht mehr am Leben ist). Er wird in Schweden auf jede nur erdenkliche Weise geehrt werden, mit Tagungen, mit neuen Büchern - und offiziell mit der Regierungsinitiative "100 Jahre Raoul Wallenberg".

Hotel Ruanda

Alles Fiktion? Paul Rusesabagina wird im Film Hotel Ruanda (2004) von Don Cheadle als Held gespielt. Noch heute wird er mit Medaillen ausgezeichnet.

(Foto: United Artists/Cinetext)

Denn wir brauchen sie, die Helden, die sich dem Völkermord entgegenstellten. Doch genauso stark ist anscheinend unser Bedürfnis, sie zu entzaubern - wenn die Zeit reif ist. Oskar Schindler und Elie Wiesel sind Beispiele dafür. Aber auch der ehemalige Hotelmanager Paul Rusesabagina. Durch den Hollywoodstreifen "Hotel Ruanda" (mit Don Cheadle in der Hauptrolle) ging er als Superheld der ruandischen Völkermord-Ära in die Geschichte ein: Er wird dafür verehrt, dass er 1268 Menschen das Leben gerettet hat, indem er ihnen in dem Hotel, das er damals leitete, Zuflucht gewährte.

Ich sitze am Swimmingpool im "Hôtel des Mille Collines", wie das "Hotel Ruanda" in Wirklichkeit heißt. Neben mir erholt sich eine schwedische Familie von ihrem Safari-Abenteuer. Das Übermaß an Personal im Verhältnis zu den wenigen Gästen trägt zur kolonialen Atmosphäre bei.

Vor knapp 18 Jahren ging es hier anders zu. Granaten schlugen im Poolbereich ein, und die Fensterscheiben des Hotels zersplitterten - aber die gut 1200 Menschen, die hier Schutz gesucht hatten, überlebten. Dank dem Hotelmanager, der mit seinem Mut und seiner Cleverness die Mordpatrouillen auf Abstand hielt. So wurde es uns jedenfalls erzählt. Bisher.

"Als Erstes kassierte er Geld von den Flüchtlingen"

Neuerdings aber zeichnet sich ein anderes Bild ab. Rusesabagina soll ganz und gar kein Held gewesen sein, sondern ein zynischer Geschäftemacher, der aus dem Genozid sein Kapital schlug.

Ich treffe Pasa Mwenenganuka, der an der Rezeption des "Mille Collines" arbeitet und in jenen dramatischen Monaten zu denen gehörte, die hier Zuflucht gefunden hatten. Im Film wird er als widerspenstiger Angestellter porträtiert, der Rusesabaginas heldenhafte Anstrengungen hintertreibt.

"Nachdem der damalige Hoteldirektor das Land verlassen hatte, ließ Rusesabagina sich von dem belgischen Eigentümer zum Chef ernennen", berichtet Mwenenganuka. "Als Erstes kassierte er Geld von den Flüchtlingen, als wären sie Hotelgäste. Wer nicht zahlen konnte, bekam weder Wasser noch Essen und wurde aus den Hotelzimmern ausgesperrt. Und als die Leute kein Geld mehr hatten, zwang er sie, ihm ihre Autos und Häuser zu überschreiben. Wie kann man einen solchen Menschen als Helden bezeichnen?"

Ich besuche Freddy Mutanguha, den Leiter des Kigali Memorial Center, in seinem Büro. Auch er reagiert aufgebracht: "Der größte Skandal besteht darin, dass Rusesabagina immer noch mit Preisen und Medaillen belohnt wird - am schlimmsten ist, dass er die Raoul-Wallenberg-Medaille bekommen hat." Und, wie man hinzufügen darf, den Lantos Foundation Prize, eine der nobelsten Ehrungen, die für Heldentaten zur Verfügung stehen - benannt nach dem amerikanischen Politiker Tom Lantos, der von ebenjenem Raoul Wallenberg vor dem Holocaust bewahrt wurde.

Was hat nun der "Held", den zumindest die Elite von Kigali so verabscheut, selbst dazu zu sagen? Ich erreiche ihn in Belgien, wo er seit Jahren lebt. Als er hört, dass ich ihn aus seinem früheren Hotel anrufe, klingt seine Antwort etwas erschöpft, aber rhetorisch versiert.

"Bisher hat niemand solche Sachen behauptet. Erst jetzt, nachdem ich mich politisch geäußert habe und Präsident Paul Kagame sich bedroht fühlt. Fragen Sie doch die Leute, die mich kritisieren, warum sie das gerade jetzt tun." Es gehe vor allem darum, dass er den Flüchtlingen Geld abgenötigt habe, sage ich. Er versucht nicht, den Vorwurf zu widerlegen.

Zorniges Plädoyer

"Für mich zählt, dass sie alle den Völkermord überlebt und das Hotel unbeschadet verlassen haben. Es stimmt, von einigen Flüchtlingen habe ich am Anfang Geld genommen. Das ist ja nichts Ungewöhnliches in einem Hotel; wir glaubten damals, dass das Ganze nach ein paar Tagen vorüber sein würde."

Hotel Ruanda

Im Film versucht der kanadische Blauhelm-Colonel Oliver (Nick Nolte, li.), den Hotelmanager zu unterstützen. Der kanadische UN-General Roméo Dallaire, auf den die Figur basiert, fertigte den Film jedoch als "Junk" ab.

(Foto: ARD Degeto)

Terry George, der Regisseur von "Hotel Ruanda", hält an seiner Version fest. In einem zornigen Plädoyer für seinen Film und für Rusesabagina (rwandaspeaks.com, 10. November 2011) betont er, er habe seinerzeit minutiös recherchiert, und die plötzlich aufgeflammte Kritik sei darauf zurückzuführen, dass das Regime in Kigali sich unter Druck gesetzt fühle. Er schreibt: "Die Millionen, die 'Hotel Ruanda' gesehen und die hoffnungsvolle Botschaft des Films empfangen haben, sollen wissen, dass sie nicht getäuscht wurden."

Und was sagt der ehemalige Befehlshaber der UN-Blauhelmtruppe, Roméo Dallaire? Die Rede ist von dem kanadischen General, der bei den Vereinten Nationen vergeblich um Verstärkung nachsuchte und später, weil er in Ruanda ausgeharrt hatte, ebenfalls als Held gefeiert wurde.

In seinem Bestseller "Handschlag mit dem Teufel. Die Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord in Ruanda" schreibt er einem kongolesischen UN-Major und dessen Soldaten das Verdienst zu, den Flüchtlingen das Leben gerettet zu haben. Der Einsatz des im Buch nicht namentlich erwähnten Rusesabagina habe sich darauf beschränkt, dass er die Mordkommandos mit reichlich Schnaps schmierte. Ende Dezember hat Dallaire den Film, in dem er selbst - dargestellt von Nick Nolte - eine heldenhafte Rolle spielt, auf Huffington Post als "Junk" abgefertigt.

"Ihm können Sie doch wohl nicht unterstellen, dass er von Präsident Kagame bestochen wurde?", frage ich Rusesabagina. "Dallaire redet so, weil er desillusioniert ist; er fühlt sich schlecht, weil er damals nicht mehr erreichen konnte", sagt er. "Außerdem hat Dallaire noch ein anderes großes Problem: Er weigert sich, zu begreifen, dass ein Film nicht die Wirklichkeit wiedergibt. 'Hotel Ruanda' ist Fiktion! Da sitzen meine Frau und ich zum Beispiel auf der Dachterrasse des Hotels bei einem luxuriösen Abendessen. Zu Zeiten des Völkermords wäre das undenkbar gewesen." Und: "Bei all dem geht es nur darum, dass Kagame wütend auf mich ist, weil ich ihn kritisiere."

Presse- und Meinungsfreiheit keine vorrangigen Werte

Daran kann durchaus etwas Wahres sein. Als Rusesabagina 2010 auf Einladung der Kinderhilfsorganisation Rädda Barnen und der Unternehmensberatung Prime nach Schweden gekommen war, schrieb er auf der Debattenseite der Zeitung Expressen: "Präsident Paul Kagame hat die BBC aus dem Land gewiesen und unabhängige Zeitungen verboten. Es hat Granaten-Angriffe und Menschenrechtsverletzungen gegeben. Die Kandidaten der Opposition wurden daran gehindert, sich zu organisieren und sich registrieren zu lassen. Und vorige Woche wurde der Oppositionsführer ins Gefängnis geworfen."

Gegen diese Regimekritik lässt sich schwer argumentieren: Während Präsident Paul Kagame auf wirtschaftlicher Ebene ein Wunder vollbracht hat, angesichts dessen der Pferdeschwanz des schwedischen Finanzministers Anders Borg traurig herabhängen müsste, wartet das Land auf demokratische Reformen.

Wenn ich mit Ruandern darüber rede, winden sie sich ein wenig. Presse- und Meinungsfreiheit gehören hier nicht zu den vorrangigen gesellschaftlichen Werten. Auf der Konferenz über den Völkermord, an der ich teilnehme, sagen einige, dass sie sich auf Schritt und Tritt überwacht fühlen. Eine Debatte über die Mitschuld Ruandas an dem, was sich im Nachbarland Kongo seit einigen Jahrzehnten abspielt und rund fünf Millionen Tote gefordert hat, ist ebenfalls nicht in Sicht.

Im Vergleich dazu kann Schweden einer Diskussion über Raoul Wallenberg wohl ganz entspannt entgegensehen. "Raoul Wallenberg", sagt Freddy Mutanguha, bevor ich sein Büro im Memorial Center von Kigali verlasse, "war ein richtiger Held."

Deutsch von Kristina Maidt-Zinke.

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