Süddeutsche Zeitung

Horrorpolitik auf Haiti:Tastatur-Dämonen

Der Schrecken muss in Thrillern seine Wurzeln nicht in dunklen Seelen haben, er kann auch aus der Politik hervorgehen. So ist es bei Kettly Mars, in ihrem haitianischen Thriller "Der Engel des Patriarchen".

Von Fritz Göttler

Stephen King ist das Vorbild, der Horrorautor, der größte von allen. An ihm orientiert sich der große literarische Traum - mit einem Thriller, einem Schauerroman so berühmt zu werden wie er. Auch Beverly träumt ihn, der Teenager aus Chicago, in ein paar Tagen wird sie siebzehn, das magische Alter, die Vorfreude erregt sie, die Lust an den Vorbereitungen, gemeinsam mit der Zwillingsschwester Samantha. Aber werden sie diesen Geburtstag überleben?

Die beiden sind Nichten von Paula, Teil einer großen Familie mit Wurzeln in Haiti, die immer wieder heimgesucht wird von einem rachsüchtigen Wesen, dem Voodoo-Engel Yvo. Viele spüren seine Präsenz, unsichtbar, aber mit einem merkwürdigen Brandgeruch in der Luft, doch wenige wissen wirklich, mit welch infamer Fatalität er Geschicke manipuliert, über Generationen hinweg, die Triebe und Sehnsüchte der Menschen auskostet und ausnützt, die Ströme und Schübe ihrer Libido. Der Dämon und das innere Verlangen, sie sind ineinander reflektiert, spiegelbildlich, im neuen Roman von Kettly Mars. Besonders gern und besonders unerbittlich schlägt der Engel an den Geburtstagen zu.

Bei Beverly dringt das Dämonische über ihren Computer ein, das ist ihre schwache Stelle, der Traum vom Thrillererfolg, die Horrorgeschichte, die sie dort begann. "Es gibt zwischen ihr und den Worten, die sie geschrieben hat und im nächsten Augenblick schreiben wird, keinen Abstand. Jeder Absatz wird ein klein wenig mehr von ihr aufsaugen ... Bei jedem Wort, das sie schreibt, verschafft sie den Besuchern Eingang, die sich unter ihrer Haut und im Haus ihrer Geschichte einquartiert haben. Es gibt keine Realität, keine Fiktion mehr, ihre Fantasie erfährt eine regelrechte Invasion ... und selbst für Samantha, ihre Zwillingsschwester, kann Beverly die Unterwanderung nicht aufhalten. Die Besucher saugen ihr Regelblut aus. Samantha hat seit zwei Monaten keine Blutung gehabt."

Beverly ist erschüttert, als sie eines Tages, kurz vor dem drohenden Geburtstag, ihren Text geheimnisvoll fortgeschrieben findet, große Schauerprosa, Kingsize: "Gelobt sei der Albtraum, der uns enthüllt, dass wir die Hölle erschaffen können. Gelobt sei der Engel, dessen rotes Auge Illusion und Wirklichkeit durchdringt, auf dass sich das Werk der Finsternis erfülle ... Das Blut wird fließen am Tag der Geburt, um die Dunkelheit zu nähren ... Sad Tulb driw nesseilf ma Gat Red Trubeg, mu eid Tiehleknud uz nerhän." Der letzte Satz folgt der Horrorformel - "Redrum" - aus Stephen Kings "Shining", der erste ist von Borges, er dient dem Buch als Motto.

"Das Blut wird fließen am Tag der Geburt, um die Dunkelheit zu nähren."

Kettly Mars ist eine der wichtigsten Autorinnen von Haiti, in ihren Romanen "Die zwielichtige Stunde", "Wilde Zeiten", "Ich bin am Leben", "Vor dem Verdursten" - alle deutsch im Litradukt-Verlag - geht es um die Geschichte ihres Landes, den Sklavenaufstand und die Befreiung, die Duvalier-Diktatur, das schreckliche Erdbeben vom Januar 2010. Und nun, im neuen Roman, darum, wie das alles mit dem Voodoo zusammenhängt, der das Leben und Denken des Landes bis heute bestimmt.

Der Engel Yvo hatte einst, in Gestalt des Marquis de Truitier, einen fiesen Deal geschlossen mit dem reichen Grundbesitzer Horacius Melfort, dem Patriarchen, er sollte ihm angesichts veränderter politischer Verhältnisse weiterhin seinen Reichtum und seine Macht erhalten. Noch fieser aber war, dass Melfort und die Männer, die mit ihm im Bunde waren, den Engel betrogen, um das vereinbarte Opfer brachten, Melforts Enkel Jacquot.

Fünfundsechzig Jahre später aber holt die Geschichte die Familie des Patriarchen ein, der Enkel Jacques, der nach Frankreich geflohen war, stirbt dort, an seinem Geburtstag. Seine Schwester Paula weiß, was das bedeutet, sie ist eine Voodoopriesterin, bereit, den Kampf gegen den Engel aufzunehmen. Eine andere Schwester ist Gina, sie lebt in Chicago und wähnt sich sicher dort, die Mutter der Zwillinge Beverly und Samantha.

Es sind die Frauen, die kämpfen in diesem Roman. Paula versichert sich dafür der Hilfe ihrer jüngeren Cousine Emmanuela - einer Bankerin, der der Übergang in die Welt der unsichtbaren, übernatürlichen Drohungen erst mal schwerfällt, die sich aber schließlich schnell vom Engel Yvo und seinen Machinationen bedroht weiß, mitsamt den Menschen, die sie liebt. Denn André, der sich Ende der Neunziger in Emmanuela verliebte und sie heiratete, einen Sohn mit ihr hat (aber keine Tochter), wird Yvos Opfer, weil er dessen Plan nicht dienlich ist, der über Jahre und Jahrzehnte angezettelt wird.

Das Politische des Romans ist verbunden mit dem Persönlichen, Sexuellen, Obsessionellen

Haiti lebt in den Metamorphosen seiner Menschen, der Engel Yvo nutzt diese für seine Manipulation. Ein junger Mann gleicht sich dem verehrten Maler Basquiat an, "eine gutartige Verrücktheit", nennt sich hinfort J-M-B. Ein Feuervogel auf einem Kirchenbild ist in Wirklichkeit ein gotteslästerliches Geschöpf. Ein Mann will die Ex-Frau vergewaltigen, droht aber, in Geistesverwirrung, in die eigene Mutter einzudringen.

"Der Engel des Patriarchen" ist, unter der King-Horror-Oberfläche, ein politischer Roman. Emmanuelas und Andrés Liebe beginnt in den Neunzigern, als das Land sich von den Resten der Diktatur befreite, "die Demokratie war auf der Suche nach sich in einem Haiti, das allen Träumen und Abwegen offen stand". Eine Zeit der Straßendemonstrationen und politischen Forderungen, gepuscht vom Voodoo-Jazz, das Politische ist verbunden mit dem Persönlichen, Sexuellen, Obsessionellen: André liebte "diese Frau, die wie eine Professionelle Liebe machte, ihr Haar nicht entkrauste, eine Vorliebe für exotisch duftende Öle hatte und ruhig gegen die jahrhundertealten Diktate ankämpfte, die auf den Frauen lasten ... eine Königin von Saba, eine schwarze Göttin, die black magic woman von Carlos Santana".

Der Engel Yvo ist ein "blutschänderischer Geist", seine Verführung zielt immer auf den Inzest, das inzestuöse Verlangen, das Lustobjekte sucht innerhalb der Familien. Die Lust der Frauen nutzt er immer wieder aus, in ihrer Absolutheit, die gefährlich ist für das fragile Konstrukt jeder Gesellschaft, für ihre sexuellen Tabus. Paula vertraut bei ihren Gegenaktionen auf die Unterstützung des Erzengels Michael, der unter ihrer Wiege einst die definitive Formel gegen den Engel Yvo hinterlegt hatte. Er ist der Garant der Ordnung, in der Konfrontation von Voodoo versus Wunder.

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SZ vom 26.11.2019
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