Süddeutsche Zeitung

Hot Chip im Konzert:Koloss aus Klang und Lebensfreude

Der Sound von Hot Chip hat einen nicht zu verleugnenden Hang zur Wohlfühlmusik. Trotzdem liefert die gefeierte Zeitgeist-Band aus London beim Auftakt ihrer Deutschlandtour in Köln ein Zeugnis großer Schönheit.

Max Scharnigg

Möglicherweise schlagen Frauen das Zeug doch anders. Die zierliche Sarah Jones jedenfalls, deren Aufgabe es an diesem Abend in Köln ist, über neunzig Minuten simple House-und Shuffle-Beats in das Drumkit von Hot Chip zu dreschen, schafft es trotz maximaler Präzision die Snare noch ein bisschen nett und die HiHat doch etwas verwaschen klingen zu lassen. Als thronte sie nicht auf einer stroboskopbewehrten Bühne vor Hunderten wackelnder Feiermenschen, sondern hätte doch nur einen Pub-Gig mit der Folkband von nebenan zu spielen.

Damit ist das Mädchen am Schlagzeug eigentlich die beste Botschafterin des schwer zu fassenden Sounds der Band aus London: smarter Elektropop, der lieber nett als dogmatisch erzählt wird, der seit mehreren Jahren schon lieber Kuschel sagt als Kante. Es ist auch eigentlich eher eine mittelständische Avantgarde, aus der heraus das unzertrennliche Songwriter-Duo Alexis Taylor und Joe Gibbard seine Lieder erfindet. Sie wildert immer noch viel in 80er-Jahren Wave-und Synthiesounds, sucht Disco und zunehmend Versatzstücke von House und sogar Cosmic und findet manchmal trotzdem nur Moby. Ergebnis ist weniger zukunftsweisende Tüftelei als eben aufregendes Destillat der vergangenen drei Dekaden mit einem nicht zu verleugnenden Hang zur Wohlfühlmusik.

Da kann die Lichtorgel noch so unentwegt morsen

Das bisweilen etwas campe Fake-Falsett in Taylors Gesang befeuert diese ungefährliche Anmutung genau wie der Nerdstyle der sechs Männer, die nebst ihrer vielgestaltigen Apparaturen aufmarschiert sind, inklusive selbst gebauter Steel-Drums und Vintage-Polyphonmodulen. Aber wenn eine gefeierte Zeitgeist-Band aussieht wie aus dem Wartesaal der Arbeiterwohlfahrt gecastet und sich kaum ein Wort in die Menge zu sprechen traut, ist das natürlich auch einfach Pose und es steigert den Kontrast zu einem Sound, der gerade in Hipsterkopfhörern auf der ganzen Welt zu Hause ist.

Es dauert trotzdem eine Weile, bis das kaltgeregnete Kölner Publikum und die Band zusammenfinden, da kann die Lichtorgel noch so unentwegt "Wahnsinn!" in die Menge morsen. Die Band stampft erstmal alleine auf ihren verschlungenen Pfaden, auch ein mäßiges Fleetwod-Mac-Cover und das auf Platte elektrisierende "Shake A Fist" zünden nicht recht. Hits und Hitmomente waren auf Hot Chips letztem Album "In Our Heads" (Domino Records) ja absichtlich weit verstreut, es versammelte lieber Unfertiges und überdrehte Skizzen als jene Momente genialer Stil-Mixtur, die sie in den letzten zehn Jahren in Clubs wie Indie-Blogs gleichermaßen populär gemacht haben.

Den Hörer verlangte es angesichts dieser fünften Platte also nicht unbedingt danach, sofort Konzertkarten zu kaufen, wiewohl die Band für ihre Auftritte berühmt ist. Tatsächlich funktioniert aber gerade dieses Werk sehr gut auf der Bühne, weil Taylor und Gibbard live strikte Anweisung zur Defragmentierung und anschließendem Wiederaufbau der Lieder geben, was vielen Songs ein irgendwie opulentes Kleid verleiht - wenn auch nicht immer gleich offensichtlich ist, wie man es tragen soll.

Und hundert andere Kleinigkeiten

So dauert es auch an diesem Abend bis etwa zur Mitte des Auftaktkonzerts für die Deutschlandtour, die die Band noch nach Frankfurt, Berlin und Hamburg führen wird, bis diese endlich die Erotik der Kakofonie so richtig auskostet und einen warmen Pulsschlag von 140 Beats per Minute verströmen lässt. Da ist die Musik von Hot Chip dann wie warmes Badewasser und in ihren besten Momenten, etwa bei der Zugabe "Let Me Be Him", steht die Band anbetungswürdig im Zentrum pulsierender und aufgeschichteter Tonspuren, lässt Gitarrenakkorde und Cowbell-Beats und hundert andere Kleinigkeiten zu einem hinreißenden Koloss aus Klang und Lebensfreude werden, der die Live Music Hall bis in die letzte Reihe zu einer wilden Bewegung hinreißt. Taylors hoher Gesang in den Duetten vermengt mit dem Bariton von Gibbard - das ist dann eben doch Zeugnis großer, versöhnlicher Schönheit und wird den Liedern stets als letzte Spur aufgesetzt, wie ein Krönchen auf Dauerrotation.

Der Vorwurf zu großer Eingängigkeit, zu geschliffenen Sphärenpops, dem die Londoner seit mindestens drei Platten ausgesetzt sind, verdampft live in den kunstvollen Ruinen, die sie hier in Köln entstehen lassen. Am Ende des Abends ist Schall und Nebel und letztes irisierendes Bühnenlicht. Die Herren und Sarah Jones sind verschwunden, übrig ist nur der Dampf einer Nacht, halb mitgebracht, halb selbst gemacht.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2012/ihe/pak
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